Wer trainiert eigentlich die argentinische Fußball-Nationalmannschaft? Nun, zumindest für Claudio Tapia ist die Frage so überflüssig, wie die Antwort selbstverständlich: Der Coach heißt Jorge Sampaoli. Und natürlich hat der 58-Jährige nach wie vor die maximale Autorität gegenüber der Mannschaft. Wer etwas anderes behauptet, der lüge eben. So jedenfalls sieht das Tapia. Und als Chef des nationalen Fußball-Verbands hat er ja eine eigentlich nicht anzuzweifelnde Binnensicht. Argentinische Medien haben das dennoch getan, sie analysieren das Verhältnis zwischen Coach und Team als zerrüttet, schreiben seit dem Kroatien-Debakel sogar von einem Putsch gegen Sampaoli, von einer inoffiziellen Entmachtung.
Die könnte demnach so aussehen: Der Trainer führt die "Albiceleste" am Dienstag ins letzte und über den möglichen Einzug ins Achtelfinale entscheidende Spiel gegen Nigeria. Mit seiner Präsenz im Stadion habe sich dann aber der Befugnisrahmen auch erschöpft. Die Aufstellung machen die Spieler, allen voran der fünffache Weltfußballer Lionel Messi. Ein Szenario ohne Grundlage, wettert Tapia. "Vergessen Sie nicht, dass Sie Berichterstatter sind und in dieser Funktion berichten sollen. Sie verfälschen und verzerren", ermahnt der Chef in einem fünfminütigen Pressemonolog. Rückfragen sind nicht erlaubt. Schon gar nicht zu einer vermeintlichen Sprachnachricht von Ricardo Giusti, Mitglied der 86er-Weltmeister-Elf.
In dem Whatsapp-Chat, der angeblich mehreren Medien vorliegen soll, heißt es demnach: "Ich habe mit Teammanager Jorge Burruchaga gesprochen. Die Spieler stellen die Mannschaft auf - das ist Fakt." Gegenüber der Zeitung "Clarín" bestreitet Giusti nun vehement, Verfasser der Sprachnachricht zu sein. Perfekt ist das Chaos. So sagt der mittlerweile bei Hebei China Fortune spielende Mittelfeldchef Javier Mascherano: "Es gibt viele Mythen, die hier erzeugt werden, die wir nicht erklären können. Ich kann die Tonnachrichten nicht kontrollieren. Ich weiß nicht, ob das Absicht ist oder ob sie die Telefone abhören. Ich weiß nicht, was ich noch glauben soll." Immerhin weiß Mascherano noch, was die Öffentlichkeit wissen soll: "Die Beziehung zum Trainer ist völlig normal."
Atmosphärische "Bombe"
So richtig zusammenpassen will der nun verkündete Zusammenhalt zwischen Team und Trainer nicht mit dem, was in den vergangenen Tagen passiert ist. Nach der 0:3-Peinlichkeit gegen Kroatien am Donnerstag hatte Manchester Citys auf die Bank verdonnerter Torjäger Sergio Agüero vor sich hin genuschelt: "Von mir aus kann Sampaoli sagen, was er will". Eine atmosphärische "Bombe" wie "Clarien" urteilte. Ein Indiz für die heftig angespannte Stimmung. Denn eigentlich hatte Agüero eine Nachfrage zu dem umstrittenen Coach schlicht falsch verstanden. Freitag gab's dann eine Aussprache zwischen Team und Mannschaft. Einen Tag später ein langes Gespräch zwischen Tapia und Sampaoli. Dabei soll es um die Unzufriedenheit der Fußballer gegangen sein. Und um die Zukunft des Coaches. Das Ergebnis: Der 58-Jährige verlässt die "Albiceleste" nach der Weltmeisterschaft. Ist damit quasi doch entmachtet. Bestätigt ist das aber nicht.
Sollte es allerdings tatsächlich so kommen, würde Tapia seine eigenen Worte ad absurdum führen. Bei der Amtseinführung Anfang Juni 2017 sagte der Boss: "Er ist der beste Nationaltrainer der Welt." Um ihn zu bekommen, zahlte der Verband an Sampaolis damaligen Arbeitgeber, den spanischen Klub FC Sevilla, eine Ablösesumme von 1,5 Millionen Euro. Tatsächlich genießt der Coach einen guten Ruf. In seiner WM-Kolumne für die "Sport Bild" schrieb der ehemalige Leverkusener Diego Placente vor Turnierstart: "Ich mag seinen Spielstil. Ich halte seine fußballerische Idee für brillant. Er möchte, dass die Mannschaft offensiv ist, mit Pressing Druck macht und Somit komplett in der gegnerischen Hälfte agiert."
Schöne Theorie, fürchterliche Praxis
Dem WM-Check hält das alles nicht stand. Das Team spielte beim Remis (1:1) gegen Island trotz maximaler Ballbesitz-Dominanz fahrig, pomadig, ideenlos. Die Einsatzfreude und Leidenschaft der "Wikinger" reichte, um die hochbezahlten Superstars zu entnerven. Gegen Kroatien war's kaum besser - immerhin stimmte in diesem wilden Duell die Gegenwehr. Sampaoli nahm wieder einmal die Schuld auf sich. Wie immer. "Er sagte: "Wir haben es nicht geschafft, Messi die richtige Mannschaft an die Seite zu stellen." Dabei ist er für das Debakel und auch die zuvor schwachen Leistungen nicht allein verantwortlich. Schon seit längerer Zeit heißt es: Messi diskutiert beim Personal mindestens auf Augenhöhe. Bei Sampaoli erst recht, seit der GOAT der "Albiceleste" im Oktober 2017 erst im letzten Spiel der Südamerika-Qualifikation gegen Ecuador mit drei Toren (Endstand folglich 3:1) die Peinlichkeit einer verpassten WM erspart hatte.
Und nun? Letzte Chance Nigeria. Und für die fordert der legendäre Diego Maradona, der Chefkritiker des angezählten Coaches, vehement Zugang zum Team: "Ich will mit den Spielern sprechen können, damit sie verstehen, was es bedeutet, dieses Trikot zu tragen."
Quelle: n-tv.de
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