Nowitschok, Brexit, Rücktritt: Im löchrigen Boot der Briten

  10 Juli 2018    Gelesen: 917
Nowitschok, Brexit, Rücktritt: Im löchrigen Boot der Briten

Die britische Premierministerin Theresa May gibt sich als Verfechterin des Brexits, für den bei einem Referendum vor zwei Jahren fast 52 Prozent der Briten gestimmt haben. Aber in Wahrheit nähert sich ihre Haltung der Einstellung eines großen Teils des britischen globalistischen Establishments.

Diese verehrten Damen und Herren waren schon immer gegen den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU und wollten die Ergebnisse des Volksentscheids im Juni 2016 gar nicht anerkennen. Um die Gründe zu verstehen, muss man sich nur die Landkarte der Insel ansehen: Die Einwohner fast aller Großstädte stimmten dagegen, während die britische Provinz aus der Union weg wollte. Das bedeutet, dass die „Dörfler“ den gut ausgebildeten Großstädtern ihre Meinung quasi aufgezwungen haben, und es ist daher kein Wunder, dass die Elite, die auf die Meinung der Provinz kaum Wert legt, sie sabotieren will.

Und gerade das tat May. Sie tat ihr Bestes, um den Termin des EU-Austritts zu verschieben und mit Brüssel einen solchen Deal abzuwickeln, der die negativen Brexit-Folgen für ihr Land minimieren würde.

Am 6. Juli berief die Premierministerin ihr Kabinett ein und präsentierte den endgültigen Plan dieser Strategie. Im Grunde geht es dabei um die Aufrechterhaltung der maximal engen Wirtschaftsbeziehungen mit der Union und um die Bildung eines Freihandelsraums mit den europäischen Ländern selbst nach dem EU-Ausstieg. Außerdem würde London die Jurisdiktion des Justizsystems der Union anerkennen und sich verpflichten, dessen Entscheidungen zu akzeptieren.

Gruß aus der Kolonie

Natürlich ließen sich viele Minister diesen Plan nicht gefallen, aber May gab in keiner Weise nach: Sie erklärte, die Diskussion sei beendet, und wer mit ihrem Plan nicht einverstanden sei, müsste zurücktreten. Auf den ersten Blick schien sie die Minister unterdrückt zu haben: Sie alle haben den Plan unterschrieben. Aber sobald die Sitzung vorbei war, begann ein richtiger Aufstand: Zunächst trat der Brexit-Minister David Daviszurück, und wenige Stunden später folgte auch Außenminister Boris Johnson seinem Beispiel.

Dabei knallten sie auch die Tür richtig zu: Der exzentrische Außenamtschef warf May vor, sie würde das Land „zu einem Halb-Brexit führen“, während ein großer Teil der britischen Wirtschaft weiterhin in die EU integriert bleiben würde, „wobei das Vereinigte Königreich dieses System gar nicht kontrollieren könnte“. Die Konzeption des „milden Brexits“ mache Londons Schwäche offensichtlich und würde nur die weitere Verschärfung der Position Brüssels bei den Brexit-Gesprächen zur Folge haben, so Johnson. Der EU-Unterhändler Michel Barnier hatte seinerseits gewarnt, Brüssel würde es nicht zulassen, dass der Freihandelsraum weiter bestünde, ohne dass die Briten die anderen Bedingungen des freien Marktes (Bewegung von Dienstleistungen, Menschen und Kapitalien) einhalten. Und wenn Großbritannien weiter Mitglied des Freihandelsraums mit der EU bleiben sollte, wäre das kein Brexit. Und das bedeutet nach Auffassung Johnsons, dass London keinen Brexit, sondern „den Status einer Kolonie bekommen würde“.

Ballast

Natürlich wussten die britischen zentralen Medien den „Patriotismus“ Davis‘ und Johnsons schlecht zu schätzen und stempelten sie zu Populisten und Saboteuren ab. Die „Financial Times“ warf Davis vor, seinen Job „gar nicht getan zu haben“: Zwischen Januar und Juni 2018 habe er sich nur drei Mal mit seinem EU-Pendant Barnier getroffen – und insgesamt nur vier Stunden mit ihm gesprochen. Dabei rückt der Brexit immer näher: Im März 2019 müsste Großbritannien die Union verlassen, und das bedeutet, dass schon im Oktober (ein halbes Jahr zuvor) die Brexit-Bedingungen endgültig abgesprochen sein sollten. Andernfalls würde das Vereinigte Königreich die EU überhaupt ohne alternative Abkommen verlassen und dann Verluste in Milliardenhöhe hinnehmen müssen, nicht zuletzt wegen der Verschlechterung des Investitionsklimas.

Johnson wurde zur Last gelegt, „Populist und Politikaster“ zu sein. „Einst positionierte er sich als Liberaler. Inzwischen gibt er sich aber als populistischer Führer der rechtsextremen Nationalisten“, schrieb Ian Birrell, der frühere Redenschreiber des Ex-Premiers David Cameron. „Er war früher Bürgermeister Londons und plädierte für den einheitlichen Markt. Aber jetzt musste er zurücktreten, weil die Premierministerin die Möglichkeit für britische Unternehmen aufrechterhalten wollte, mit der EU zu handeln.“ Andere Medien warfen Johnson vor, genauso wie Davis seine Pflichten mangelhaft erfüllt zu haben. Zudem sei er zu exzentrisch für einen so konservativen Posten wie Außenminister und deshalb ein eher unerwünschter Partner für viele seine Amtskollegen aus anderen Ländern gewesen.

Aber egal, was liberale Medien schreiben – eines ist klar: Der öffentliche Affront Davis‘ und Johnsons zeigte, wie instabil die britische Regierung wirklich ist. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, äußerte sich dazu wie folgt: „Die Umrisse der Regierungskrise (auf der Insel) werden immer offensichtlicher, und selbst der britische König der politischen Exzentrik wollte nicht mehr in diesem löchrigen Boot bleiben.“

Salisbury 2.0

Dieses Boot wird möglicherweise nicht versinken – die radikalen Konservativen (Anhänger des „harten“ Brexits) werden wohl versuchen, die Stimmen für ein Misstrauensvotum gegenüber der Regierung Mays zusammenzukratzen, aber die Premierministerin wird als Politikerin voraussichtlich doch „überleben“. Möglicherweise wegen des so genannten „russischen Faktors“. Denn als die vorige Regierungskrise ausgebrochen war, rief man in London den so genannten „Fall Skripal“ ins Leben, der Moskau vorgeworfen wurde und zudem die Nachrichten über die gescheiterten Brexit-Gespräche aus den Schlagzeilen verdrängte. Jetzt versuchte Mays Kabinett, quasi „Salisbury 2.0“ zu kreieren, als die Vergiftung von zwei Drogensüchtigen in Amesbury an die große Glocke gehängt wurde. Der britische Verteidigungsminister Gavin Williamson stellte das als „Russlands Angriff auf britisches Territorium“ dar.

Aber selbst wenn dieses „löchrige Boot“ doch über Wasser bleiben sollte, wird der Ruf seiner Insassen für immer beschädigt bleiben. Erstens bei ihren enttäuschten Wählern, um deren Gunst schon längst die Oppositionskräfte buhlen.

„In ihrer Regierung herrscht ein Chaos. Wenn sie doch im Sattel bleibt, wird klar und deutlich, dass sie sich an der Macht wegen ihrer eigenen Interessen festklammert, aber nicht, um unserem Volk zu dienen“, sagte dazu der Vorsitzende der Labour Party, Jeremy Corbyn. Und zweitens werden die britischen Politiker jedenfalls einen schlechten Ruf bei ihren EU-Kollegen in Brüssel haben, die inzwischen offenbar die letzten Reste des Respekts für London verloren haben und sich unverhohlen beleidigende Aussagen leisten. „Schade, dass die Brexit-Idee nicht mit Davis und Johnson verschwunden ist“, sagte der EU-Ratspräsident Donald Tusk.

„Politiker kommen und gehen, aber die Probleme, die sie für einfache Menschen verursachen, bleiben. Und das Brexit-Problem wird eines der größten in den Beziehungen zwischen der EU und Großbritanniens bleiben.“ Und das kann man wohl nicht bestreiten.

sputnik.de


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