Die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland nach Tunesien ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Im Jahr 2015 wurden 17 Tunesier in ihr Heimatland zurückgebracht. 2016 waren es 116 und 2017 bereits 251, wie das Bundesinnenministerium auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitteilte. In diesem Jahr sind von Januar bis Ende Mai schon 155 Menschen in den Maghreb-Staat zurückgeführt worden.
Hintergrund der gestiegenen Zahl sind Gespräche, die der frühere Innenminister Thomas de Maizière (CDU) mit den nordafrikanischen Maghreb-Staaten im Frühjahr 2016 geführt hat, um Abschiebungen zu erleichtern. Dabei ging es unter anderem um die schnelle Identifizierung und die Beschaffung der notwendigen Dokumente für die Ausreisepflichtigen.
Sami A.s Anwalt: "Ein unglaublicher Skandal"
Derzeit macht die möglicherweise rechtswidrige Abschiebung des als Gefährder eingestuften Sami A. Schlagzeilen. Sein tunesischer Anwalt fordert die sofortige Rückführung seines Mandanten nach Deutschland. A. hätte nie nach Tunesien abgeschoben werden dürfen, sagte Seif Eddine Makhlouf der "Bild"-Zeitung. Der Anwalt sprach von "einem unglaublichen Skandal", der in Deutschland passiert sei.
Keiner der Vorwürfe gegen A. sei jemals bewiesen worden. "Es gibt nichts, weshalb mein Mandant in Deutschland verurteilt wurde", sagte Makhlouf. Wenn A. tatsächlich der Leibwächter des 2011 getöteten Qaida-Führers Osama bin Ladengewesen wäre, "hätten die USA ihn nie frei durch Deutschland laufen lassen".
In Deutschland leben nach Angaben des Bundesinnenministeriums rund 760 Menschen, die als "Gefährder aus dem islamistischen Spektrum" eingestuft sind. Das bedeutet, dass die Sicherheitsbehörden ihnen schwere Straftaten zutrauen. Rund zwei Drittel davon sind entweder deutsche Staatsbürger oder Bürger eines EU-Lands. Von den Gefährdern aus sogenannten Drittstaaten, also weder Deutschland noch EU, ist nach Angaben des Ministeriums rund ein Drittel ausreisepflichtig.
A. war am Freitagmorgen in sein Heimatland Tunesien abgeschoben worden. Am Abend zuvor hatte das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen dies untersagt und die Entscheidung damit begründet, dass es keine Sicherheit gebe, dass A. in Tunesien nicht gefoltert werde. Dieser Beschluss kam beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) jedoch erst an, als das Flugzeug mit A. aus Düsseldorf schon Richtung Tunis in der Luft war. Am Nachmittag ordnete das Verwaltungsgericht dann an, der Mann sei nach Deutschland zurückzuholen. Die Abschiebung sei "grob rechtswidrig" und "verletzt grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien" (alle Hintergründe zum Fall Sami A. können Sie hier nachlesen).
Das NRW-Flüchtlingsministerium kündigte dagegen Beschwerde an, die zusammen mit der Ausländerbehörde der Stadt Bochum eingelegt werden solle. Dies wurde für diesen Montag erwartet.
Sollte das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen die Beschwerde gegen den Rückholbeschluss zurückweisen, ist eine Rückkehr von Sami A. dennoch unsicher. Die tunesische Justiz will ihn vorerst für eigene Ermittlungen im Land behalten. "Wir haben eine souveräne Justiz, die gegen ihn ermittelt", sagte der Sprecher der tunesischen Anti-Terror-Behörde. Diese Ermittlungen müssten abgewartet werden.
Der Fall Sami A. sorgt auch für Kritik von Politikern. "Entweder handelt es sich um absolut peinliches Chaos oder es stinkt zum Himmel, weil die Innenbehörden ein Exempel statuieren wollten", sagte der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck der "Süddeutschen Zeitung". "Vor allem ist zu klären, ob Innenminister Horst Seehoferin Person versucht hat, Recht zu beugen und die Gerichtsentscheidung umgehen zu lassen."
Zuvor hatte Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) vor einer Beschädigung des Rechtsstaates gewarnt. "Was unabhängige Gerichte entscheiden, muss gelten", sagte sie am Sonntag. Die Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz sei nicht verhandelbar.
spiegel
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