Brexit-Verhandlungen

  31 Juli 2018    Gelesen: 1180
Brexit-Verhandlungen

Britische Banken dürfen auch nach dem Brexit in der EU operieren - wünscht sich die Regierung in London. Brüssel ist vehement dagegen, doch die Briten haben einen Trumpf. Und drohen ihn nun auszuspielen.

 

Großbritanniens Unterhändler führen die Brexit-Gespräche nun offenbar auf die harte Tour. Sie haben laut einem Bericht des "Guardian" kürzlich ihren Verhandlungspartnern in Brüssel mit ernsten Konsequenzen gedroht, falls die EU britischen Finanzdienstleistern nach dem Brexit nicht denselben Zugang zum EU-Markt gewähren sollte wie bisher.

Konkret drohten die britischen Brexit-Verhandler offenbar damit, dass europäische Finanzdienstleister, die Kunden in Großbritannien haben, mit Auflagen belegt werden könnten, falls die EU nicht sämtlichen Sektoren der britischen Finanzindustrie einen Zugang wie bisher ermöglichen sollte. Als Beispiel wurden dem Bericht zufolge etwa 7000 europäische Investmentfonds genannt.

Brüssel lehnt Rosinenpickerei vehement ab

Bei diesem Streit geht es im Kern darum, welche Regeln nach dem EU-Austritt für die britische Finanzindustrie bei Geschäften innerhalb der EU gelten werden. Da Premierministerin Theresa May schon früh angekündigt hat, dass Großbritannien nach dem Brexit den europäischen Binnenmarkt verlassen soll, war eigentlich klar, dass die britischen Banken ihre "Passporting"-Rechte verlieren würden, die es ihnen bislang ermöglichen, EU-weit Dienstleistungen anzubieten. Darüber, was diese Regelung ersetzen soll, herrscht nun aber offenbar offener Streit.

Britische Vorschläge, wonach Großbritannien und die EU nach dem Brexit weiter automatisch die Regeln der anderen Seite anerkennen sollen, hat die EU schon früh ausgeschlossen. Denn dieses Prinzip der "wechselseitigen Anerkennung" ist einer der Grundsätze des europäischen Binnenmarkts. Dass sich London für die Zeit nach dem Brexit all jene Vorzüge des Binnenmarkts herauspickt, die es gerne behalten würde - das möchte man in Brüssel auf keinen Fall.

Daher bietet die EU Großbritannien bisher nur das "Äquivalenzregime" an, das für Drittstaaten wie die USA gilt. Britische Finanzdienstleister hätten dann zwar weiter Zugang zum EU-Markt. Doch der wäre begrenzt und könnte derzeitigen Regeln zufolge innerhalb von 30 Tagen widerrufen werden.

Brexit-Hardliner träumen von "europäischem Singapur"

London stört sich zudem daran, dass dieses Äquivalenzregime nicht genügend Sektoren der Finanzbranche abdecken würde. Und die Regierung in London wünscht sich ein Mitspracherecht bei der Frage, was geschehen soll, wenn Großbritannien eines Tages seine Finanzmarkt-Regulierungen ändert.

Viele Brexit-Hardliner träumen davon, das Land in ein "europäisches Singpur" zu verwandeln. Oder anders gesagt: in ein dereguliertes Steuerparadies vor den Küsten Europas.

Dass die EU von diesen Vorstellungen nicht viel hält, ist kaum verwunderlich. In Brüssel galt bislang die Devise, dass es kein maßgeschneidertes Abkommen für den britischen Finanzsektor geben dürfe. Was gut genug für US-amerikanische Finanzdienstleister sei, müsse in Zukunft eben auch gut genug für Großbritannien sein.

Völlig festgefahren ist die Lage aber offenbar nicht. EU-Brexit-Verhandlungschef Michel Barnier deutete kürzlich an, dass Brüssel Großbritannien ein Stück weit entgegenkommen könnte. Beide Seiten seien sich im Hinblick auf Finanzdienstleistungen einig, dass "der zukünftige Marktzugang" durch "eigenständige Entscheidungen auf beiden Seiten" geregelt werden müsse, sagte Barnier vor wenigen Tagen. Und auch bei Regulierungen solle es "eine enge Zusammenarbeit" geben.

Dennoch klaffen die Vorstellungen in London und Brüssel weiter weit auseinander.

Warnung der Zentralbank - Vertreter der britischen Finanzindustrie haben sich zuletzt immer deutlicher darüber beklagt, wie schleppend die Brexit-Verhandlungen laufen. Auch Großbritanniens Zentralbankchef Mark Carney warnte vor möglicherweise schweren Folgen eines harten Brexits. In einem Interview mit Bloomberg räumte Carney ein, dass der Brexit derzeit die Hälfte seiner Zeit in Anspruch nehme. Er warnte davor, dass ein chaotischer EU-Austritt Großbritanniens zu einem "ungeordneten Brexit-Stresstest" für viele Banken werden könnte.

Carney gab auch zu, dass infolge des Brexits ein "sehr großes" Finanzzentrum in Kontinentaleuropa entstehe könnte. Doch das werde im Großen und Ganzen ein "lokales" Zentrum sein. London hingegen werde ein "globales Finanzzentrum" bleiben.

Während sich Carney noch darum bemühte, Ruhe auszustrahlen, setzte sich in in der realen Welt der Trend in Richtung Europa fort: So berichtet die "Financial Times", dass die Deutsche Bank rund die Hälfte ihres sogenannten Euro-Clearingeschäfts von London nach Frankfurt verlegt. Das werde jedoch nur neue Geschäfte betreffen, sagte ein Sprecher später der "Süddeutschen Zeitung". Arbeitsplätze sollen dafür nicht verlegt werden.

Beim Clearing stellt ein sogenanntes Clearinghaus Forderungen, Verbindlichkeiten und Lieferverpflichtungen fest, die zwischen verschiedenen Banken oder zwischen Banken und ihren Kunden bestehen. Laut der "Financial Times" beläuft sich das Volumen des Euro-Clearing-Markts auf bis zu eine Billion Euro pro Tag. London hat hierbei die Nase vorn: Der Großteil des Euro-Clearings findet bislang in der britischen Hauptstadt statt.

Doch da London nach dem Brexit wohl nicht mehr der europäischen Finanzaufsicht unterstehen dürfte, ist unklar, wie viel von diesem wichtigen und lukrativen Geschäft in Zukunft weiter durch die City of London laufen wird. Clearinghäuser wie die Deutsche-Börse-Tochter Eurex versuchen derzeit aggressiv, so viele Kunden wie möglich aus Großbritannien abzuwerben.

Damit würde auch Frankfurt als Banken-Standort an Bedeutung hinzugewinnen - und London an Einfluss verlieren.

spiegel


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