Die USA und die anderen Länder seien demnach zu feige, um Bodentruppen in den Irak und nach Syrien zu schicken, „weil ihre Herzen voller Angst vor den Gotteskriegern“ seien. Der IS habe Israel im übrigen nicht aus dem Blickfeld verloren, wie die Juden glauben mögen, heißt es in der Botschaft. „Oh nein, wir haben Palästina nicht vergessen und werden es auch nie tun.“
„Habt Geduld, denn Gott ist mit euch“
Trotz neuer Drohgebärden und gewohnter Abfälligkeiten gegenüber IS-Gegnern: Die neue Botschaft hat letztlich nur den Zweck, die Moral der Kämpfer zu stärken. „Soldaten des Islamischen Staats, seid geduldig, denn ihr befindet euch auf dem richtigen Weg“, sagt die Stimme, die von IS-nahen Internetseiten als jene al-Baghdadis identifiziert wurde. „Habt Geduld, denn Gott ist mit euch.“
Die Botschaft kommt nicht zufällig gerade jetzt. Denn die Kämpfer benötigen – und das wie nie zuvor – moralischen Beistand. Ihre Geduld und ihr Glaube an Allahs Unterstützung für ihren Feldzug dürften allmählich aufgebraucht sein. Die Bomben der internationalen Koalition haben allein heuer tausende IS-Kämpfer getötet. Zudem hat das Schlachtenglück den IS in den vergangenen Monaten verlassen. Mit Propaganda versucht seine Medienabteilung, den Ruf einer unbezwingbaren Truppe aufrechtzuerhalten. „Mehr als 30 Polizisten“ habe ein „Team von fünf Selbstmordattentätern“ in der irakischen Stadt Ramadi getötet, hieß es vor wenigen Tagen großspurig im Internet. In Wirklichkeit waren es nur vier Polizisten, die verwundet worden waren, wie die irakische Militärführung klarstellte.
Wichtiger Sieg für Iraks Streitkräfte
Überdies dürfte Iraks Armee den IS am Sonntag praktisch gänzlich aus dieser wichtigen Stadt westlich von Bagdad vertrieben haben, im Zuge einer seit Wochen anhaltenden Offensive, die für das schwer angeschlagene Militär des Landes zur Prestigefrage geworden ist. Ramadi war die wohl letzte Chance, um nach einer Serie teils unglaublicher Niederlagen die arg ramponierte Reputation der Armee wiederherzustellen. Ramadi etwa war im Mai von seiner Garnison – mehr als 5000 Soldaten – fluchtartig verlassen worden, als einige hundert IS-Kämpfer in die Stadt vorgerückt waren.
Der IS ringt um positive Nachrichten, die Fanatiker geraten im Irak zunehmend unter Druck. Mit Ramadi hätten die Extremisten nach Tikrit, Badschi und Sinjar heuer schon die vierte irakische Stadt verloren. Wobei die Einnahme Ramadis, für die es am Sonntagabend noch keine unabhängige Bestätigung gab, der Sieg mit größerer Symbolkraft wäre: die Stadt am Euphrat ist kein beliebiger Ort, sondern Hauptstadt der Provinz Anbar, die als Machtbasis des IS gilt.
Und der Terrororganisation droht jetzt noch weit größerer Ärger: Sobald Ramadi erobert sei, versicherte Iraks Premierminister Haidar al-Abadi, soll Mossul zurückerobert werden. Dort, im Norden des Landes, hat al-Baghdadi im Juni 2014 das Kalifat ausgerufen. Seit Monaten stehen in der Region Truppen bereit und warten auf den Einsatzbefehl.
Die Audiobotschaft von IS-Führer al-Baghdadi appelliert nicht umsonst an die Geduld seiner Kämpfer. Denn die Zeichen der Zeit scheinen zusehends schlecht für die Terrororganisation zu stehen.
Vom Strom abgeschnitten
Im Irak ist sie auf dem Rückzug, jedoch auch in Syrien scheint sich das Blatt zu Ungunsten der Fanatiker zu wenden. Dort haben am Donnerstag die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) eine neue Offensive gegen den IS gestartet. Bereits nach vier Tagen hatte die Militärallianz aus Kurden und arabischen Milizen ihr Ziel erreicht. Sie eroberte den Tischrin-Damm am Euphrat, etwa 110 Kilometer südlich von Kobane – also jener Stadt hart an der türkischen Grenze, die der IS im Zuge einer monatelangen Schlacht gegen kurdische Truppen (Herbst 2014 bis Frühjahr 2015) nicht einnehmen konnte.
Damit kontrollieren die SDF die Elektrizität, die in die IS-Gebiete Nordsyriens fließt, aber noch entscheidender: Raqqa, die Hauptstadt des „Kalifats“, ist von mehreren wichtigen Nachschubrouten abgeschnitten. Für die SDF ist die Kontrolle des Tischrin-Dammes ein weiterer Baustein ihrer Strategie für einen gelungenen Großangriff auf das nur 100 Kilometer entfernte Raqqa.
Dem Kalifat geht es also nicht so gut, wie al-Baghdadi in seiner Botschaft behauptet. Es ist zu bezweifeln, dass „Muslime weltweit“ seinem neuen Appell Folge leisten und sich in Scharen an der Schlacht „gegen alle Ungläubige“ beteiligen werden. Wer auf der Verliererstraße ist, hat wenig Anziehungskraft – selbst dann nicht, wenn er behauptet: „Wir werden in jedem Fall siegen.“
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