Wladimir Putin und seine Amtskollegen aus dem Iran, Aserbaidschan und Turkmenistan werden sich am Sonntag auf Einladung des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew in Aktau am Kaspischen Meer treffen. Dieses Treffen soll zum Durchbruch verhelfen – nach 22 Jahren Zwistigkeiten soll nun endlich ein Übereinkommen über den Rechtsstatus des Kaspischen Meeres unterzeichnet werden.
Während das Interesse Russlands offensichtlich ist (Putin billigte den Entwurf des Übereinkommens bereits im Juni), war das Entgegenkommen des Irans eine Überraschung. Die Unnachgiebigkeit des Irans, der mit dem benachbarten Aserbaidschan ständig im Clinch über die Aufteilung der reichen Schelfvorkommen lag, war wohl eine der größten Hürden bei der Lösung der Kaspi-Frage. Doch scheint der iranische Präsident Hassan Rohani bereit zu sein, das Übereinkommen auf Billigung des Ayatollahs Ali Chamenei zu unterzeichnen. Im Mai gab es ein wichtiges und äußerst unangenehmes Ereignis für den Iran. Donald Trump machte plötzlich Ernst mit seiner Drohung — die USA stiegen aus dem Atom-Deal mit dem Iran aus und wiederbelebten die zuvor eingefrorenen Sanktionen.
Trump, der derzeit wegen neuer Russland-Sanktionen im Kreuzfeuer der Kritik steht, könnte man in diesem Fall Danke sagen. „Wenn es bei diesem Gipfel zu einem Fortschritt kommt, dann sind natürlich die US-Sanktionen gegen den Iran einer der Gründe dafür“, sagte Alexej Malaschenko vom Forschungsinstitut „Dialog der Zivilisationen“. „Die Iraner brauchen andere Auswege, es hat für sie keinen Sinn, die Beziehungen zu Aserbaidschan und Tadschikistan wegen des Kaspischen Meeres immer noch klären zu müssen “, sagte der Experte.
„Dieses Übereinkommen ist an sich das Basisdokument, das 60 bis 70 Prozent aller Fragen hinsichtlich des Kaspischen Meeres regelt. Das reicht aus, um mit der Erschließung der Vorkommen, mit der Heranziehung von Investitionen und mit der Ausrichtung der Wirtschaft auf die Ressourcen des Kaspischen Meeres zu beginnen. Ohne dies hätte niemand das Recht, etwas einseitig zu unternehmen, was die Nachbarstaaten beunruhigt“, sagte der Iran-Experte Radschab Safarow.
Dabei sieht der neue Status des Kaspischen Meeres einen für Russland wichtigen Aspekt vor – es wird garantiert, dass in dem Gewässer keine Streitkräfte von Nicht-Anrainern stationiert werden dürfen.
Auf der anderen Seite „garantiert die geplante Ordnung für das Meer freie Handlungsspielräume bei der Entwicklung der Marine, des Verkehrs und bei Handlungen der russischen Kriegsschiffe im gemeinsamen Gewässer“, sagte der stellvertretende russische Außenminister Grigori Karassin. Das ist wichtig angesichts der an Bedeutung gewinnenden Rolle der Kaspischen Flottille. Zur Erinnerung: Kalibr-Schiffe der Flottille beschossen Ziele in Syrien. Demnächst soll sie von Astrachan nach Derbent — also näher an die Seegrenze — verlegt werden.
In den vergangenen fünf Jahren wurde bisweilen berichtet, dass Kasachstan bereit sei, den USA und der Nato einen eigenen Hafen in Aktau zum Gütertransit nach Afghanistan zur Verfügung zu stellen. Von diesen Plänen, die in Moskau natürlich nicht gerne vernommen werden, war das letzte Mal im April dieses Jahres zu hören. Jetzt wird das Kaspische Meer rechtlich in ein Gewässer verwandelt, über das nur die Anrainer verfügen dürfen.
Welche Kompromiss-Formel haben die Diplomaten gefunden? Sie ist sehr originell – Kaspi ist demnach weder ein Meer noch ein See. „Es wird einen Sonderrechtsstatus geben“, sagte Grigori Karassin.
Während es vor 1991 nur zwei Kaspi-Anrainerstaaten gab – die Sowjetunion und den Iran, sind es jetzt fünf Länder. Für Schwierigkeiten sorgt auch der unklare Kaspi-Status, der auch für Geographen schwer zu definieren ist. Ist es der größte See auf der Erde oder ein Meer, jedoch ohne natürliche Verbindung zu den Ozeanen? Das ist auch eine wichtige Frage aus der Sicht der Geopolitik, Wirtschaft und des Völkerrechts.
Laut Völkerrechtsnormen werden Meere und Seen nach verschiedenen Prinzipien aufgeteilt. Wenn es um einen grenzübergreifenden See geht (worauf der Iran bis zuletzt beharrte), dann könnten alle fünf Anrainer eine Aufteilung seiner Ressourcen zu gleichen Teilen fordern. Handelt es sich jedoch um ein Meer, dann gilt die UN-Seerechtskonvention – mit einem 12-Meilen-Gebiet für jedes Land und einem neutralen Gewässer in der Mitte. Der Status eines Meeres würde auch bedeuten, dass sich auch Streitkräfte anderer Staaten, z.B. der USA, dort aufhalten können.
Es ist klar, warum der Iran die Variante Meer ablehnte – seine Kaspi-Küste ist gekrümmt, das souveräne Gebiet ist demnach viel kürzer als seine Ansprüche. Teheran beansprucht ein Fünftel des Gewässers und entsprechende Gas- und Ölvorkommen. 2001 kam es beinahe zu einem Krieg zwischen dem Iran und Aserbaidschan um ein Vorkommen. Kampfflugzeuge stiegen in den Himmel auf, es wurde das Feuer eröffnet. Damals wurde vereinbart, dass die Erschließung des Vorkommens einfach gestoppt wird. Zudem gab es einen heftigen Streit zwischen Aserbaidschan und Turkmenistan.
„Der Iran war nicht das einzige Land, das viele Ansprüche erhob. Turkmenistan tat dasselbe. Zudem gab es zwischen Turkmenistan und Aserbaidschan auch ungelöste Fragen zu den Gasvorkommen des Kaspischen Meeres“, sagte die Orientalistin Karine Geworgjan.
Jetzt scheint eine Lösung gefunden worden zu sein. Das neue Konzept sieht vor, dass der Boden und das Gewässer zu verschiedenen Teilen aufgeteilt werden. Konkret heißt das: in ein territoriales Gewässer, ein Fischereigewässer der Teilnehmerstaaten und ein „gemeinsames Gewässer“. Im gemeinsamen Gewässer können sich die Seestreitkräfte der Kaspi-Anrainer frei bewegen.
Auf den ersten Blick spielt der Kaspi-Kompromiss Moskau in die Hand. Doch es gibt auch Nachteile – das Übereinkommen würde Turkmenistan und Aserbaidschan ermöglichen, die Transkaspische Gaspipeline zu bauen, gegen die sich zuvor Russland gewehrt hatte. Der Grund war klar – der Transit des turkmenischen Gases via Aserbaidschan, Georgien, die Türkei und weiter in die EU bedeutet Konkurrenz für Turkish Stream und andere Pipelines. Allerdings meinen Experten, dass diese Gefahr nun nicht mehr so groß sei – fast das gesamte Gas haben die Turkmenen für lange Zeit nach China veräußert. In der EU sind die Gaspreise derzeit nicht auf einem Niveau, dass die neue Pipeline in der absehbaren Zukunft rentabel wird. Zwischen den fünf Anrainerstaaten entstand also plötzlich ein Konsens.
„Es entsteht der Eindruck, dass die lokalen Eliten müde von der Entwicklung sind und man zu irgendwelchem Abkommen übergehen soll“, meint Malaschenko. „Meines Erachtens wird es zu einem Abkommen kommen, das den meisten Seiten passen würde“, so der Experte.
Quelle: eurasischepresse
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