Hack den Herzschrittmacher!

  29 Dezember 2015    Gelesen: 1501
Hack den Herzschrittmacher!
Marie Moe will mehr über das Implantat wissen, das sie am Leben hält: Welche Schnittstellen hat ihr Herzschrittmacher? Wie sieht sein Code aus? Wer kann ihre Daten sehen?
Seit Marie Moe einen Herzschrittmacher implantiert bekommen hat, betrachtet sie sich als Teil des Internets der Dinge. Denn ihr Implantat hat zwei Schnittstellen, von denen eine dazu dient, Daten zu ihrer Herzaktivität über das Internet zu einem Arzt zu senden. Viele Patienten und auch Ärzte dürften das vor allem praktisch finden, weil es die Überwachung des Gesundheitszustands erleichtert. Moe sieht das ein wenig anders.

Die Norwegerin hat zum Thema Informationssicherheit promoviert, sie hat für Norwegens nationales Computer Emergency Response Team (Cert) gearbeitet, heute ist sie Mitglied einer Forschungsgruppe. "In sechs Jahren muss die Batterie meines Herzschrittmachers ausgetauscht werden", sagt sie in ihrem Vortrag auf dem 32. Chaos Communication Congress (32C3) in Hamburg, "und wenn es so weit ist, werde ich eine sehr schwierige Patientin sein". Eine, die ihren Ärzten viele Fragen stellt, die sie vielleicht nicht beantworten können.

Die 37-Jährige stört sich daran, wie undurchschaubar das lebenswichtige Gerät in ihrem Brustkorb für sie ist. Wie sieht die Software aus, was genau tut sie, wo hat sie vielleicht Schwächen? – All das möchte sie wissen, weil sie es gewohnt ist, eine informierte Konsumentin zu sein.

Hersteller haben keinen Anreiz zur Transparenz

Informationen über Herzschrittmacher sind aber rar. Hersteller hatten bisher weder einen Anreiz noch einen zwingenden Grund, ihre proprietären Programme zu öffnen und Details zu veröffentlichen. Selbst wenn sie es täten: Wie "informiert" kann ein "Konsument" schon sein, wenn er sowohl etwas von Software, Datensicherheit und Verschlüsselung als auch von Kardiologie wissen muss, um seinen Herzschrittmacher verstehen zu können?

Marie Moe und der Sicherheitsforscher Éireann Leverett wollten mit ihrem Vortrag auf dem 32C3 ein Bewusstsein unter ihresgleichen für diesen Mangel an Information schaffen. Im aufkommenden Internet der Dinge sind solche Wissenslücken keine Seltenheit, werden aber zum Beispiel bei kryptografischen Anwendungen längst nicht mehr hingenommen.

Mitunter entwarfen die beiden dabei Bedrohungsszenarien, die sie selbst für unwahrscheinlich halten: Da ging es plötzlich um kriminelle Hacker, die einen Herzschrittmacherträger erpressen könnten. Um andere Forscher wie den 2014 verstorbenen Barnaby Jack, der Träger von Implantaten aus mehreren Metern Entfernung hätte umbringen können. Um "Geschichten über Menschen, die wegen eines Softwarefehlers in ihrem Implantat gestorben sind".

Keine Angst vor Mordversuchen übers Internet

Später stellt Moe dann auf Nachfrage klar, dass sie nur von einem einzigen Fall weiß, in dem Letzteres passiert ist. Was kaum verwunderlich ist, denn die Hersteller dürften extrem genau auf ihre eigene Software achten. Sollte eine Firma in Verruf geraten, unzuverlässige Herzschrittmacher zu verkaufen, wäre sie sofort aus dem Geschäft.

Dementsprechend macht sich auch Marie Moe darüber nicht die allergrößten Sorgen. "Ich habe auch keine Angst, dass jemand meinen Schrittmacher hackt und mich tötet", sagt sie. Im Gegenteil, sie will ausdrücklich, dass Hacker sich mit den zunehmend vernetzten medizinischen Geräten beschäftigen, um sie sicherer zum Beispiel vor dem unbefugten Zugriff von außen auf persönliche Daten zu machen.

Sie selbst hat verschiedene medizinische Geräte bei Ebay ersteigert und angefangen, diese auf Schwachstellen zu untersuchen. Was sie fand, waren zunächst einmal nicht gelöschte Daten von Vorpatienten. Ihren eigenen Schrittmacher hat sie allerdings noch nicht auf die Probe gestellt.

Die Motivation für ihre Mission ist nicht zuletzt ihre persönliche Erfahrung. Kurz nachdem sie ihren Schrittmacher bekommen hatte, erfuhr sie am eigenen Leib, welche Macht die Maschine in ihrem Brustkorb über sie hat. Sie stieg gerade eine sehr lange Treppe in einem Londoner U-Bahnhof hinauf, weil ihr die Schlange am Fahrstuhl zu lang war, da glaubte sie, "vor eine Wand zu laufen". Sie bekam kaum noch Luft und schleppte sich mit letzter Kraft nach oben. Den Warnhinweis, dass Herzpatienten die Treppe nicht benutzen sollen, hatte sie übersehen.

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