Eigentlich hat Ralph Brinkhaus keine Chance. Der CDU-Politiker aus Gütersloh fordert den wichtigsten Mann in Angela Merkels Machtsystem offen heraus: Er will anstelle von Volker Kauder neuer Vorsitzender der Unionsfraktion werden. Am 25. September wird gewählt und auf den ersten Blick spricht alles gegen den freundlichen Abgeordneten aus Gütersloh. Unter Merkelianern wird man dieser Tage nicht müde, Brinkhaus als "Provinzpolitiker aus Wiedenbrück" kleinzureden. Ein "No-Name ohne Rückhalt und Chance" raunen sie, und tatsächlich hat Brinkhaus bislang keinen prominenten Fürsprecher gewonnen. Keine Landesgruppe, keine Seilschaft. Die merkelkritischen Abgeordneten um Jens Spahn würden sich über eine Niederlage Kauders zwar freuen, wollen aber ihr Pulver für Brinkhaus nicht verschießen. Weil die CSU kurz vor der Bayernwahl nicht als Merkelputschtruppe wahrgenommen werden will, hat sogar Horst Seehofer seine offizielle Unterstützung für Kauder kundgetan.
Zudem ist Ralph Brinkhaus so gar kein Rocker des Politischen, eher eine brave Bratsche im CDU-Orchester. Er ist nicht so angriffslustig wie Jens Spahn, nicht so messerscharf wie Carsten Linnemann, nicht so leutselig wie Julia Klöckner, nicht so weltgewandt wie Ursula von der Leyen, nicht so rechts wie Markus Söder und nicht so links wie Daniel Günther. Er verkörpert die solide Mitte der CDU - fachkompetent, verantwortungsbewusst, fleißig.
Genau darum aber ist sein Fehdehandschuh für das Merkel-Kauder-Machtkartell in der CDU so gefährlich für die Kanzlerin. Denn Brinkhaus steht für die Tatsache, dass der Widerstand gegen Merkel jetzt auch in der Mitte der CDU angekommen ist. Er ist kein rechter Störer und kein lauter Ego-Karrierist. Er scheut Medienauftritte eher und ist in der Fraktion als Teamplayer und Finanzexperte hoch respektiert - und sehr beliebt. Bei der Wahl als Fraktionsvize bekam der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer vor einigen Monaten bemerkenswerte 99,5 Prozent der Stimmen.
Ganz anders Volker Kauder. Er ist seit mehr als zwölf Jahren Fraktionschef der Union und hat sich unter den eigenen Leuten als Merkels Einpeitscher viele Feinde gemacht. Schon im vergangenen Herbst, inmitten der Nachwahlwirren, als die Union sich im Kontrast zur SPD unbedingt geschlossen zeigen wollte, bekam er nur noch 180 von den 239 abgegebenen Stimmen. Und seither hat er weitere Kollegen verprellt.
"Es ist ein Risiko, wenn du als Merkels Kandidat giltst"
Damit wird der Machtkampf doch spannender als es scheint. "Brinkhaus kann kaum gewinnen, aber Kauder kann sehr wohl verlieren", analysiert ein CDU-Abgeordneter die heikle Lage. Für Kauder wäre selbst eine Wiederwahl mit 60 zu 40 Prozent eine schwere Niederlage und Schwächung seiner Macht. Wenn aber nur 60 Abgeordnete sich von Kauder neu abwenden, wäre er sogar gestürzt. Mancher spielt dieser Tage genau mit diesem Gedanken, endlich ein Zeichen gegen die Bevormundung aus dem Kanzleramt zu setzen. Mehr als 90 Prozent der Abgeordneten sind direkt und nicht über Parteilisten gewählt. Dadurch sind sie gegenüber den Vorsitzenden selbstbewusster als früher. Und viele spüren in ihren Heimatwahlkreisen, dass endlich eine politische Wende von der CDU erwartet wird.
Insbesondere Konservative, Wirtschaftsliberale und Migrationskritiker wähnen in Kauders Abwahl einen Hebel, Merkel zu einer politischen Wende zu zwingen und das neue Selbstbewusstsein des Parlaments zu demonstrieren. So tauchten die Unions-Abgeordneten schon beim Streit zwischen Merkel und Seehofer um die Flüchtlingspolitik in ein völlig neues Gefühl von Gestaltungsmacht, als die Abgeordneten die beiden Parteichefs ultimativ aufforderten, sofort eine Lösung zu finden. Andernfalls wollte die Fraktion selber entscheiden.
Kauder wird insbesondere von CSU-Abgeordneten übel genommen, wie er die Bayern im Migrationsstreit behandelt hat. Die Macht der CSU-Landesgruppe ist aber mit ihren 46 Abgeordneten mit entscheidend am 25. September. Auch aus dem Wirtschaftsflügel ist zu hören, dass man den Finanzexperten Brinkhaus durchaus für eine gute Wahl halte, um endlich das marktwirtschaftliche Profil der Union wieder zu schärfen. Manche erinnern sogar an den früheren Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz, dessen Geist noch immer über der Fraktion schwebe und dessen einstmals rigorose Entmachtung durch Merkel nicht vergessen sei. Wieder andere wollen, dass endlich wieder ein Vertreter des Landesverbands Nordrhein-Westfalen an den Schalthebel der Macht kommt. Auch Katholiken in der Fraktion finden Gefallen an der Idee, ihren Konfessionskollegen zu wählen.
Bereits die Tatsache, dass es überhaupt einen Gegenkandidaten zu Kauder gibt, zeigt die größer werdenden Risse im Machtsystem der Kanzlerin. Plötzlich werden Personalien gegen ihren Willen entschieden: Spahn setzte sich gegen den Willen der Kanzlerin bei der Präsidiumswahl ebenso durch wie Norbert Lammert beim Kampf um den Vorsitz der Konrad-Adenauer-Stiftung. "Inzwischen ist es sogar ein Risiko, wenn du als Merkels Kandidat giltst", sagt ein Funktionär der Jungen Union. Merkels politische Tage seien gezählt, die Abgeordneten emanzipierten sich zusehends.
Und so könnten einige, die sich für die Zukunft positionieren wollen, ebenfalls gegen Kauder (seit dieser Woche 69 Jahre alt) und für den 50 Jahre jungen Brinkhaus stimmen. Seine schiere Kandidatur macht den Blick frei auf den Horizont der Nach-Merkel-CDU. Geschickt liefert Brinkhaus in der Migrationsfrage bereits ein neues Wording für mehr Grenzschutz: "Wir müssen weg von dem Schubladendenken. Wer sich gegen mehr Migration ausspricht, ist nicht automatisch ein Rassist. Wir brauchen deshalb eine neue Debattenkultur, damit wir diejenigen, die sich mit ihren Ängsten nicht ernst genommen fühlen, nicht in die Arme von populistischen Parteien treiben."
So könnte es doch noch spannend und denkbar werden, dass ein unterschätzter Neuling einen alten Fahrensmann zu Sturz bringt - einfach weil dessen Thron morscher ist als es scheint. Die Wahl wird geheim abgehalten und so wird jeder einzelne Abgeordnete sein ganz persönliches Hühnchen mit Kauder rupfen. Erste Abgeordnete erinnern schon an 1973, als die Unionsabgeordneten zwischen drei Kandidaten für den Fraktionsvorsitz wählen konnten: Richard von Weizsäcker, Ex-Außenminister Gerhard Schröder und Karl Carstens. Damals gewann überraschend der Parlaments-Neuling und Hinterbänkler Carstens.
Quelle: n-tv.de
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