Eine Schrecksekunde. Hat der bayerische Ministerpräsident nicht jemanden vergessen? Nein, er hat sich den höchstrangigen Gast für den Schluss aufgehoben: “Herzlich willkommen, Frau Bundeskanzlerin! Vielen Dank, dass Sie da sind.” Damit ist eines klar: Spannungen zwischen den Schwesterparteien, Streit in der Koalition - hier im Allgäu bei strahlendem Herbstwetter ist das kein Thema. Und am Ende gibt es für Angela Merkel mitten in Bayern stehend Ovationen.
Denn was vorher zu Merkels einzigem Auftritt im bayerischen Landtagswahlkampf hochstilisiert wurde, ist alles andere als das: Zum “Europapolitischen Symposium” der Europa-Union - einer unionsnahen Bürgerinitiative - im stuckverzierten Saal ist ein honoriges Publikum gekommen, für die CSU-Prominenz von Markus Ferber bis Theo Waigel sind die ersten vier Reihen reserviert, und zwischen den Reden spielt ein Mädchen aus der Ottobeurer Musikschule mit langen Zöpfen Blockflöte. Eigentlich, so wird in der Lokalpresse kolportiert, sei die Kanzlerin vor allem wegen des Konzerts in der Klosterkirche da, das nach dem Symposium stattfindet. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gibt Felix Mendelssohn Bartholdys “Paulus”.
Vom Saulus zum Paulus - das könnte sich auch Markus Söder vorgenommen haben. Der CSU-Politiker gibt dem Titel gemäß den Europäer: “Bei aller Kritik im Detail: Am grundsätzlichen Ja zu Europa kann es keine Zweifel geben.” Söder, der sonst gerne den Macher gibt, zitiert sogar ausdrücklich die Kanzlerin mit ihrer Abneigung gegen Schnellschüsse: Manchmal fehle in der Politik einfach die Geduld, um nochmals über eine Lösung nachzudenken. Und man dürfe vom europäischen CSU-Aushängeschild Weber nicht erwarten, dass er in Brüssel alle bayerischen Vorstellungen durchsetze: “Das klappt ja auch in Berlin” - Söder macht eine lange Pause - “nur ab und an”.
“GERADEZU LIEBEVOLL”
Den Rest der Spannung nimmt Ex-Bundesfinanzminister Waigel aus dem Aufeinandertreffen von Merkel und Söder: Er habe gerade seine Notizen vom legendären Trennungsbeschluss in Kreuth 1976 wiedergefunden, wo sich die CSU - kurz - von der CDU losgesagt hatte, berichtet er. “Im Vergleich dazu ist der Umgang zwischen den Schwesterparteien derzeit geradezu liebevoll.”
Die Kanzlerin spricht, eingerahmt von steinernen Reichsäbten und drei Engeln, für ihre Verhältnisse lange, eine halbe Stunde, und schlägt einen weiten Bogen vom Euro (“eine Versicherung für den Frieden”) über Donald Trump (“der anders als ich nicht an Win-Win-Situationen glaubt”) zur Migration - dem großen Streitthema in der Koalition. Doch das Klein-Klein in Berlin hat hier keinen Platz. Merkel deutet nach Afrika, wo der Schlüssel zur Lösung des Problems liege - und wo CSU-Mann Gerd Müller, der ganz aus der Nähe von Ottobeuren kommt und auch im Publikum sitzt, als Entwicklungshilfeminister das Richtige und Wichtige tue.
Den größten Beifall von den tief katholischen Allgäuern bekommt Merkel, als sie auf die Religion zu sprechen kommt. Die Säkularisierung der Gesellschaft sei ein Grund für die Angst vor dem Islam: “Wer selbst sein Fundament nicht mehr kennt, weiß nicht, wohin er integrieren muss. Es ist nicht verboten, sich zum Christentum zu bekennen.”
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