VW-Chef Diess beklagt "Feldzug" gegen das Auto

  17 Oktober 2018    Gelesen: 1025
VW-Chef Diess beklagt "Feldzug" gegen das Auto

Volkswagen-Chef Herbert Diess sieht die deutsche Autoindustrie auf eine schwere Krise zusteuern. Schuld daran sei der Trend zu sauberen Fahrzeugen.

 

Die deutsche Autoindustrie könnte nach Ansicht von Volkswagen-Chef Herbert Diess in den kommenden Jahren ihre Spitzenposition am Weltmarkt verlieren. "Aus heutiger Sicht stehen die Chancen vielleicht bei 50:50, dass die deutsche Automobilindustrie in zehn Jahren noch zur Weltspitze gehört", sagte Diess am Dienstag auf einer VW-Veranstaltung in Wolfsburg. Die Herausforderungen seien enorm, sagte der Manager. Er nannte den Handelskrieg zwischen den USA und China, den Brexit sowie die Beziehungen zu Russland und der Türkei.

Auch das neue Abgas-Testverfahren WLTP bringe die Industrie "an den Rand Ihrer Leistungsfähigkeit". Der WLTP soll auf dem Prüfstand realistischere Verbrauchswerte liefern, indem er das Fahrverhalten auf der Straße besser simuliert. Diess kritisierte erneut die sich abzeichnenden strengeren EU-Abgasgrenzwerte. "Der jetzige Feldzug gegen die individuelle Mobilität und damit gegen das Auto nimmt jedoch existenzbedrohende Ausmaße an."

Er denke dabei "an die beinahe hysterische Stickoxiddiskussion um wenige Problemzonen in unseren Städten, die sich in den nächsten Jahren fast von selbst auflösen werden", oder an die neuen CO2-Grenzwerte, die derzeit in Berlin und Brüssel verhandelt werden "und die den Automarkt vollständig revolutionieren werden".

Manchen Branchenkennern zufolge hat die Autoindustrie die Umstellung auf den neuen Abgastest lange Zeit verschleppt. "Die Hersteller hatten vier Jahre Zeit, sich auf den Einbau von Partikelfiltern vorzubereiten", sagt Michael Müller-Görnert, Experte vom Verkehrsclub Deutschland (VCD).

Die Einführung des WLTP wurde im Juni des vergangenen Jahres beschlossen. Der damalige VW-Chef Matthias Müller kritisierte schon damals die kurze Zeit zwischen Inkrafttreten der neuen Regeln und dem Erlass. "Es gab viel zu wenig Zeit für die Autohersteller, um zu reagieren", sagte Müller damals. Die Umstellung auf den WLTP kam also nicht überraschend für die Autoindustrie. Lange hatten die Konzerne allerdings versucht, strengere Verbrauchsprüfungen zu verhindern.

Diess sieht Umweltbilanz als Problem

Kritisch sieht Diess zudem den hohen Anteil an Elektroautos vor allem in Deutschland, weil der für den Antrieb benötigte Strom die Umweltbilanz eher verschlechtere als verbessere. "Mit ungefähr noch 600 Gramm CO2 in der erzeugten Kilowattstunde Strom rangieren wir im hinteren Mittelfeld in Europa", erläuterte Diess. "Und ich sehe derzeit nicht, wie wir bis 2030 unsere Primärenergie CO2-frei bekommen wollen."

Gelinge dies nicht, "fahren wir eben anstatt mit Benzin oder Diesel im Prinzip mit Kohle, auch wenn wir elektrisch unterwegs sind, schlimmstenfalls sogar mit Braunkohle", betonte der VW-Chef. "Das treibt die Idee der Elektromobilität ad absurdum!" Dann blieben die CO2-Emissionen in Deutschland gleich hoch wie heute oder stiegen sogar, obwohl in den Strukturwandel hin zur E-Mobilität Milliarden geflossen seien.

Die Konkurrenz in Stuttgart scheint hier optimistischer zu sein. Bei Mercedes heißt es, Elektroautos "verursachen in der Herstellung heute noch 80 Prozent höhere CO2-Emissionen als ein Verbrenner. Sie sparen aber im Fahrbetrieb mit konventionellem Strommix etwa 65 Prozent CO2 gegenüber diesem ein. Dadurch sind ihre Gesamtemissionen an CO2 über den ganzen Lebenszyklus bei gleicher Laufleistung um mindestens 40 Prozent geringer."

Dudenhöffer: "Nicht mit Angstschreien durch die Gegend laufen"

Neben strengeren Grenzwerten und der Umweltbilanz von E-Autos sieht VW-Chef Diess aber noch das Problem, "dass die Wertschöpfungstiefe bei E-Fahrzeugen geringer ist und somit weniger Personen benötigt werden, um die E-Autos herzustellen." Allen sei klar, "dass der Strukturwandel dazu führt, dass es weniger Arbeitsplätze in der Automobilindustrie in Deutschland geben wird", sagte Diess.

Der VW-Chef hatte bereits in der vergangenen Woche vor massiven Jobverlustenwegen der neuen CO2-Grenzwerte gewarnt. In gut zehn Jahren müsse so "etwa ein Viertel der Jobs in unseren Werken wegfallen", insgesamt etwa 100.000 Stellen.

Der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer widerspricht. Ohne strengere Vorgaben bestehe eher das Risiko, dass 200.000 Jobs wegfallen könnten, sagte er im Norddeutschen Rundfunk. Dudenhöffer beklagte, dass immer dann, wenn es um Innovationen wie Elektromobilität ginge, in der deutsche Automobilindustrie gleich mit dem Verlust von Arbeitsplätzen gedroht werde.

"Deutschland ist ein Innovationsland. Wir sollten unsere Stärke nutzen und nicht mit Angstschreien durch die Gegend laufen", sagte Dudenhöffer. In der Autoindustrie herrsche Angst, weil man heute gute Gewinne mache mit den alten Autos. Das sei aber nach Ansicht von Dudenhöffer falsch: "Dann verliert man in der Zukunft die Gewinne."

spiegel


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