Kein Schutz vor dem Pflanzengift

  06 Januar 2016    Gelesen: 733
Kein Schutz vor dem Pflanzengift
In Argentinien setzen Landwirte auf Glyphosat wie in kaum einem anderen Land – dass das Gift krank machen könnte, bestreiten sie. Doch der Widerstand wächst.
Einmal sei er mit seinen vier Kindern und seiner Frau komplett von einem sprühenden Lastwagen eingenebelt worden, erinnert Mendez sich. Bis heute weiß er nicht, um welche Substanzen es sich handelte. Auch was auf die Felder um sein Haus gesprüht wird, sagt man ihm nicht. Dabei wäre es für die Familie wichtig, das zu wissen. Denn Mendez` Frau ist an Blutkrebs erkrankt, seine zweijährige Tochter leidet unter wiederkehrenden Harnwegsinfektionen, ihre Schwester hat Magenprobleme. Wegen der Pestizide?
Aktivisten kämpfen in Argentinien seit Jahren gegen den Einsatz von Glyphosat. Sie machen ihn verantwortlich für die Häufung von Hautinfektionen und Krebs. In vielen kleinen Siedlungen, die heute zwischen riesigen Sojafeldern liegen, kommen diese Krankheiten heute auffällig oft vor. Ärzte zählen auch deutlich mehr Missbildungen bei Neugeborenen. Doch groß angelegte Studien über die möglichen Ursachen gibt es bis heute nicht. Meist bringen die Landwirte so viele unterschiedliche Pestizide zugleich aus, dass sich ohnehin kaum feststellen ließe, welcher Stoff der Gesundheit auf welche Art schadet.

Landwirte halten am Glyphosat fest

Die meisten argentinischen Landwirte sagen, es gebe für sie keine Alternative zu Glyphosat. "Gebe es eine, ich würde sie ausprobieren", sagt Pedro Ramírez. Der 68-Jährige arbeitet seit 35 Jahren auf einer Farm bei Saladillo, ein paar Hundert Kilometer vor Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires. Den Streit über mögliche Gesundheitsgefahren durch Glyphosat findet er einfach nur ärgerlich.

Ramírez fing als Melker an, heute verwaltet er die Finanzen der Farm. Es ist in Saladillo wie auf vielen anderen argentinischen Höfen: Die körperliche Arbeit haben längst Maschinen übernommen. Gemolken wird sowieso nicht mehr. Denn seit sich die Farm auf Soja spezialisiert hat, sind die Nutztiere weg. Auf 70 Prozent der 5.000 Hektar Anbaufläche des Familienbetriebes wächst Soja. Auf dem Rest pflanzen die Landwirte Weizen und Mais, meist im Wechsel mit Soja.

"Landwirtschaft in Argentinien ist Hightech", sagt Ramírez. "Wir bekommen hier keine Subventionen wie in der EU, wir müssen Gewinn erwirtschaften." Die Produktion sei hoch technisiert und spezialisiert, sie werfe große Erträge ab. Die Voraussetzung sei Glyphosat.
Bevor die Maschinen die Saat ausbringen, vernichten die Landwirte mit glyphosathaltigen Pestiziden und Herbiziden alle möglichen Schädlinge, die die Ernte bedrohen könnten. Ein Ernteausfall wäre für sie fatal. Die Felder erstrecken sich in allen Richtungen bis zum Horizont, die meiste Zeit des Jahres wächst ein und dieselbe Kultur. Dazwischen ragt hin und wieder eine dünne Reihe Bäume hervor. Sie stoppen etwas Wind, aber Insekten, Pilze oder Bakterien, die von einem Feld auf das nächste wandern, könnten sie nicht aufhalten.

Umstrittene Gutachten zu Gesundheitsgefahr

Ramírez fährt mit dem Fuß durch den staubigen Boden und wühlt verdorrte Maisstummel auf. Gleich soll es mit der Aussaat weitergehen. "Direktsaat", dieser Hinweis ist ihm wichtig. Argentinien sei neben den USA weltweit führend in der Technik. Dabei verzichten die Landwirte auf vorheriges Pflügen, das Saatgut wird direkt aufs Feld gegeben. Die Methode macht die intensive Landwirtschaft schneller, günstiger und effektiver. Aber sie funktioniert nur durch den Einsatz von deutlich mehr Chemie. "Keine Direktsaat ohne Glyphosat", sagt Ramírez.

Glyphosat ist das am häufigsten eingesetzte Pestizid der Welt. Von den 2,5 Millionen Tonnen Pflanzengift, die jährlich weltweit ausgebracht werden, sind rund 800.000 Tonnen glyphosathaltige Mittel, also ein Drittel – quer durch fast alle Pflanzenarten. Auch in Deutschland werden zwischen 30 und 40 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen mit Mitteln besprüht, die Glyphosat enthalten. Auch hier ist der Einsatz hoch umstritten. Während die WHO Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend einstuft, sieht das Bundesinstitut für Risikobewertung keinen Grund zur Sorge. Die Prüfer der EU kamen in einem viel kritisierten Gutachten zu dem gleichen Schluss. 96 renommierte Forscher wandten sich anschließend in einem offenen Brief gegen diese Bewertung.

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