Europas Rechte feiert - Macron muss bangen

  30 Oktober 2018    Gelesen: 622
Europas Rechte feiert - Macron muss bangen

"Schöne Grüße an die Merkel": Italiens Innenminister Salvini kommentiert den Rückzug der Kanzlerin hämisch. Andere europäische Spitzenpolitiker fürchten neuen Flüchtlingsstreit - und sorgen sich um den Euro.

Als "Königin von Europa" gilt sie schon länger nicht mehr - doch jetzt hat Angela Merkel angekündigt, den CDU-Vorsitz abzugeben und sich schrittweise komplett aus der Politik zurückzuziehen. Auch ein Amt bei der EU spielt in ihren Zukunftsplänen keine Rolle.

In Brüssel dürfte Merkels Ankündigung Folgen haben: Sie platzt mitten in eine Zeit der wegweisenden Entscheidungen etwa in der Frage von Flüchtlingen und Migration, bei der Reform der Eurozone, beim Brexit oder dem nächsten Haushalt der EU.

Migrationsgegner wie Ungarns Regierungschef Viktor Orbán oder Italiens rechtsnationaler Innenminister Matteo Salvini dürften Merkels Rückzug als Bestätigung dafür sehen, dass sie mit der Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik richtig lagen. Die Nachricht der Wahl in Hessen sei, "dass die in Brüssel regierenden Parteien einen epochalen Hammerschlag abbekommen haben", sagte Salvini. "Die sogenannte Rechte und die Grünen sind um zehn Punkte gestiegen, daher schöne Grüße an die Merkel und die Freunde der Bundesbank."

Anderswo in der EU sieht man den Grund für Merkels Niederlage gerade nicht in der Flüchtlingspolitik. In Hessen habe die CDU die meisten Stimmen nicht an die AfD verloren, bemerkte etwa der britische "Daily Telegraph", sondern an die Grünen - "die einwanderungsfreundlichste Partei des Landes".

Erfolgsaussichten für Euro- und Migrationsreformen werden kleiner

Sicher scheint nur eines: Merkels Chancen, die EU in der Migrationsfrage zu einen, sind weiter gesunken. Beim EU-Gipfel im Juni konnte sie nur mit Mühe und Not eine sogenannte europäische Lösung finden. Eine Lösung, die womöglich nie umgesetzt wird, sondern in erster Linie dazu diente, den Streit mit der CSU und deren Chef Horst Seehofer zu befrieden. Bei ihren EU-Partnern hat Merkel das viel politisches Kapital gekostet. Vor zwei Wochen, erneut beim EU-Gipfel, konnte sie nur knapp verhindern, dass Österreichs Kanzler Sebastian Kurz ihre Forderung nach einer Quote bei der Flüchtlingsverteilung beerdigte.

Auch die Erfolgsaussichten für die Euro-Reformen, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordert, werden durch Merkels Abgang auf Raten nicht größer. Eine geschwächte Kanzlerin kann dafür im Bundestag keine Akzeptanz und keine Mehrheit in ihrer Partei schaffen. Allerdings stehe Berlin derzeit ohnehin bei allen Fragen europäischer Veränderung auf der Bremse, meint etwa der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer. "Viel bewegungsunwilliger kann Deutschland gar nicht auftreten, auch wenn Merkel in einer Übergangszeit keine Parteivorsitzende mehr ist."

Aus Sicht des luxemburgischen Außenministers Jean Asselborn wird entscheidend sein, wer Merkel an der Parteispitze beerbt. "Wenn es jemand wird, der deutlich andere europapolitische Vorstellungen vertritt, dann wird es sehr schwer für Merkel." Ähnlich äußerte sich der CDU-Europapolitiker Elmar Brok. EU-Fragen würden deshalb "bei der Auswahl eine Rolle spielen". Unmittelbare Auswirkungen auf Brüssel erwartet aber auch Brok nicht - "weil Merkel bis 2021 Kanzlerin bleibt".

Keine Zukunft für Merkel in Brüssel

Sollte es so kommen, hätte Brüssel noch Zeit, sich an den Abschied der ewigen Kanzlerin zu gewöhnen. Merkel hat die Europapolitik im vergangenen Jahrzehnt geprägt wie einst Helmut Kohl, in der Finanz- und Eurokrise hatte sie zeitweise das Schicksal des Euro in der Hand. Nun stürzt sie also über Verluste bei Landtagswahlen in Bundesländern, die man im Ausland nur schwer auf der Landkarte verorten kann? Oder über den Dauerstreit mit dem im EU-Ausland ebenfalls unbekannten Seehofer? Für viele Diplomaten und Beamte aus anderen EU-Ländern ist das völlig unverständlich.

Europa ohne Merkel ist für viele so unvorstellbar, dass in regelmäßigem Abstand immer wieder die Idee aufkam, sie könnte nach ihrem Ausscheiden als Kanzlerin ein hohes EU-Amt übernehmen. In europäischen Medien war beispielsweise wiederholt die Rede davon, Merkel könnte als EU-Ratspräsidentin dem Polen Donald Tusk nachfolgen. Die Kanzlerin hat dieser ohnehin eher abwegigen Vorstellung nun selbst ein Ende gesetzt.

In Brüssel dürfte das diejenigen enttäuschen, die schon immer gehofft haben, dass Politiker vom Format einer Merkel der EU international größeres Gewicht verleihen könnten. Andere wiederum werden aufatmen. Denn Merkel gilt in Brüssel nicht nur als die Frau, die Griechenland in der Eurozone gehalten hat - sondern auch als diejenige, die anschließend eine eiserne Sparpolitik in der EU durchgedrückt hat.

Zur Symbolfigur von Europas Spaltung wurde sie dann endgültig in der Flüchtlings- und Migrationsfrage. Nicht wenige werfen Merkel vor, mit ihrem Alleingang vom Sommer 2015 den europaweiten Aufstieg der Rechtspopulisten zumindest beschleunigt und die EU tief gespalten zu haben.

Oettinger hilft Merz

Ganz außen vor im Machtspiel um die CDU-Nachfolge ist Brüssel aber nicht - dank des deutschen EU-Kommissars Günther Oettinger. Er ist in der CDU bestens vernetzt, gehört dem Präsidium an und genießt vor allem im von Merkel regelmäßig brüskierten Wirtschaftsflügel der Partei hohes Ansehen.

Zuletzt organisierte Oettinger für einen Gleichgesinnten ein paar Termine in Brüssel: Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz. Merz traf in der EU-Hauptstadt neben Oettinger EU-Beamte, die CDU/CSU nahestehen. Es ging um wirtschaftspolitische Themen, den möglichen Handelskrieg mit den USA und den Brexit.

All das ist keineswegs erstaunlich: Warum sollte sich Merz als Wirtschaftsanwalt und Aufsichtsratschef des deutschen Ablegers des Vermögensverwalters Blackrocknicht für diese Themen interessieren? "Merz ist ein hochpolitischer Mensch, das war spürbar", sagt ein Teilnehmer der Runde dem SPIEGEL.

Interessant ist jedoch, wie die eigentlich völlig unbedeutende Stippvisite anschließend in der "Welt" vermeldet wurde. Merz habe sich über Brüssels Sicht auf die Europapolitik der Kanzlerin erkundigen wollen, hieß es, der Besuch sei ein "Testlauf" gewesen. Heute ahnt man, wofür: Merz soll sich laut "Bild"-Zeitung unmittelbar nach Merkels Rückzugsankündigung für den CDU-Vorsitz ins Spiel gebracht haben.

spiegel


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