Ryanair-Streit mit Personal

  05 November 2018    Gelesen: 657
Ryanair-Streit mit Personal

Wochenlang haben Piloten und Flugbegleiter von Ryanair gestreikt: gegen ihre prekären Arbeitsbedingungen. Politiker sind entsetzt über die Zustände beim Billigflieger. Doch die Manager zeigen sich uneinsichtig.

Wer wissen will, was Michael O'Leary über seine Mitarbeiter denkt, sollte sich ein älteres Zitat anschauen, das dem Ryanair-Chef zugeschrieben wird:

" MBA-Studenten verzapfen: 'Unser Personal ist unser wichtigstes Kapital.' Bullshit! Das Personal ist normalerweise unser größter Kostenblock. Wir alle beschäftigen einige faule Bastarde, die einen Tritt in den Hintern brauchen."

Ein paar der sogenannten "faulen Bastarde" wird Ryanair nun los, nach den wochenlangen Streiks des Sommers quer über Europa. Diesen Montag macht der größte europäische Billigflieger seine Basen in Bremen und in Eindhoven dicht - und zieht außerdem Jets aus Weeze am Niederrhein ab. An allen drei Standorten hatten sich Ryanair-Mitarbeiter an Streiks beteiligt. Die Schließungen jetzt hätten damit nichts zu tun, beteuerte Vorstandschef O'Leary. Der wahre Grund seien hohe Treibstoffpreise: "Öl ist bei 85 Dollar, ihr Idioten."

Die niederländischen Richter hat diese Argumentation nicht überzeugt. "Es hat allen Anschein, dass der Beschluss als Sanktion auf frühere Streikaktionen genommen wurde", urteilte ein Gericht in der Stadt Den Bosch. Es verbietet Ryanair die geplante Zwangsversetzung von in Eindhoven stationierten Piloten und Crewmitgliedern - und ordnet an, der Konzern müsse deren Gehälter fortzahlen. Trotzdem stellen die Ryanair-Manager dem Eindhovener Personal nun ein Ultimatum. "Wir haben Ihnen einen Basis-Transfer angeboten", heißt es in dem Schreiben, das dem SPIEGEL vorliegt. "Wenn Sie das nicht als freiwilligen Transfer annehmen, wird das dazu führen, dass Sie nach der Schließung der Basis Eindhoven entlassen sind."

Mit dem Drohbrief stellt sich Ryanair gegen die Justiz. Und treibt den monatelangen Konflikt mit seinen Mitarbeitern, den Gewerkschaften und der Politik auf die Spitze. Es ist ein riskantes Spiel: auch für Ryanair selbst. Denn das Geschäftsmodell der Iren, Kostendrücken um jeden Preis, gerät immer mehr ins Wanken.

Jahrzehntelang hat O'Leary die Mitarbeiter klein gehalten. Flugbegleiter etwa wurden en masse über Leiharbeitsfirmen angeheuert. Ihre Arbeitsbedingungen sind in diesen Konstrukten oft prekär; wer etwa krank ist, kriegt kein Geld. Und wer den Passagieren nicht genug Rubbellose und Drinks andreht, muss um den Job fürchten. "Wenn Sie ein schlechter Verkäufer sind, sind Sie weg", hat O'Leary gedroht. Er selbst will das Unternehmen noch zwei oder drei Jahre führen.

Viele Piloten und Co-Piloten werden über ein sogenanntes Contractor-Modell beschäftigt. Die Kapitäne müssen eine Art Ich-AG gründen und Verträge mit Personalagenturen abschließen, ehe sie ins Ryanair-Cockpit steigen dürfen. Formal sind sie selbständig, der Konzern spart dadurch Millionen. Auch deshalb kann er so billige Tickets anbieten. Gewerkschaften gab es bei Ryanair lange gar nicht, O'Leary verhöhnte sie als "Rohrkrepierer".

"Die Manager versuchen auf Zeit zu spielen"

Jahrelang hielt das System Ryanair. Doch nun revoltieren die Mitarbeiter. Hunderte Piloten haben das Unternehmen verlassen; schon im Herbst 2017 musste die Fluglinie Zehntausende Flüge streichen. Denn Kapitäne sind knapp geworden in Europa. Diesen Sommer folgte dann ein Streik auf den nächsten: Piloten und Flugbegleiter legten ihre Arbeit nieder. In Irland, Italien, Spanien, Portugal, Belgien, den Niederlanden oder Deutschland. O'Leary muss nun wohl oder übel mit den "Rohrkrepierern" reden.

Mancherorts hat der Konzern Zugeständnisse gemacht und Abkommen geschlossen. Gerade in Deutschland gehen die Gespräche aber kaum voran, sagt Markus Wahl, Vizepräsident der Pilotenvereinigung Cockpit. "Die Manager versuchen, auf Zeit zu spielen und jeden denkbaren Fortschritt so weit wie möglich nach hinten zu verschieben. Offenbar wollen sie uns zermürben. Aber da machen wir nicht mit." Die Cockpit-Piloten könnten jederzeit wieder streiken.

"Flugzeuge am Boden. Nicht in der Luft." So verspottete Ryanair 2015 in einer Anzeige die damals streikgeplagte Lufthansa. 2018 indes müssen die Jets mit der irischen Harfe am Heck am Boden bleiben - wieder und wieder. Das ist zunehmend geschäftsschädigend für Ryanair. Gerade musste O'Leary seinen Aktionären eine Gewinnwarnung verkünden. Der Börsenwert ist seit November 2017 um mehr als 30 Prozent oder 6 Milliarden Euro gefallen.

Zugleich wächst der politische Druck auf Ryanair. Die EU-Kommission hat den Konzern aufgefordert, europäische Sozialstandards zu beachten - und Mitarbeiter an Standorten in Kontinentaleuropa nicht mehr nach dem unternehmensfreundlichen irischen Arbeitsrecht, sondern nach dem jeweiligen lokalen Recht zu beschäftigen.

Jetzt verlangen die Arbeitsminister fünf europäischer Länder, diesen Mitarbeitern schnellstmöglich nationale Arbeitsverträge zu geben. Es müsse garantiert sein, "dass nach einer sehr kurzen Übergangsphase alles Personal vor Ort dem lokalen Arbeitsrecht unterliegt", heißt es in ihrem gemeinsamen Brief an O'Leary, der dem SPIEGEL vorliegt. Ein Ryanair-Sprecher erklärt dazu auf Anfrage: "Wir führen weiterhin Verhandlungen mit unseren Mitarbeitern und ihren Gewerkschaften in ganz Europa, und wir haben bereits bestätigt, dass wir lokale Verträge und lokale Gesetzmäßigkeiten bieten."

"Menschen nicht mehr wie Freiwild behandeln"

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will das deutsche Arbeitsrecht wegen Ryanair verschärfen. Der SPD-Politiker ist entsetzt, nachdem er Basen in Berlin und Frankfurt besucht hat. Unter anderem erzählten ihm Ryanair-Mitarbeiter, dass sie wegen Krankmeldungen zu disziplinarischen Anhörungen nach Dublin einbestellt wurden oder dass ihnen erklärt wurde, sie würden bei einem Streik gefeuert. Die Unternehmensleitung habe versucht, "streikende Arbeitnehmer zu bedrohen und zu drangsalieren", sagt Heil, der den Brief an O'Leary mitverfasst hat. "Hier werden elementare Arbeitnehmerrechte mit Füßen getreten und wird Globalisierung mit Ausbeutung gleichgesetzt."

Heil will nun § 117 des Betriebsverfassungsgesetzes ändern: Piloten und Flugbegleiter sollen künftig auch ohne Tarifvertrag einen Betriebsrat gründen dürfen. Gewerkschaftler versprechen sich davon den Durchbruch. "Das ist eine Chance, dem System beizukommen", sagt Christine Behle, Leiterin des Fachbereichs Verkehr bei Ver.di. "Dann kann das Ryanair-Management die Menschen nicht mehr wie Freiwild behandeln und sie nicht mehr so einfach zwangsversetzen."

Heils Vorstoß könnte in der Großen Koalition durchkommen, denn auch der Arbeitnehmerflügel der Union prangert Ryanair an. "Unternehmen, die ihren Beschäftigten sowohl Tarifverträge als auch betriebliche Interessenvertretungen aktiv verweigern, sind rückwärtsgewandt", sagt Uwe Schummer, Vorsitzender der CDU/CSU-Arbeitnehmergruppe im Bundestag. "Wir können nicht hinnehmen, dass Ryanair massiv die Regeln missachtet."

Die Streiks zeigen indes auch Wirkung auf das Geschäft. Als O'Leary jüngst die Gewinnwarnung verkünden musste, klagte er, die Vorausbuchungen für das wichtige Weihnachtsgeschäft hätten in jenen Ländern gelitten, in denen viel gestreikt wurde. Offensichtlich fürchten Kunden neue Ausstände und massenweise abgesagte Flüge.

Zu Recht. Denn dieses Szenario ist zumindest nicht unwahrscheinlich. "Leider bewegt sich Ryanair in vielen zentralen Punkten gar nicht. Stattdessen versucht das Management, mit den Schließungen in Eindhoven und Bremen den Druck auf die Mitarbeiter zu erhöhen", sagte Dirk Polloczek, Präsident des Dachverbandes der europäischen Pilotenvereinigungen, dem SPIEGEL. "Ich glaube, es wird weitere Streiks geben." Laut Insidern erwägen Flugbegleiter und Piloten einen gemeinsamen europaweiten Ausstand.

Quelle : spiegel.de


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