Donald Trump wartete nicht. Die Stimmen bei den Kongresswahlen waren noch nicht ausgezählt, da griff der US-Präsident gnadenlos durch. Keine 24 Stunden nach dem Ende der Wahl entledigte er sich seines Justizministers Jeff Sessions, der ihm wegen der Russland-Ermittlung seit langem ein Dorn im Auge war. Trump installiert kommissarisch einen Mann auf dem Posten, der ihm gegenüber als loyal gilt - und nährt damit Spekulationen, er könne der ihm so verhassten Untersuchung ganz den Riegel vorschieben wollen.
Während die Sender noch analysieren, warum Trumps Republikaner die Kontrolle über das Repräsentantenhaus verloren haben und ihre Mehrheit im Senat behaupten konnten, nahmen die Ereignisse hinter den Kulissen offenbar längst ihren Lauf. Trumps Stabschef John Kelly soll Sessions angerufen und ihm zum Rücktritt aufgefordert haben. Das berichteten die "New York Times" und andere US-Medien. Trump gab am Mittag eine Pressekonferenz, eine Frage zu Sessions ließ er unbeantwortet. Wenig später verkündete er bei Twitter, dass der Minister geht.
Aggressiver Schachzug
Es ist ein aggressiver Zug, mit dem Trump einmal mehr ein politisches Erdbeben auslöst. Von einer drohenden Verfassungskrise ist die Rede. Die Demokraten warnen den Präsidenten in scharfen Worten davor, sich in die Russland-Untersuchung von Sonderermittler Robert Mueller einzumischen oder sie gar zu beenden. Es sei klar, dass der Präsident etwas zu verbergen habe, schreibt der Fraktionschef der Demokraten im Senat, Chuck Schumer, auf Twitter.
Über Trumps Motive lässt sich zu diesem Zeitpunkt nur spekulieren. Hat er sich eines unliebsamen Ministers entledigt, weil er sein Kabinett ausschließlich mit Getreuen füllen will? Oder steckt womöglich mehr dahinter? Ist es am Ende gar der Versuch eines Befreiungsschlags von den Russland-Ermittlungen? Loyalität ist Trump wichtig und Sessions hat es sich früh mit dem Präsidenten verscherzt. Im März 2017 zog sich der Minister aus den Russland-Untersuchungen des FBI zurück, weil er persönlich befangen war.
Trump hat Sessions nie verziehen
Als oberster Chefankläger hat er die Aufsicht über die Bundespolizei und wäre damit eigentlich auch für die Untersuchung zuständig, die sich mit der Frage beschäftigt, ob es bei der mutmaßlichen Einmischung Russlands in die Präsidentschaftswahl geheime Absprachen zwischen Trumps Wahlkampflager und Moskau gab. Sessions hat sich während des Wahlkampfes mit dem damaligen russischen Botschafter in Washington, Sergej Kisljak, getroffen und das später vor dem Senat verschwiegen - während er unter Eid stand. Als das rauskam, überließ Sessions die Ermittlungen seinem Stellvertreter Rod Rosenstein. Es war Rosenstein, der zwei Monate später Robert Mueller zum Sonderermittler ernannte, um die Untersuchung zu führen. Ein Schritt, der dadurch ausgelöst wurde, dass Trump den FBI-Chef James Comey gefeuert hatte.
Trump hat Sessions das alles nie verziehen. Immer wieder attackierte er ihn mit scharfen Twitter-Salven oder schimpfte in Interviews und auf Pressekonferenzen über den 71-Jährigen. Es spielte keine Rolle, dass der Minister ansonsten in Bereichen wie der Einwanderungspolitik eifrig die harte Linie Trumps umsetzte. Er war in Ungnade gefallen. Was die Entwicklung so delikat macht, ist, dass Trump mit Matthew Whitaker vorübergehend einen Mann auf den Posten des Justizministers gesetzt hat, der sich in der Vergangenheit kritisch über den Umfang der Russland-Untersuchung geäußert hat. Jene Ermittlungen also, über die er nun die Aufsicht hat.
Geburtsstunde der "Hexenjagd"
In einem Beitrag für den Sender CNN schrieb Whitaker im vergangenen Jahr, dass es zu weit gehen würde, sollte Mueller die Finanzen von Trumps Familie unter die Lupe nehmen. Sollte das passieren, "würde es ernsthafte Bedenken darüber aufwerfen, dass die Untersuchung des Sonderermittlers eine reine Hexenjagd ist", erklärte er. Trump hat die Ermittlungen immer wieder als "Hexenjagd" bezeichnet. Whitaker dachte zudem laut bei CNN darüber nach, wie man Muellers Ermittlung ein Ende setzen könnte. Er brachte ein Szenario ins Spiel, in dem Trump einen kommissarischen Justizminister ernennt, der das Budget des Sonderermittlers so zusammenstreicht, dass die Untersuchung zum Erliegen kommt. Als er das sagte, arbeitete er noch nicht für die Regierung. Erst zwei Monate später wurde er Sessions' Stabschef.
Wie Whitaker sich nun verhalten wird, ist unklar. Auch steht noch gar nicht fest, wie lange er das Ministerium überhaupt leiten wird. Trump hat angekündigt, den eigentlichen Nachfolger für Sessions' "zu einem späteren Zeitpunkt" bekannt geben zu wollen. Üblicherweise rückt bei einer Entlassung oder einem Rücktritt der Stellvertreter vorübergehend auf den Posten des Ministers auf. Rosenstein, der bislang die Aufsicht über die Ermittlungen hatte, stand bei Trump ebenfalls zwischenzeitlich in Ungnade. Er hat in einer Anhörung vor dem Senat gesagt, dass man einen Sonderermittler nicht ohne triftigen Grund feuern könne und dass er einen solchen Grund nicht gegeben sieht.
Midterms als Sieg umgedeutet
Dass Trump nun Whitaker und nicht Rosenstein zum amtierenden Minister gemacht hat, ließ bei den Demokraten die Alarmglocken schrillen. Sie warfen Whitaker wegen seiner früheren Äußerungen Befangenheit vor. Es steht der Vorwurf im Raum, dass Trump ihn bewusst eingesetzt hat, um Mueller loszuwerden. Als Präsident kann er den Sonderermittler nach Auffassung von Rechtswissenschaftlern nicht selbst entlassen. Mit Whitaker hätte er einen loyalen Mann an der Schaltstelle. Ein anderes Szenario, das US-Medien ins Spiel brachten, ist, dass er die Ermittlungen nicht beendet, sie aber einschränkt. Möglich scheint aber auch, dass nichts passiert und Mueller weiterhin freie Hand hat.
Das Thema dominierte die Debatte in Washington. Nur einen Tag, nachdem seine Republikaner die Kontrolle über das Repräsentantenhaus verloren haben, hat Trump neue Schlagzeilen produziert, die die Berichterstattung über die Wahlen vielerorts übertönten. Bei den Nachbeben seiner Entscheidung wird der Präsident fast 6200 Kilometer von Washington entfernt sein: Gemeinsam mit First Lady Melania Trump fliegt er an diesem Freitag nach Paris. Getreu seinem Motto, niemals eine Blöße einzugestehen, hatte Trump die Wahl zu einem "großartigen Sieg" umgedeutet. Immerhin konnten die Republikaner zumindest die Kontrolle über den Senat behalten.
Wohl kein Gespräch mit Putin
Mit dem entsprechenden Selbstbewusstsein reist Trump nun nach Europa, wo er die Feierlichkeiten zum Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren besuchen will. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat zahlreiche Staats- und Regierungschefs nach Paris eingeladen, zu den Gästen wird auch Kremlchef Wladimir Putin gehören. Ein Treffen Trumps mit Putin war in Paris angedacht, nachdem der US-Präsident im vergangenen Monat angekündigt hatte, aus einem der wichtigsten nuklearen Abrüstungsverträge mit Russland auszusteigen. Moskau will am sogenannten INF-Vertrag festhalten. Trump sagte zuletzt aber, dass es wohl kein bilaterales Gespräch geben werde.
Ohnehin ist jedes Treffen der Präsidenten durch die Vorwürfe der US-Geheimdienste aufgeladen, Putin habe Hackerangriffe orchestriert, um Trump im Wahlkampf zu helfen. Bei seinem Gipfel mit Putin im Juli sorgte Trump für einen Eklat, als er die Erkenntnisse seiner Geheimdienste öffentlich anzweifelte. Muellers Ermittlungen diskreditierte er damals als "Hexenjagd".
Quelle: n-tv.de
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