Boeing soll Piloten nicht informiert haben

  13 November 2018    Gelesen: 979
Boeing soll Piloten nicht informiert haben

Was genau führte zum Absturz von Flug JT-610 vor der Küste Indonesiens? Bei der Suche nach der Unglücksursache erheben Experten schwere Vorwürfe gegen Boeing. Der US-Konzern soll Piloten den Einbau einer Roboter-Steuerung verschwiegen haben.

Der Flugzeugbauer Boeing sieht sich im Zusammenhang mit dem Absturz von Flug JT-610 der indonesischen Fluggesellschaft Lion Air mit gravierenden Vorwürfen konfrontiert. Der Hersteller der Unglücksmaschine soll Hinweise auf mögliche Risiken beim Betrieb eines neuen Flugkontrollgeräts verschwiegen haben, was eine Rolle beim Absturz im Oktober gespielt haben könnte.

Das behaupten Sicherheitsexperten, die den Flugzeugabsturz untersuchen. Mehrere Piloten, die mit der Cockpit-Technik vertraut sind, sowie Vertreter der US-Luftfahrtbehörde FAA hätten sich den Vorwürfen angeschlossen, heißt es in einem Bericht der Nachrichtenagentur Dow Jones Newswires.

Bei dem fraglichen System handelt es sich demnach um eine Steuerungseinheit, die in den Boeing-Modellen 737 Max-8 und Max-9 zum Einsatz kommt. Das Modul soll eigentlich dazu dienen, einen drohenden Strömungsabriss an den Tragflächen zu verhindern. Wenn die Sensoren eine solche Situation während des Fluges registrieren, kann das System über den Autopiloten in die Steuerung eingreifen und Maßnahmen zur Stabilisierung einleiten.

Dabei könne es allerdings passieren, heißt es, dass das Gerät die Flugzeugnase plötzlich und stark nach unten richtet, was sich durch die Crew nicht mehr verhindern lasse. Dass ein solches Szenario unter gewissen Umständen denkbar ist, hatte der Flugzeughersteller erst vor einer Woche selbst eingeräumt.

Um Fahrt aufzunehmen und den drohenden Strömungsabriss zu verhindern, geht das Flugzeug in einer solchen Situation dann selbstständig in den Sturzflug über. Die automatischen Steuerbefehle lenken die Maschine offenbar auch dann noch in die Tiefe, wenn die Piloten versuchen, die Maschine manuell neu auszurichten. Ein solcher Ablauf, so vermuten die Experten, könnte die Lion-Air-Maschinezum Absturz gebracht haben. Die bislang bekannten Details zum Unfallhergang stützen eine solche Annahme.

Die Vorwürfe lösen in der Luftfahrtbranche und darüber hinaus großes Aufsehen aus: Piloten der betroffenen Boeing-Modelle äußerten sich dem Bericht zufolge überrascht, dass es in diesem Zusammenhang keine Herstellerinformationen an Flugzeugführer mit Max-8- und Max-9-Zulassung gegeben habe. Entscheidend wäre der Hinweis gewesen, heißt es, dass in einem solchen Szenario der Autopilot tatsächlich abgeschaltet werden müsse.

"Warum wurden sie nicht trainiert?"


Ihren Angaben zufolge wurden die Piloten der betroffenen Maschinen durch den Hersteller nicht darüber informiert, dass das neu eingeführte Gerät unter Umständen selbstständig die Kontrolle über die Flugzeuge übernehmen kann. Weder sie noch die Manager der Fluggesellschaften seien über den Einbau der Geräte informiert worden, hieß es. Daher habe sich auch niemand in der Praxis mit den potenziellen Risiken dieser Steuerungstechnik beschäftigen können.

Die Vorwürfe rücken den US-Luft- und Raumfahrtkonzern Boeing ins Zentrum der Ermittlungen. Kritik kommt auch von einflussreichen Branchenvertretern aus den USA: Mike Michaelis, der Chef des Sicherheitsausschusses der Piloten bei American Airlines sagte, es sei ziemlich dumm von Boeing, ein System in den Flugzeugen einzuführen, ohne die Piloten zu informieren, insbesondere wenn das Gerät die Flugkontrolle übernehmen kann. "Warum wurden sie nicht trainiert?", fragte der Pilot.

Zu den Vorwürfen wollte sich der Hersteller zunächst nicht ausführlich äußern. Boeing wolle zunächst alle Aspekte des Unfalls im vergangenen Monat verstehen, hieß es in einer knappen Mitteilung. Dazu arbeite der Konzern mit den Behörden zusammen. Der Flugdatenschreiber konnte bereits geborgen werden.

An den Arbeiten sind neben den lokalen Behörden auch Experten der US-Luftfahrtaufsicht FAA beteiligt. Was den Ermittlern allerdings noch fehlt, sind die Stimmaufzeichnungen aus dem Cockpit. Für die Rekonstruktion der Abläufe in den letzten Sekunden vor dem Absturz dürfte der sogenannte CVR-Rekorder entscheidende Hinweise liefern.

FAA-Warnung für alle Boeing 737 Max


Schon jetzt zeichnet sich jedoch ab, dass der Absturz von Flug JT-610 erhebliche rechtliche und wirtschaftliche Folgen für Boeing haben könnte. Der Betreiber der Unglücksmaschine, die indonesische Fluggesellschaft Lion Air, zählt zu den Großkunden des US-Flugzeugbauers. Bei der abgestürzten Maschine handelt es sich um eine technisch rundum erneuerte Version der weltweit im Einsatz befindlichen 737-Reihe von Boeing. Mitte vergangener Woche veröffentlichte die US-Luftfahrtaufsicht bereits eine dringliche Anweisung zur Flugtauglichkeit ("Emergency Airworthiness Directive") für alle betroffenen Boeing-Max-Modelle.

Bekannt ist bereits, dass Minuten nach dem Start von Flug JT-610 Probleme mit den Geschwindigkeitsmessern und jenen Geräten auftraten, die den Computer über die Fluglage der Maschine informieren. Was genau in den letzten Sekunden vor dem Absturz im Cockpit geschah, ist Gegenstand intensiver Überprüfungen. Bei dem Absturz starben alle 189 Menschen an Bord.

Quelle: n-tv.de


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