Eigentlich müsste man seinen Ohren misstrauen, wenn man hört, dass ausgerechnet die russische Führung die Idee einer Europa-Armee gutheißt. War es doch Russland, das allein in den letzten zwei Jahrhunderten drei Mal von europäischen Armeen überfallen wurde.
Aber es ist, wie es ist: Am 11. November 2018 hat Russlands Präsident Wladimir Putin in aller Öffentlichkeit erklärt, den Vorschlag seines französischen AmtskollegenEmmanuel Macron zur Schaffung einer gesamteuropäischen Truppe zu unterstützen.
Es sei „durchaus natürlich“, dass Europa als eine „mächtige Wirtschaftsunion“ auch in Sachen Sicherheit und Verteidigung „unabhängig, eigenständig und souverän“ sein möchte, sagte der russische Präsident. „Ich denke, das ist ein im Großen und Ganzen positiver Prozess, hinsichtlich der Festigung der Multipolarität der Welt. Diesbezüglich entsprechen sich unsere und Frankreichs Positionen.“
Ja, das Konzept an sich ist nicht neu – das sagte Präsident Putin auch: „Alternative, gesamteuropäische Streitkräfte sind keine neue Idee. Präsident Macron hat sie jetzt reanimiert, aber schon einer der vorherigen Präsidenten, Jacques Chirac, sprach mit mir darüber – und schon vor ihm hatte es solche Ideen gegeben.“
Wenige Tage vor Putins Erklärung hatte Präsident Macron in einem Radiointerview gesagt, Europa müsse sich „mit Blick auf China, auf Russland und sogar auf die USA“ verteidigen. Präsident Donald Trump reagierte verärgert: Der Vorschlag Macrons sei „sehr beleidigend“, twitterte er kurz vor seinem Abflug nach Paris.
Und gleich nach dem Frankreich-Besuch und einem Gespräch mit Emmanuel Macron schlug Donald Trump sein Lieblingsthema vom letzten Jahr an: Europa soll die Rüstungsausgaben erhöhen und die Lasten innerhalb der Nato gerechter verteilen. Anderenfalls müsse Europa sich selbst verteidigen, ohne die USA, sagte der US-Präsident im Anschluss an seine Frankreich-Reise.
Einen wunden Punkt trifft Trump mit dieser Drohung schon. Eine „EU-Armee“ bestünde heute aus einer Vielzahl nationaler Streitkräfte. Eine gesamteuropäische Armee muss daraus erst noch gebildet werden. Das kostet viel Geld – und braucht einen starken politischen Willen. Das Geld kann Europa sicherlich aufbringen, an dessen Willen lässt sich jedoch zweifeln.
Was Putin in seiner Pariser Erklärung betonte, ist die Unabhängigkeit Europas. „Unabhängig, eigenständig und souverän“ soll die EU im Verteidigungsbereich werden. Das würde die Multipolarität in der Welt stärken – heißt: Es gäbe dann ein Machtzentrum mehr.
Das wäre genau das, worum es Russland geht: Die Schaffung eines neuen postatlantischen, postamerikanischen Gleichgewichts der Kräfte in der Welt.
Mit Verweis auf Russlands historische Erfahrungen könnte man natürlich einwenden, eine gesamteuropäische Armee würde zur Bedrohung für Russland selbst. Und theoretisch stimmt das auch. Nur: Jetzt darüber zu reden, macht einfach keinen Sinn.
Denn erstens kann ein von den transatlantischen Eliten in Geiselhaft genommenes Europa sehr viel einfacher und stärker gegen Russland eingesetzt werden als eine selbstständige EU. Den Transatlantikern ist Europa für nichts zu schade.
Wäre Europa unabhängig, wäre es in seiner Außenpolitik als Russlands Nachbar und historischer Rivale sicherlich deutlich umsichtiger und besonnener als eine EU, welche von Kräften missbraucht wird, die es auf die alleinige globale Vorherrschaft abgesehen haben.
Jedenfalls: Bis das heutige Europa seine Unabhängigkeit wiederlangt hat, muss es noch einen weiten Weg zurücklegen. Es muss in vielen Bereichen unabhängig werden – im finanziellen, im außenpolitischen, im personellen…
Dann erst, wenn die EU aus den transatlantischen Fängen befreit ist, kann es auch eine gesamteuropäische Armee geben. Eine solche Truppe wäre die Wirkung, nicht die Ursache der Unabhängigkeit.
sputniknews
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