Im Konflikt mit Russland verschärft der ukrainische Präsident Petro Poroschenko den Ton. In einem TV-Interview warnte er vor der Gefahr eines russischen Einmarsches in sein Land. "Die Zahl der Einheiten, die entlang unserer ganzen Grenze stationiert wurden, ist um einiges gestiegen", sagte er und verwies dabei auch auf Truppenbewegungen des russischen Militärs in den vergangenen Jahren. Zuletzt habe die russische Armee die Zahl der Panzer an ihren Stellungen entlang der Grenze verdreifacht. "Dem Land droht ein großangelegter Krieg mit der Russischen Föderation", betonte er.
Russland wertet Poroschenkos Reaktionen auf den Krim-Zwischenfall und vor allem die Ausrufung des Kriegsrechts in Teilen der Ukraine dagegen weiter als durchsichtiges Manöver eines um seine Wiederwahl fürchtenden Politikers. Einen Krieg gegen die Ukraine habe sein Land nie als Perspektive betrachtet, sagte Konstantin Kossatschow, Chef des Außenausschusses im russischen Föderationsrat der Nachrichtenagentur Interfax. Poroschenko bezeichnete er wörtlich als einen "Präsidenten des Krieges".
Zugleich kommen aus Moskau jedoch auch Signale, die die Befürchtungen Poroschenkos zu stützen scheinen. Russland will Medienberichten zufolge die Militärpräsenz auf der 2014 besetzten ukrainischen Halbinsel Krim verstärken. Die Regierung in Moskau werde ein Flugabwehr-Raketensystem vom neuen Typ S-400 auf die Krim verlegen, meldete die Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium. Laut der Agentur RIA sollen die Waffensystem Ende des Jahres einsatzbereit sein.
Die neu aufgeflammten Spannungen im Osten Europas rücken auch ein seit Jahren geplantes Infrastrukturprojekt zur Energieversorgung in neues Licht. Die US-Regierung forderte die Europäer zu schärferen Sanktionen gegen Russland auf. Die europäischen Staaten müssten mehr tun, um die Ukraine zu unterstützen, erklärte das Außenministerium in Washington. So müsse auch die Unterstützung für die Gaspipeline Nordstream 2 überdacht werden.
"Appeasement ist bedrohlich"
Der Bau der Ostsee-Pipeline durch russische und europäische Firmen unter Führung des russischen Gaskonzerns Gazprom ist den USA seit Langem ein Dorn im Auge. Aus der Sicht Washingtons sprechen sowohl geopolitische als auch wirtschaftliche Gründe gegen den Pipelinebau. US-Präsident Donald Trump wirbt dafür, US-Flüssiggas nach Europa zu verkaufen. Auch die Ukraine ist strikt gegen die Pipeline, weil sie den Verlust von Transit-Einnahmen fürchtet.
Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin sprach sich in der "Bild"-Zeitung dafür aus, dass Deutschland den Bau der Ostsee-Pipeline Nordstream 2 stoppen müsse. "In Anbetracht eines weiteren russischen Völkerrechtsverbrechens, wie jetzt auf dem Asowschen Meer gegen die Ukraine, ist nun endgültig klar: Das Appeasement des Aggressors, etwa durch lukrative Gaspipeline-Projekte, ist nicht zielführend, sondern bedrohlich."
"Militärisch viel zu schwach"
Die Pipeline soll Gas aus Russland durch die Ostsee nach Westeuropa liefern, unter Umgehung der Ukraine. Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt, verlangte von Deutschland und der EU, sie müssten entschlossen gegen Russland vorgehen. "Es geht um klare Ansagen", sagte er laut "Passauer Neue Presse". "Sollte Russland nicht einlenken, müssen der Westen und Europa den Druck auch mit wirtschaftlichen Sanktionen erhöhen", erklärte der CDU-Politiker. Die EU und viele westliche Länder hatten Russland und die Ukraine zur Zurückhaltung aufgerufen.
Die Gefahr eines offenen Kriegs zwischen Russland und der Ukraine hält der SPD-Politiker und erfahrene Ost-Experte Gernot Erler dagegen für gering. Er rechnet nicht damit, dass es zu einem Krieg zwischen beiden Ländern kommt, sagte der frühere Koordinator der Bundesregierung für deutsch-russische Beziehungen. "Die Ukraine ist militärisch viel zu schwach, um eine ernsthafte Konfrontation mit Moskau wagen zu können", erklärte er im Gespräch mit dem "Mannheimer Morgen".
Die Ukraine hatte als Reaktion auf das russische Vorgehen im Meer vor der Halbinsel Krim zu Wochenbeginn das Kriegsrecht verhängt - zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte des Landes. Der Ausnahmezustand gilt nicht in der ganzen Ukraine, sondern betrifft nur einzelne Landesteile im Südosten und Osten, wie etwa die Grenzregionen zu Russland. Weil Poroschenko seinen Erlass mehrfach abänderte, war allerdings unklar, ob das Kriegsrecht bereits seit Montag gilt oder ob es erst an diesem Mittwoch in Kraft tritt.
Nato: "Keine Rechtfertigung für Gewalt"
Durch das Kriegsrecht erhält das Militär Sondervollmachten. Mit der Maßnahme solle die Zeit für die Kampfbereitschaft verkürzt werden, um einen eventuellen Angriff Russlands schneller abwehren zu können, sagte Poroschenko. Auslöser der neuen, verschärften Spannungen in dem seit Jahren schwelenden Konflikt mit Russland war der Zwischenfall im Meer vor der Krim: Am Sonntag hatte die russische Küstenwache Patrouillenbooten der ukrainischen Marine die Durchfahrt in der Meerenge von Kertsch vor der annektierten Halbinsel Krim verweigert. Die drei ukrainischen Schiffe wurden aufgebracht.
Dabei fielen auch Schüsse. 24 Matrosen wurden festgesetzt. Gegen einen Teil der Seeleute wurde bereits eine zweimonatige Untersuchungshaft verhängt. Ihnen wird illegaler Grenzübertritt vorgeworfen. Damit drohen ihnen bei einem Prozess in Russland bis zu sechs Jahren Haft. Die nächsten Verhandlungen sind für diesen Mittwoch geplant.
Angesichts der Krise zwischen der Ukraine und Russland stellte US-Präsident Donald Trump ein geplantes Treffen mit Putin in dieser Woche beim G20-Gipfel in Buenos Aires in Frage. Er erwarte erst einen Bericht seines Nationalen Sicherheitsteams zur Lage. "Ich mag diese Aggression nicht", sagte Trump der "Washington Post". Die Nato-Staaten forderten Russland im Konflikt mit der Ukraine noch einmal offiziell zu Zurückhaltung auf. "Es gibt keinerlei Rechtfertigung für Russlands Einsatz von militärischer Gewalt gegen ukrainische Schiffe und Marinepersonal", hieß es in einer am Dienstag verabschiedeten Erklärung des Nordatlantikrates.
Kanzlerin Angela Merkel setzt zur Deeskalation auf eine vermittelnde Rolle der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die unterschiedlichen Darstellungen des Vorfalls vom Wochenende sollten an die OSZE gegeben und dort geprüft werden, sagte sie nach Teilnehmerangaben in der Sitzung der Unionsfraktion in Berlin. Die OSZE überwacht auch den Konflikt in der Ostukraine. Sie sprach am Abend von Protesten in mehreren Regionen in der Ukraine.
Quelle: n-tv.de
Tags: