Dass es zum Abschluss eine knappe Viertelstunde später losgeht, passt dann halt zum Veranstaltungsort: Für Präzision ist das moderne Berlin nicht bekannt - offenbar liegt die Verzögerung an den langen Wegen in diesem gigantischen Hotelkomplex im Stadtteil Neukölln und der Tatsache, dass um 18 Uhr noch viele Mitglieder an den Eingängen warten. Deshalb der verspätete Kandidaten-Einmarsch.
Annegret Kramp-Karrenbauer wie immer kaum auszumachen zwischen den Fast-Zwei-Meter-Männern Jens Spahn und Friedrich Merz, unter begeistertem Beifall geht es zur Bühne.
Mit der CDU-Regionalkonferenz in der Hauptstadt endet die Vorstellungsrunde um den Parteivorsitz, es ist die achte Veranstaltung innerhalb von 15 Tagen, kreuz und quer ging es durch die Republik. Über 14.000 Mitglieder waren dabei, in Berlin sind es etwa 2000, mehrfach mussten wegen des großen Interesses kurzfristig größere Veranstaltungsorte gebucht werden, über 200.000 schauten live im Internet zu.
Beseelt, begeistert, elektrisiert - der baldige Abschied von Angela Merkel an der Parteispitze hat in der CDU zweifelsohne etwas freigesetzt: Vor allem aber die Tatsache, dass sich mit Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer, Bundesgesundheitsminister Spahn und dem früheren Unionsfraktionschef Merz gleich drei Kandidaten um die Nachfolge bewerben. In einer Woche auf dem Hamburger Parteitag werden die 1001 Delegierten darüber entscheiden, wer künftig die CDU führt.
Ob dieser Wettstreit allerdings wirklich eine gute Idee war, ob sie der Partei hilft, wieder besser bei Wahlen abzuschneiden, das wird sich noch zeigen. Gelingt es nach der Wahl in einer Woche, Geschlossenheit zu zeigen, wenn die Anhänger der beiden Unterlegenen enttäuscht sind ? Für den Moment genießt die CDU, dass sie sich am Leben fühlt. Oder wie es die Berliner CDU-Landeschefin Monika Grütters zur Begrüßung sagt: "Ich freue mich auf den Aufbruch."
Die Themen
Was die Mitglieder von den Kandidaten auf den Regionalkonferenzen wissen wollten, zeigt, dass die CDU immer noch eine Volkspartei ist: Wohnen, Pflege, Soziales, Rente, Steuern, Digitalisierung, die Zukunft der Bundeswehr, vor allem im Osten auch die der Braunkohle - und natürlich innere Sicherheit und Asyl. Und immer wieder Fragen zu aktuellen Themen wie an diesem Abend im Berlin zur neuerlichen Eskalation zwischen der Ukraine und Russland.
Dazu ging es auch immer wieder um den Zusammenhalt der CDU und die Frage, wie die Mitglieder mehr Einfluss haben können. Mehr als tausend sogenannte Wortmeldezettel wurden auf den Regionalkonferenzen mit Fragen an die Kandidaten ausgefüllt, nur ein Teil konnte an den Saalmikrofonen aufgerufen werden, der Rest wird schriftlich beantwortet.
Die Dramaturgie
Es ging sehr friedlich los bei der ersten Regionalkonferenz in Lübeck vor gut zwei Wochen, wo nur Jens Spahn je eine Spitze gegen seine Mitbewerber setzte, aber dann nahm die Sache langsam Fahrt auf - und die Kandidaten versuchten sich, auch inhaltlich mehr voneinander abzusetzen, teilweise abseits der gemeinsamen Auftritte per Interview. Kramp-Karrenbauer, die als mittigste der drei Kandidaten gilt, setzte beispielsweise Akzente, indem sie die Wiedereinreisesperre in den Schengen-Raum für ausgewiesene straffällige Asylbewerber forderte und ihre Abschiebung sogar in Kriegsgebiete wie Syrien.
Ohnehin nahm das Thema Asyl und Flüchtlingspolitik zum Ende der ersten Regionalkonferenz-Runde, als die Kandidaten in Thüringen und Sachsen-Anhalt auftraten, immer mehr Raum ein - und damit wurde es emotionaler auf den Veranstaltungen. Im thüringischen Seebach lag das allerdings auch am Kandidaten Merz, der dort das deutsche Grundrecht auf Asyl in Frage stellte, unter Mithilfe von distanzierenden Äußerungen von Spahn zum Uno-Migrationspakt war dieser plötzlich ebenfalls ein größeres Thema. Zum Start der zweiten Hälfte der Regionalkonferenzen im schwäbischen Böblingen ging es interessanterweise fast überhaupt nicht um das Flüchtlingsthema, das galt auch für die weiteren Veranstaltungen inklusive dem Abschluss in Berlin.
Auch das Binnenklima schien zur Halbzeitpause vergiftet, nachdem der Kandidat Merz per Interview der bisherigen CDU-Führung vorgeworfen hatte, den Aufstieg der AfD weitestgehend achselzuckend hingenommen zu haben. Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer wies das entschieden zurück. Auf den Bühnen war das in der abgelaufenen Woche allerdings kaum mehr ein Thema, ohnehin schienen die Kandidaten bemüht, der Sorge um die Spaltung der Partei kein weiteres Futter mehr zu liefern.
Die Performance
Annegret Kramp-Karrenbauer: Die Frau aus dem Saarland kämpft bis zum Parteitag gegen den Verdacht an, eine Art Wiedergeburt der bisherigen Vorsitzenden zu sein. Das ist die Saarländerin aus vielerlei Gründen nicht, aber politisch und persönlich am nächsten steht sie ihr eben schon. Das dürfte aus Sicht der weiterhin zahlreichen Merkel-Fans in der CDU für sie sprechen, aber ob das zum Erfolg in Hamburg reicht? Wohl kaum, weshalb Kramp-Karrenbauer, 56, immer wieder versucht, eigenes Profil zu zeigen - beispielsweise mit markigen Abschiebe-Forderungen. Beim Thema Migrationspakt plädierte sie rasch für eine offene Debatte - verteidigte das geplante Abkommen aber gleichzeitig inhaltlich. Dass sie weiterhin Skepsis gegenüber der Ehe für alle äußert, dürfte beim konservativen CDU-Teil auch gut ankommen.
Kramp-Karrenbauer versucht, mit ihrer Erfahrung zu punkten (sechseinhalb Jahre Ministerpräsidentin des Saarlands, davor Ministerin in verschiedenen Ressorts) und der Kenntnis der Partei, deren Basis sie als Generalsekretärin im abgelaufenen halben Jahr im Rahmen ihrer "Zuhörtour" intensiv bereist hat.
Jens Spahn: Er findet, dass man mit 38 längst kein politischer Jungspund mehr ist - und tatsächlich hat es der CDU-Politiker als Präsidiumsmitglied und Bundesminister schon weit gebracht in seiner Partei. Aber seitdem Friedrich Merz wieder aus dem politischen Off auftauchte, ist Spahn als Merkel-Widerpart und möglicher Nachfolger klar ins Abseits geraten, weil die Sympathien derjenigen, die sich eine deutliche Kursänderung für ihre Partei wünschen, vor allem diesem gelten. Spahn konnte das schon zum Auftakt in Lübeck erkennen, es setzte sich über die folgenden Konferenzen fort.
Gerecht findet er das nicht, aber Spahn machte unverdrossen weiter. Stichelte mal ein bisschen, wagte sich als erstes an das Thema Migrationspakt, wunderte sich darüber, von den Kontrahenten plötzlich an der ein oder anderen Stelle rechts überholt zu werden.
Wenn Spahn zuletzt immer von seiner Vision für 2040 sprach, sollte das wohl auch heißen: Ich bin wirklich einer für die Zukunft. Aber wohl noch nicht für diesen Parteitag.
Friedrich Merz: Merz sagt von sich, er sei ein anderer als der Politiker, der sich 2009 aus dem Bundestag verabschiedete. Aber eines hat sich offenbar nicht geändert: Merz, 63, ist weiterhin sehr überzeugt von sich. Entsprechend tritt er auf, deshalb lieben ihn seine Fans. Klare Sprache, klare Botschaften. So breitbeinig wie Merz stand keiner bei den Regionalkonferenzen hinter dem gemeinsamen Pult. Das ungebrochen große Selbstbewusstsein des Kandidaten hat aber möglicherweise auch dafür gesorgt, dass er das eine oder andere Fettnäpfchen mitnahm. Eine sogenannte Shit-Liste, mit potenziellen Problem-Themen (sein Einkommen in der Wirtschaft, seine Flugzeuge) oder biografischen Angreifbarkeiten (die Sache mit dem Laptop)? Das hielt Merz nicht für nötig, wie in der aktuellen "Zeit" zu lesen ist.
Sollte es in Hamburg nicht klappen, könnte es genau daran gelegen haben: weil sich da einer zu sicher war.
Und, wie manche Debatte zeigte, auch nicht immer tief genug in aktuellen Themen zu stecken scheint, wie beispielsweise mit seinen Äußerungen zum deutschen Asylrecht, die er prompt am Tag darauf revidierte beziehungsweise sich für falsch verstanden erklärte. Sein Vorwurf, die CDU hätte den Aufstieg der AfD nicht energisch genug bekämpft, sorgte für Widerworte von beinahe der kompletten bisherigen Führung.
Zuletzt war Merz sichtlich bemüht, mittiger aufzutreten: So betonte er bei den jüngsten Konferenzen, aus seiner Sicht sei es ausgeschlossen, straffällige abgelehnte Asylbewerber in Kriegsgebiete zurückzuschicken.
Die B-Note
Kramp-Karrenbauer trug mal eine hellblaue Bluse unter rotem Blazer, mal ein knallgelbes Oberteil, mal einen grauen Blazer und darunter grün, mal einen grün auf weiß, zum Abschluss in Berlin erscheint sie in türkis-weiß. Die Herren fielen da farbtechnisch etwas ab, es dominierte der dunkle Anzug in minimalen Variationen, Spahn trug ihn zum Auftakt in Lübeck immerhin noch offen, danach trat auch er zugeknöpft auf. Die sehr dezente Krawatte von Merz schien immer die gleiche zu sein, er trug tatsächlich aber immer eine etwas andere - in der Hauptstadt setzte er schließlich mit rot-weißem Muster ein kleines Ausrufezeichen.
Mal war es rustikal wie im Seebacher Klubhaus in Thüringen, mal gigantisch wie in Düsseldorf (4000 Besucher), Lübeck hatte alten Industriecharme und Berlin war kühl funktional. Mal lag draußen Schnee wie in Seebach, zum Abschluss regnete es. Dafür, dass es im Land immer kälter wurde, je länger die Kandidaten unterwegs waren, kamen sie gesundheitlich gut durch.
In Berlin bekam jeder Kandidat einen goldenen Bären zum Abschied, Geschenke gab es für sie bei einigen Veranstaltungen vom gastgebenden Landesverband - in Böblingen hatte ihnen eine Christdemokratin heimische Maultaschen mitgebracht.
Der Stand
"Ich könnte für jeden von Ihnen Canvassing machen", sagt ein CDU-Mitglied in Berlin - er würde sich also für jeden von ihnen im Wahlkampf engagieren. Aber am Ende kann nur einer oder eine von ihnen ganz oben stehen.
Wer das sein wird?
Ginge es nach der Stimmung bei den Regionalkonferenzen, müsste Merz vorne liegen. Der meiste, der lauteste Beifall galt ihm, gefolgt von Kramp-Karrenbauer, ziemlich weit dahinter Spahn.
Aber in Hamburg entscheiden nicht die Mitglieder, sondern 1001 Delegierte. Und die dürften ihr Votum deutlich mehr von der Stimmung in der Bevölkerung abhängig machen, immerhin will die CDU sich nicht nur wärmen an der neuen Person an der Spitze, sondern Wahlen gewinnen. Und da sprechen die Zahlen Umfragen zufolge ganz klar für Kramp-Karrenbauer. Zuletzt lag sie im ARD-Deutschlandtrend mit 48 Prozent der befragten CDU-Anhänger weit vor Merz (35), nur zwei Prozent waren für Spahn.
Die CDU ist in Bewegung wie kaum zuvor. Und es wird wohl ein so spannender Parteitag wie noch nie.
spiegel
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