Auf dem Höhepunkt der Hochzeit von Assaf Kaufmann und Vered Elkabetz in Tel Aviv steht das Paar nach jüdischer Tradition unter einem Baldachin und wird vom Rabbiner getraut. Der Bräutigam rezitiert Psalm 137: "Wenn ich dich je vergesse, Jerusalem, dann soll mir die rechte Hand verdorren. Die Zunge soll mir am Gaumen kleben, wenn ich an dich nicht mehr denke, wenn ich Jerusalem nicht zu meiner höchsten Freude erhebe."
In kaum einer Kultur nimmt eine Stadt eine ähnlich wichtige Stellung ein wie Yerushalayim, wie sie auf Hebräisch heißt. Seit 3000 Jahren ist sie der Mittelpunkt und das spirituelle Zentrum des jüdischen Volkes. "Ohne Jerusalem gibt es kein Judentum", sagt der Rabbiner, der die Trauung vollzieht. Auf der ganzen Welt beten Juden in Richtung Jerusalem. Der heilige Ort wird 669 Mal im Alten Testament erwähnt und auch Jom Kippur, der Versöhnungstag, endet mit dem traditionellen Gruß: "Nächstes Jahr in Jerusalem".
Als die Römer den zweiten Tempel im Jahre 70 n. Chr. zerstörten und 65 Jahre später den letzten Aufstand niederschlugen, begann die jüdische Diaspora. Zwar gab es in Jerusalem immer eine jüdische Präsenz, doch über 2000 Jahre lang träumten alle "Vertriebenen" von einer Rückkehr nach Zion, in die Stadt Davids, ins gelobte Land. Assaf, der Ehemann aus Tel Aviv, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv. "Diese Stadt ist ein Pulverfass", sagt er. "Jede kleine Entscheidung könnte die falsche sein und einen Religionskrieg auslösen. Der arabisch-israelische Konflikt wird niemals enden, wenn die Jerusalem-Frage nicht geklärt wird."
Trotz ihres kulturellen Erbes gibt es daher Gründe, warum Jerusalem nicht allgemein als Hauptstadt des Staates Israel akzeptiert wird. Denn Al-Quds, "die Heilige", wie sie die Araber nennen, hat auch im Christentum und im Islam eine sakrale Bedeutung. Zu sehen ist dies vor allem am Tempelberg, der allen drei abrahamitischen Religionen heilig ist und damit den zentralen Punkt des Nahostkonflikts darstellt. Selbst bei einer Zweistaatenlösung wäre der Tempelberg höchstwahrscheinlich das größte Problem, denn diesen Ort beanspruchen Israelis und Palästinenser gleichermaßen für sich.
Ursprünglich sollte Jerusalem international verwaltet werden
Für die Christen wurde Jesus, ihr Messias, in Jerusalem gekreuzigt und getötet, dort ist er dem Neuen Testament zufolge auch wieder auferstanden. Die Wichtigkeit dieser Stadt wurde in den Kreuzzügen zwischen dem 11. bis 13. Jahrhundert deutlich, als Papst Urban II. das Christentum überzeugte ("Gott will es"), das Heilige Land von den "Heiden" zu befreien und das Königreich Jerusalem zu gründen.
Auch im Islam gilt die Stadt nach Mekka und Medina als heiliger Ort. Der Tradition zufolge begab sich Muhammad im 7. Jahrhundert zu einer nächtlichen Reise für eine Pilgerfahrt dorthin und stieg auf dem Tempelberg in den Himmel auf. Heute stehen hier der Felsendom und die Al-Aqsa-Moschee.
Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches 1917 übernahmen die Briten das Mandat über Palästina, um es nach drei konfliktreichen Jahrzehnten am 29. November 1947 den Vereinten Nationen zu übergeben. Diese teilten das Gebiet in einen jüdischen und arabischen Staat. Schon damals war Jerusalem so umstritten und stark symbolisch aufgeladen, dass es ein international verwaltetes, separates Territorium werden sollte. Die Ablehnung der arabischen Staaten führte in den israelischen Unabhängigkeitskrieg, aus dem die Juden siegreich hervorgingen und dabei auch West-Jerusalem eroberten und annektierten. Erst 1967 im Sechstagekrieg verleibte Israel sich den Ostteil inklusive Tempelberg ein. Mittlerweile sind in vielen einstmals arabischen Stadtteilen jüdische Siedlungen entstanden, die eine Abtretung des Jerusalemer Ostens an einen palästinensischen Staat so gut wie unmöglich machen.
Eine gemeinsame Hauptstadt?
"Die israelische Realität des kontinuierlichen Wachstums der jüdischen Bevölkerung in palästinensischen Gebieten, sowohl in Jerusalem als auch im Westjordanland, verursacht eine Situation, in der die Teilung Jerusalems immer schwieriger wird", sagt Hillel Cohen von der Hebräischen Universität Jerusalem. Cohen ist Experte für israelisch-palästinensische Angelegenheiten, er hat ein Buch über den "Aufstieg und Niedergang des arabischen Jerusalem" geschrieben. Darin schreibt er, "dass neben vielen Regierungsämtern auch große jüdische Viertel in Ost-Jerusalem errichtet wurden, mit denen Israel absichtlich eine Zersplitterung des palästinensischen Wohnraums verursacht hat".
Israelische Politiker sprechen gern über Jerusalem als die ewige, ungeteilte Hauptstadt Israels, doch für die Bevölkerung besteht sie noch oder längst - je nachdem, wie man es sieht - aus einer jüdischen und einer arabischen Stadt. Rund 38 Prozent der gut 900.000 Einwohner sind Araber.
"Eine gemeinsame Hauptstadt muss keine Utopie bleiben", sagt Amnon Ramon vom Jerusalemer Institut für Politikforschung. Er glaubt, die Position der Palästinenser habe sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt und ihre Unterhändler seien heute bereit, die Stadt zu teilen. Als mögliches Vorbild sieht Ramon die finnisch-schwedische Doppelstadt Haparanda-Tornio.
Die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem durch Präsident Donald Trump und die damit verbundene Anerkennung als Hauptstadt Israels ignoriert nicht nur den Status seiner arabischen Einwohner, sondern auch die Ablehnung der internationalen Gemeinschaft. Die meisten Staaten wollen Israels Souveränität über die Stadt nicht anerkennen, solange der Nahostkonflikt nicht gelöst ist. Das jedoch kann noch etwas dauern: Obwohl Israelis und Palästinenser seit mehr als 25 Jahren verhandeln, seien Gespräche über Jerusalem nie sehr weit gekommen, sagt Assaf, der Bräutigam und Sicherheitsexperte. "Solange es nicht einen für beide Seiten befriedigenden Plan zur Aufteilung der Souveränität der Heiligen Stadt gibt, solange ist es unwahrscheinlich, dass die Weltgemeinschaft Jerusalem offiziell als Hauptstadt anerkennt."
Quelle: n-tv.de
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