"Autoindustrie steht richtungsweisendes Jahr bevor"

  07 Januar 2019    Gelesen: 1039
"Autoindustrie steht richtungsweisendes Jahr bevor"

2018 klettern Absatz und Umsatz der Autoindustrie noch, aber die Gewinne gehen zurück, Prognosen werden bereits kassiert. Die externen Rahmenbedingungen bereiten Sorgen: Trump, Handelsstreit, Fahrvebote, Brexit. Und 2019? Da sind "Auto-Manager mit Schlechtwetter-Erfahrung" gefragt, sagt Experte Helmut Becker im ntv.de-Interview.

n-tv.de: Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sieht immerhin "gute Chancen", dass die Konjunktur hierzulande gut bleibt, die Wirtschaft weiter wächst. Für die Autoindustrie war das abgelaufene Jahr bereits eines der Trendumkehr: Absatz und Umsatz kletterten zumeist noch, die Gewinne gingen zurück. Wie sind die Aussichten für 2019?

Helmut Becker: Ich erwarte eine Fortsetzung dieses Trends der Abschwächung: Nach den sieben fetten Jahren, die wir hinter uns haben, folgt nun eine Zeit der Konjunkturverlangsamung. Die Absätze werden sinken, die Umsätze stagnieren oder unter Inflationsgesichtspunkten leicht steigen, die Gewinne zurückgehen - im Durchschnitt wohlgemerkt.

Droht eine Rezession?

Nein. Es gibt keine Rezessionsmechanik, das heißt, nach sieben guten Jahren ist eine Rezession nicht zwangsläufig. Der Grund: Überinvestitionen bei den Kapazitäten und den Lagern haben nicht stattgefunden. Klar sind die fetten Jahre, die Boomjahre nun vorbei. Eine Rezession sehe ich jedoch nicht. Ich würde eher von einer wirtschaftlichen Verschnaufpause auf erträglichem Niveau sprechen.

Also müssen wir uns keine Sorgen machen?

Sorgen muss man sich immer machen, aber keine übertriebenen. Das jetzige Szenario hat sich bereits länger abgezeichnet, kluge Unternehmen, so in der Zulieferindustrie, haben die entsprechenden Vorbereitungen längst getroffen. Man hat sich in der Autoindustrie auf diese Epoche der Zeitenwende eingestellt - so gut man sich auf einen so umfassenden Umbruch, der ja auch bis in die gesamte Volkswirtschaft und die Gesellschaft hineinreicht, eben vorbereiten kann. Aber eins ist klar: Ein ungeklärtes Restrisiko bleibt.

Klingt nach Strukturwandel ...

Ja, richtig. Und wir alle hoffen, dass aus diesem Strukturwandel kein Strukturbruch wird. Der Wandel betrifft nicht nur die deutschen Autohersteller oder die heimische Wirtschaft, er ist global.

Also sind alle wichtigen Absatzmärkte betroffen?

Ja. Chinas Automarkt, der in den vergangenen 30 Jahren ununterbrochen gewachsen ist, hat bereits 2018 erstmals gewisse Ermüdungserscheinungen gezeigt, die sich 2019 fortsetzen. Das Gleiche gilt für den US-Markt, der Zenit ist überschritten - in Deutschland und Europa ebenso. Die Märkte verengen sich, der Wettbewerb wird noch schärfer.

In der Vergangenheit war es dann so: Schwächelte die Konjunktur - ob nun allgemein oder in der sogenannten Schlüsselbranche Autoindustrie im Speziellen -, griff die Politik stützend etwa mit Konjunkturprogrammen ein.

Das stimmt, aber die waren damals schon meist für die Katz. Bei 70 Prozent Exportquote ist eine Binnenmarktankurbelung auch ziemlich zwecklos. Speziell für die Autoindustrie hierzulande sehe ich dieses Szenario diesmal nicht, eben weil sich keine Rezession abzeichnet. Gleichzeitig hat die Autoindustrie eine große Anzahl fetter Jahre hinter sich und sollte entsprechende Reserven zur Verfügung haben, um diese Dürrephase durchzustehen. Ausnahme ist natürlich VW, da ruhen die Reserven in den USA und bei den Anwaltskanzleien. Sollte es allerdings einen Einbruch wie 2008/2009 geben, als die Neuwagennachfrage um 50 Prozent eingebrochen ist, dann ist die Politik natürlich erneut aufgerufen, die Beschäftigung zu stabilisieren.

Die externen Störfaktoren - wie Handelsstreit zwischen China und den USA, Brexit im März, Fahrverbote - bleiben aber erhalten?

Ja, die Rahmenbedingungen werden inklusive Brexit 2019 sogar noch unsicherer, so unsicher wie lange nicht mehr. Wenn alles schlecht läuft, ist das Schlittern in eine ernste Wirtschaftskrise nicht ausgeschlossen. Eine Eskalation des Handelsstreits der beiden größten Volkswirtschaften der Welt, dazu ein ungeregelter Brexit: Dagegen erscheint das Thema Fahrverbote in deutschen Innenstädten fast schon lächerlich.

Wobei das Thema Fahrverbote bisher am reellsten und greifbarsten ist: In Stuttgart gilt nun für die Euro-4-Diesel ein umfangreiches Fahrverbot, weitere Großstädte sollen 2019 nachfolgen. Wächst damit der Druck auf die Autoindustrie oder die Politik?

Ganz allgemein wächst der Druck, speziell aber auf die Politik. Sie gibt die Rahmenbedingungen vor. Die Autoindustrie selbst ist gut gerüstet. Sie stellt alles, was zum Thema Mobilität gehört, zur Verfügung - mittlerweile eben auch Elektroautos. Nur kauft die keiner hierzulande. Die Käufer wollen nach wie vor in großer Mehrheit Verbrenner, die Politik hätte gern aber einen E-Autoboom. Das ist die Lücke zwischen Wirklichkeit und Wunschdenken. Und die kann auch nicht durch Subventionen gefüllt werden. Die Folge: Ratlosigkeit allerorten.

Was sollte die Politik Ihrer Meinung nach tun?

Verkehrsminister Andreas Scheuer sollte endlich dafür sorgen, dass es eine blaue Plakette gibt. Die würde regeln, wer in die Städte reinfahren darf und wer nicht. Das würde für Sicherheit sorgen, auch wenn dann einige Dieselfahrer mit älteren Modellen eben in den sauren Apfel beißen müssen. Statt blauer Plakette hat Deutschland derzeit aber einen Flickenteppich an verschiedensten Regelungen.

Das große Schlagwort der Bundesregierung heißt Elektromobilität. Andere setzen dagegen auf die Brennstoffzelle...

Da ist eine genaue Prognose sehr schwierig, weil einfach zu viele Dinge im Fluss sind. Fest steht für mich aber, dass das Zeitalter der Verbrennungsmotoren seinem Ende zusteuert. Das wird aber nicht morgen passieren. Die Zukunft heißt für mich ganz klar Elektromobilität- aber nicht mit reinem Batteriebetrieb wie bei Tesla. Brennstoffzelle, Hybridisierung, emissionsfreie synthetische Kraftstoffe: Das sind meine Favoriten, vor allem Letzteres, also E-Fuels. Massenmobilität mit reinem E-Batterieantrieb wird es nicht geben.

Wird 2019 ein Jahr des technologischen Wandels in der Autoindustrie?

Mit Sicherheit. Wir sind schon mittendrin: alternative Antriebe, verkehrspolitisches Umdenken, individuelle Mobilität in den Innenstädten. Es gibt viele Baustellen. Manche werden bereits angegangen, andere nicht oder zu langsam. Gefragt sind in dieser Situation tüchtige Manager mit Schlechtwetter-Erfahrung, aber die gibt es ja zum Glück hierzulande.

Apropos Wandel: Welcher deutsche Autohersteller ist denn dafür am besten aufgestellt derzeit?

Der VW-Konzern erst einmal nicht. Der kämpft noch mit den Folgen von Dieselgate und fährt dazu gleichzeitig mit dem Setzen auf E-Antrieb mit Batterie eine riskante Strategie, nimmt dafür Milliardensummen in die Hand. Gut aufgestellt in meinen Augen ist Daimler. Aber der Konzern muss aufpassen, diese gute Ausgangsposition nicht durch interne Machtkämpfe zu verspielen: Es gibt Pläne, den Konzern neu aufzustellen, sowohl strukturell als auch personell. Konzernchef Dieter Zetsche soll in den Aufsichtsrat wechseln, steht aber  im Feuer von Kleinaktionären. Man macht ihn für Aktienkursrückgang und Gewinnwarnungen verantwortlich. Kurios, wo jeder weiß, dass das klassische Aufgabengebiete des Finanzressorts sind: Pikanterweise bewirbt sich der Finanzchef ebenfalls um den Aufsichtsratsposten - ein Schelm, wer Böses dabei denkt. In Stuttgart kann also einiges schiefgehen. BMW würde es sicher freuen.

Was wird vom Autojahr 2019 am Ende hängen bleiben?

Das Autojahr 2019 wird ein richtungsweisendes Jahr, ein Jahr der Entscheidungen, in der globalen wie nationalen Politik, aber auch in unseren Leuchtturm-Unternehmen. Man wird sagen können, dass sich die Spreu vom Weizen getrennt hat, dass sich zukunftsweisende Wege in der Mobilität aufgetan haben. Es wird sich zeigen, ob  die Politik  Mut beweist, ob der Diesel wieder hoffähig wird, auch weil es beim Thema E-Fuel einen Durchbruch gegeben hat. Von US-Präsident Donald Trump ganz zu schweigen. Das alles wird sich in diesem Jahr entscheiden, es bleibt also spannend.

Mit Helmut Becker sprach Thomas Badtke

Quelle: n-tv.de


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