Wenige Stunden nachdem sie das Misstrauensvotum der Opposition überstanden hatte, trat Theresa May für eine kurze Ansprache vor die Downing Street 10. Neues hatte sie allerdings nicht zu verkünden. Sie halte es für ihre Pflicht, Großbritannien aus der EU zu führen. Sie habe bereits Gespräche mit Oppositionspolitikern über den weiteren Brexit-Kurs des Landes geführt. Anstatt zu sagen, was sie nicht wollen, sollten die Parlamentarier nun konstruktiv formulieren, was sie wollen. Es sei jetzt an der Zeit, Eigeninteressen hintanzustellen.
Oppositionschef Jeremy Corbyn hatte zuvor ein Treffen mit der Regierungschefin verweigert, solange May einen ungeordneten Brexit nicht ausschließt. Sie bedauere das, die Tür stehe aber weiter offen, sagte May in der Ansprache.
Am kommenden Montag will die Premierministerin dem Parlament darlegen, wie es weitergehen soll, um einen chaotischen EU-Austritt in zehn Wochen doch noch zu verhindern. Zuvor will sie sich mit den anderen Parteien im Unterhaus beraten. In der EU werden die Forderungen an die Adresse Großbritanniens immer lauter, möglichst rasch konkrete Vorschläge für das weitere Verfahren auf den Tisch zu legen. Eine Neuverhandlung des Abkommens schlossen EU-Spitzenpolitiker aus. Die Zeit drängt: Wenn ein EU-Austritt ohne Abkommen mit drastischen Folgen für die Wirtschaft und Chaos in vielen Lebensbereichen vermieden werden soll, muss binnen weniger Wochen eine Einigung her. Am 29. März will Großbritannien die EU verlassen.
Bundestag verhandelt Übergangsgesetz
Im Bundestag ist der geplante EU-Austritt Großbritanniens heute Thema. Den Abgeordneten liegt ein Entwurf der Bundesregierung für ein Brexit-Übergangsgesetz vor. Darin geht es um Regelungen für einen Übergangszeitraum nach dem für Ende März geplanten Austritt. Das Brexit-Abkommen, das am Dienstagabend im britischen Unterhaus in London mit breiter Mehrheit abgelehnt wurde, sieht eine Übergangsphase bis mindestens 2020 vor. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Achim Post, appellierte an May, die "zweite Chance", die sie vom Parlament bekommen habe, zu nutzen.
Auch der Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), sieht jetzt die Regierung in London am Zug. "Der Ball liegt eindeutig im britischen Spielfeld", sagte Röttgen der "Passauer Neuen Presse". Die FDP-Bundestagsfraktion kündigte einen Entschließungsantrag an, mit dem die Bundesregierung dazu aufgefordert werden soll, "im Gespräch mit unseren britischen Partnern dafür zu werben, den Weg der Artikel-50-Rücknahme offen zu halten".
Viele Labour-Abgeordnete machen Druck auf Corbyn
Die britische Regierung hatte am 29. März 2017 die übrigen EU-Staaten offiziell informiert, dass das Land die EU verlassen will. Damit begann ein zweijähriges Austrittsverfahren nach Artikel 50 der EU-Verträge, das planmäßig mit dem Brexit genau zwei Jahre später am 29. März 2019 endet. Der Europäische Gerichtshof hatte im Dezember entschieden, dass Großbritannien den für 2019 angekündigten Brexit noch ohne weiteres stoppen und Mitglied der Europäischen Union bleiben könnte. Eine Zustimmung der übrigen EU-Staaten sei dazu nicht nötig. Bislang zeichnet sich aber nicht ab, dass London diesen Weg beschreiten will.
Inzwischen werden auch die Forderungen nach einer zweiten Volksabstimmung lauter. Die Briten hatten bei einem Referendum im Juni 2016 mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der EU gestimmt. Nach dem gescheiterten Misstrauensvotum dürfte Oppositionsführer Corbyn unter Druck geraten. Eine große Gruppe der Labour-Abgeordneten will, dass er sich hinter die Forderung nach einem zweiten Brexit-Referendum stellt. Corbyn hatte angekündigt, diese Option zu erwägen, sollte sich eine Neuwahl als unmöglich herausstellen. Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, sieht angesichts der verfahrenen Lage in London zunehmende Chancen für ein zweites Referendum über den Ausstieg Großbritanniens aus der EU. "Mein Eindruck ist, dass diese Möglichkeit wahrscheinlicher geworden ist, als sie das noch vor wenigen Wochen war", sagte die Bundesjustizministerin.
Quelle: n-tv.de
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