Der INF-Vertrag gehört zu den wichtigsten Säulen der europäischen Sicherheitsarchitektur. Denn er verhindert, dass sich auf dem Kontinent atomare Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper direkt gegenüberstehen. Dem Abschluss des Abkommens 1987 waren jahrelange Debatten und Proteste vorangegangen. Diesen politischen wie gesellschaftlichen Erfolg darf man nicht einfach so herschenken.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Welt, in der der Vertrag entstanden ist, nicht mehr besteht. Einer der Vertragspartner, die Sowjetunion, existiert seit fast 30 Jahren nicht mehr. Auch wenn Russland deren weltpolitisches Erbe angetreten hat, ist die Bipolarität des Kalten Krieges verschwunden. Mit China ist eine neue militärische Weltmacht entstanden, hinzu kommen Regionalmächte wie der Iran, Indien oder Israel. Sie alle sind nicht an den INF-Vertrag gebunden und verfügen über - potenziell nukleare - Mittelstreckenraketen.
Doch nicht nur geografisch, sondern auch technologisch hat der Vertrag seine Grenzen, denn er verbietet einzig landgestützte Flugkörper. Raketen oder Marschflugkörper, die von Schiffen oder Flugzeugen abgefeuert werden, fallen nicht darunter. Gerade die USA haben hier ein großes Arsenal. Und die Rüstungstechnologie hat sich seit 1987 weiterentwickelt. Wie sehr unterscheidet sich eine bewaffnete Kampfdrohne noch von landgestützten Marschflugkörpern?
Russische Verstöße
Der INF-Vertrag ist veraltet. Und es gibt gute Gründe für US-Präsident Donald Trump, ihn zur Disposition zu stellen. Er führt vor allem russische Verstöße gegen das Abkommen an. Auch wenn Moskau dies dementiert: Es spricht nicht wenig dafür, dass Russland aus geostrategischen Interessen tatsächlich nukleare Mittelstreckenraketen stationiert hat. Das ist eine Provokation, die die USA nicht einfach so hinnehmen können.
Doch so verständlich die US-amerikanische Kritik am Vertragswerk ist, so problematisch sind die Gründe, wegen denen Washington das Abkommen hinter sich lassen will. In erster Linie geht es Trump um ein Ende vertraglicher Selbstverpflichtungen. Vor allem John Bolton, der Nationale Sicherheitsberater des Präsidenten, treibt diesen Kurs voran. Er ist für seine unilateralistische Weltsicht bekannt, hetzt gegen die Vereinten Nationen und lehnt Abrüstungsabkommen generell ab.
Trump hat die Entwicklung neuer Waffen bereits angekündigt, wenn der INF-Vertrag erst einmal beerdigt ist. Zwar brachte er auch die Möglichkeit einer Einigung mit Russland und China ins Spiel. Doch das war kaum ernst gemeint. Washington liefert sich mit Moskau, Peking und anderen Ländern längst ein globales Wettrüsten, wozu auch Technologien gehören, die derzeit völlig unreglementiert sind. Nötig wäre ein globaler Abrüstungsvertrag, der nicht nur Atomwaffen, sondern auch Drohnen und Künstliche Intelligenz einschließt.
Die EU, aber vor allem die europäischen Nato-Staaten, müssen hier ein konsequentes Gegengewicht zur irrlichternden Politik des US-Präsidenten bieten. Sollten die USA den INF-Vertrag verlassen, ohne einen Ersatz anzubieten, würde eine der letzten anerkannten Sperren fallen. Zwar hat das Abkommen von 1987 seine Schwächen, doch auf ihm lässt sich aufbauen. Sonst steht einem nuklearen Wettrüsten nichts mehr im Weg. In dessen strategischem Zentrum stünde dann Europa.
Quelle: n-tv.de
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