Die rechten Ausschreitungen in Chemnitz Ende August haben die Deutschen nicht nur auf den Mangel an Toleranz, sondern auch auf die sinkende Wirtschaftskraft des Ostens aufmerksam gemacht. Denn die Alten sterben, und die Jungen ziehen immer öfter auf der Suche nach besserer Bezahlung in den Westen. Seit 1991 ist die Bevölkerung der ostdeutschen Flächenländer laut dem statistischen Bundesamt um 14 Prozent geschrumpft. Vor allem in den kleineren Städten und Dörfern zeigt sich deutlich, wie dramatisch die Lage ist. In der sächsischen Stadt Hoyerswerda hat sich zum Beispiel seit 1991 die Einwohnerzahl fast halbiert, und die Stadt Wolfen hat fast 60 Prozent ihrer Einwohner verloren.
Hilfe für die grenznahen Kleinstädte kommt vom anderen Ufer der Oder. Seit Aufhebung der Grenzkontrolle im Jahr 2007 ziehen die Polen zu ihren westlichen Nachbarn. Entscheidend für derartige Schritte ist die Tatsache, dass sich manche polnische und deutsche Siedlungen in der Nähe der Grenze befinden. In der unweit vom polnischen Stettin gelegenen Stadt Löcknitz und den nächsten Siedlungen wohnen rund 1800 polnische Migranten. In Mecklenburg-Vorpommern sind bereits mehr als 12.000 polnische Umsiedler ansässig.
Der Bürgermeister der Stadt Löcknitz, Detlef Ebert, bestätigte gegenüber Sputnik, dass das Dorf aktuell mehr als 3200 Einwohner verzeichnen würde und 600 davon einen polnischen Hintergrund hätten. Sie würden in die leeren Wohnungen ziehen und alte Einfamilienhäuser kaufen, also diese wieder zum Leben erwecken. „Je mehr Bevölkerung, desto mehr Arbeitsplätze haben wir. Für eine Kleinstadt wie unsere haben wir sogar vier Schulen und zwei Kindergärten, in die über Tausend Kinder gehen“, so Ebert. An den Schulen sollen nicht nur polnische Schüler ausgebildet, sondern auch polnische Lehrer und Betreuer beschäftigt werden.
Warum entscheiden sich die Polen für einen Wohnortwechsel? In der Großstadt Stettin schießen die Lebensunterhaltskosten, Mieten und Stromrechnungen in die Höhe. Manche wohnen in Löcknitz, arbeiten aber weiter in Stettin. Die Familie Gątkiewiczów aus Stettin, über die eben berichtet wurde, kaufte ein Haus in der brandenburgischen Stadt Menkin mit einer Fläche von zwölf Hektar für 70.000 Euro.
Außerdem rechnen die polnischen Familien mit deutschen Sozialleistungen wie Kindergeld oder einer Rente. Stereotype, nach denen ein Pole entweder Klempner oder Baumeister ist, scheinen der Vergangenheit anzugehören.
„In Löcknitz arbeiten nicht nur polnische Handwerker, sondern auch Ärzte und Rechtsanwälte“, fährt der Bürgermeister Ebert fort. „Wir haben auch ein deutsch-polnisches Gymnasium. Polnisch wird Kindern sowohl als Muttersprache, als auch Zweitsprache unterrichtet“.
Ob nationale Konflikte und feindselige Haltung gegenüber Neuankömmlingen auf der Tagesordnung stehen? Darüber lacht Ebert: „In dieser Hinsicht waren die Polen den Deutschen sogar voraus. Zu Beginn der Umsiedlung 2009 gab es noch Probleme. Nun herrscht Frieden. Die Menschen nähern sich, werden Freunde“.
Eine ähnliche Situation herrscht auch an der süddeutsch-polnischen Grenze. Das Dorf Görlitz verliert nach und nach seine ursprünglichen Einwohner, sodass seine Verwalter die Polen sogar davon überzeugen müssen, dort ansässig zu werden.
Dafür gibt es verlockende Angebote. Zum Beispiel erhalten die Umsiedler ein Begrüßungspaket, in dessen Rahmen frisch renovierte Wohnungen drei Monate lang mietfrei bewohnt werden können, inklusive kostenfreier Stromnutzung sowie Gratisfahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Für viele polnische Bewohner des benachbarten Zgorzelec scheint das eine sehr attraktive Gelegenheit zu sein. Schon jetzt wohnen in Görlitz etwa 4000 Polen, was 63 Prozent aller Stadteinwohner mit Migrationshintergrund ausmacht.
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