Die Gelben pesten

  18 Februar 2019    Gelesen: 750
Die Gelben pesten

Die Gelbwesten scheinen in ein linkes und ein rechtes Lager zu zerfallen. Beide rufen dem Philosophen Alain Finkielkraut antisemitische Schimpfworte nach. Mehrheits-Frankreich ist empört. Könnte dies das Ende der Bewegung werden?

 

Womöglich war es die eine Demonstration zu viel, mit der die Stimmung gegen die Gelbwesten kippen könnte. Bisher wird die soziale Protestbewegung, die nun schon die 14. Woche in Folge für mehr Kaufkraft für die untere Mittelschicht und gegen die Politik der Pariser Regierung streitet, immer noch von einer Mehrheit der Franzosen laut Umfragen unterstützt.

Doch am Samstag wurde es hässlich, hässlicher als sonst schon ab und an in den vergangenen Monaten: Nicht weit vom Bahnhof Montparnasse in Paris kreuzten Demonstranten in gelben Westen den Weg des Philosophen Alain Finkielkraut, der in diesem Pariser Viertel lebt. Er ist bekannt für seine rechtslastigen Thesen von Überfremdung und Identitätsverlust der Franzosen, die er auf die Aggressivität des radikalen Islam und eine wehrlose Linke zurückführt.

Doch Finkielkraut ist auch Jude, dessen Vater die Deportation nach Auschwitzüberlebte und dessen Großeltern dort ermordet wurden. Sein literarisches Werk verschaffte ihm die Ernennung zum Mitglied der angesehenen Französischen Akademie.

Die Gelbwesten in Montparnasse interessierte das am Samstag nicht. "Faschist, bleib zu Hause!" - "Zionist!"- "Hau ab, wir sind das französische Volk!" So lauteten noch die harmloseren Sprüche, mit denen Demonstranten den Philosophen in eine Seitengasse verjagten.

Die hässliche Szene wurde gefilmt und in Frankreich auf allen Kanälen gesendet. Entsprechend groß war die Empörung. Präsident Emmanuel Macron twitterte von einer "Negation all dessen, was wir sind und was uns zu einer großen Nation macht". Er verwies auf Finkielkrauts Aufstieg vom polnischen Auswanderer zum Mitglied der Französischen Akademie. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen "rassistischer Beleidigung" auf. Am Sonntag identifizierte sie bereits die ersten mutmaßlich Verantwortlichen. Ein Demonstrant in Montparnasse rief dennoch: "Er ist mit der Absicht gekommen, uns zu provozieren" - und meinte Finkielkraut.

Allzu perfekt passte der Streit um den Philosophen in eine sich derzeit verbreitende Auffassung in den etablierten Kreisen von Politik und Medien, die Gelbwesten wären am Ende vor allem doch nur eine Bewegung von Rechts- und Linksextremisten. Dabei stehen sie zunehmend auch unter dem Verdacht des Antisemitismus.

Erst vor wenigen Tagen hatte die Regierung einen Anstieg der "antisemitischen Taten" in Frankreich im Jahr 2018 von 311 auf 541 gemeldet. Zuvor war die Zahl zwei Jahre lang rückläufig gewesen. Nun aber sollten die Gelbwesten am erneuten Anstieg schuld sein. Sogar Finkielkraut bezweifelte das vor den Ereignissen am Wochenende: "Hätten nicht ein paar Gelbwesten die Namen von Macron und Rothschild auf das gleiche Plakat geschrieben, hätte niemand von den neuen Zahlen auch nur Notiz genommen", sagte er in einen Interview mit dem "Figaro".

Tatsächlich gilt es bei vielen Gelbwesten als Beweis für Macrons wirtschaftsliberale Grundhaltung, dass er vor seiner politischen Karriere bei der Pariser Investmentbank Rothschild arbeitete - die seit über 180 Jahren im Besitz einer jüdischen Familie ist. Doch sind die Gelbwesten deshalb antisemitischer als andere Franzosen, von denen nach Umfragen der französischen Menschenrechtskommission 38 Prozent der Meinung sind, dass "Juden ein besonderes Verhältnis zum Geld haben"?

"Unsinn", widerspricht der Chefredakteur des Pariser Nachrichtenportals Mediapart, Edwy Plénel. Dessen Buch über die Gelbwesten erscheint in den nächsten Wochen, er sieht ich ihnen einen sozial-revolutionären - und keinen rassistisch-nationalistischen - Charakter. Plénel führt die aktuelle "Diffamierung" der Gelbwesten vielmehr auf einem "Sozialhass" der Pariser Eliten gegenüber den nun aufbegehrenden Unterschichten aus der Provinz zurück. Er sagt, Macron und seine Regierung "unternehmen alles, um die Bewegung zu brutalisieren und zu kriminalisieren".

Was Plénel meint, ließ sich am Samstag in Paris beispielhaft beobachten: Sobald einige Gelbwesten vom vorgeschriebenen Weg der Demonstration in eine Seitenstraße abwichen, traten ihnen mobile Einheiten der Polizei mit Schild und Knüppeln entgegen und trieben sie auf die Hauptstraße zurück. Kaum war die angemeldete Zeit der Demonstration auf dem Marsfeld beim Eiffelturm abgelaufen, lösten die Beamten die Menge mit Tränengas, Wasserwerfern und Wurfgeschossen auf.

Normanalerweise lässt die Polizei den Demonstranten Zeit, sich zu zerstreuen. So aber entsteht auch bei friedlich verlaufenden Kundgebungen wie am Samstag in Paris der Eindruck, es herrsche Gewalt vor. Wenn nun auch noch der großväterliche Finkielkraut, der ursprünglich zu den Unterstützern der Gelbwesten zählte, von ihnen abrückt - hat die Bewegung dann noch eine Chance, ihre Popularität in der Öffentlichkeit zu wahren?

In Wirklichkeit ist nichts entschieden. Gerade zieht Frühlingswetter auch in Frankreich ein. Das könnte den Gelbwesten unerwarteten Auftrieb geben. "Sie müssen sich ideologisch zwischen dem in Frankreich historisch legitimierten Willen zum Umsturz des Regimes oder Reformen entscheiden und sich klar vom Vorwurf des Rassismus abgrenzen", meinte die Chefredakteurin des Boulevard-Blattes "Le Parisien", Jannick Alimi.

Eine der bekanntesten Gelbwesten-Führerinnen, die Krankenschwester Ingrid Levavasseur aus Rouen in Nordfrankreich, beherzigte den Ratschlag insofern, als sie vom Spitzenplatz einer Europawahl-Liste der Gelbwesten zurücktrat und am Wochenende verkündete: "Ich habe Lust auf Demokratie und die Rückkehr zur Basis. Ich will nicht machen, was andere Parteien auch machen."

Ob Revolution oder Reform das Ziel sei, sagte aber auch sie nicht. Vielleicht kehrt die Mehrheit der Franzosen den Gelbwesten erst dann den Rücken, wenn diese Frage entschieden ist. Die Episode Finkielkraut jedenfalls, der ein Reformer ist und doch nicht wie andere Konservative die Revolution verteufelt, war auch nicht angelegt, an dieser Stelle mehr Klarheit zu schaffen.

spiegel


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