Heiko Maas und die starken Frauen

  26 Februar 2019    Gelesen: 990
Heiko Maas und die starken Frauen

Bei seiner Reise durch Westafrika setzt sich Außenminister Maas für die Rechte von Frauen in Kriegsgebieten ein. In Sierra Leone werden sie besonders häufig Opfer sexueller Gewalt - dort hat die Regierung deswegen den Notstand ausgerufen.

Egal, wohin Heiko Maas reist, eines wird schnell klar: Dem deutschen Außenminister fällt es leichter, mit Frauen ins Gespräch zu kommen als mit Männern. Mit der israelischen Justizministerin Ayelet Shaked pflegt Maas allen politischen Differenzen zum Trotz seit Jahren ein freundschaftliches Verhältnis. Kanadas Außenministerin Chrystia Freeland spricht gar von einer Art Seelenverwandtschaft. Und an diesem Montag schaffte es eine Powerfrau aus einem der ärmsten Länder der Welt, den stets etwas zugeknöpften Deutschen aus der Reserve zu locken.

Yvonne Aki-Sawyerr ist seit etwa einem Jahr Bürgermeisterin von Freetown, der Hauptstadt von Sierra Leone. Sie trägt ein leuchtend blaues Kleid und strahlt einen zupackenden Optimismus aus - ungeachtet der schwierigen Lage ihrer Stadt. Und sie versteht es, mit ihrem Charme die Sympathie ihres Gasts aus Deutschland zu gewinnen. "Zucker zum Espresso?", fragt Aki-Sawyerr. Ja, sagt Maas. "Oh, ein Mann voller Überraschungen", ruft die Bürgermeisterin. Die meisten Männer, die sie kenne, würden den Espresso ohne Zucker trinken. Maas fühlt sich sichtlich geschmeichelt, das Eis ist gebrochen.

Aki-Sawyerr spricht über die rasant wachsende Bevölkerung, vor allem über den hohen Anteil Jugendlicher. 72 Slums seien in Freetown mittlerweile entstanden, in neun Jahren werde sich die Einwohnerzahl wahrscheinlich verdoppelt haben. Freetown hat mit großen Umweltproblemen zu kämpfen. Vor etwas mehr als einem Jahr starben rund tausend Menschen, als eine Schlammlawine auf die Millionenstadt herunterging. In der Bucht von Freetown ankert ein riesiges Schiff aus der Türkei, dessen Schlote dreckige Wolken in den Himmel blasen. Es ist ein schwimmendes Dieselkraftwerk, das die Stadt mit Strom versorgt.

Die ehemalige britische Kolonie, die 1961 unabhängig wurde, gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. In den Neunzigerjahren tobte ein blutiger Bürgerkrieg, der Zehntausende Menschen das Leben kostete. Hinzu kam die Ebola-Epidemie, die noch einmal rund 30.000 Menschen hinwegraffte.

Maas kommt auf einen der Hauptgründe seiner Westafrika-Reise zu sprechen: Gewalt gegen Frauen in Kriegen und Post-Konflikt-Gesellschaften. Im April, wenn Deutschland den Vorsitz im Uno-Sicherheitsrat übernimmt, will er das Thema auf die internationale Agenda setzen. Sierra Leone ist ein besonders dramatisches Beispiel. In dem ehemaligen Bürgerkriegsland leiden besonders viele Frauen unter sexueller Gewalt: Genitalverstümmelungen, Prostitution, Vergewaltigungen junger Mädchen. "Warum?", will Maas wissen.

Sie sei keine Expertin, sagt Aki-Sawyerr. "Aber Sie sind eine Frau", ermutigt Maas seine Gastgeberin. Ein Grund sei wohl die Armut; ein anderer bestimmte Traditionen, die nie infrage gestellt wurden, sagt die Bürgermeisterin; ein dritter die Abhängigkeit der Frauen von Männern.

Der neue sierra-leonische Präsident Julius Maada Bio hat das Thema der sexualisierten Gewalt zur Chefsache gemacht und den nationalen Notstand ausgerufen. Zu den von der Regierung angekündigten Maßnahmen gehört:

Die Verpflichtung staatlicher Krankenhäuser, Opfer von sexueller Gewalt kostenfrei zu behandeln.

Die Einrichtung einer "Special Division for Rape and Sexual Penetration of Minors" bei der sierra-leonischen Polizei.

Verschärfte Gefängnisstrafen bis hin zu lebenslänglich für Vergewaltigungen Minderjähriger.

"Wir müssen die sexuelle Gewalt bekämpfen, vor allem die Vergewaltigungen junger Mädchen", sagt Außenminister Alie Kabba nach dem Treffen mit Maas. In der Vergangenheit sei das ein Tabuthema gewesen. "Unser Präsident hat angekündigt, dass wir es überwinden müssen." Es sei gut, dass die Regierung von Sierra Leone das Thema "aus der Tabuzone" hole, lobt Maas.

Aber der deutsche Außenminister will es genauer wissen. Am Nachmittag trifft er sich daher in der Residenz des deutschen Botschafters mit vier Aktivistinnen, die sich den Rechten von Frauen und Kindern verschrieben haben. "Die Regierung hat gute Ideen, aber wir brauchen Taten", sagt Ann-Marie Caulker, eine Schuldirektorin, die vor allem der Genitalverstümmelung bei Mädchen den Kampf angesagt hat. Es gebe vernünftige Gesetze, sagt auch die Aktivistin Fatmatta Taqi, aber oft hapere es an der Anwendung. "Es ist vor allem eine Machtfrage. Wenn Du von Männern abhängig bist, schlagen sie daraus einen Vorteil."

Von 2000 polizeilich erfassten Vergewaltigungen in nur einem Jahr berichtet Hawa Samai von der Organisation AMNeT. "Bei nur sieben Millionen Einwohnern ist das eine hohe Zahl, die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich viel höher." Wenn die Übergriffe innerhalb der Familie stattfänden, würden sie oft nicht gemeldet, sagt Samai. Hinzu kämen die Folgen der Ebola-Epidemie. "Dadurch sind viele Kinder Waisen geworden", sagt die Frauenrechtlerin. "Um zu überleben, enden viele von ihnen als Prostituierte auf der Straße."

Es sind starke Frauen, die Maas in Sierra Leone trifft - und große. Sie überragen den Außenminister teilweise um einen Kopf. Die Aktivistinnen sind angetan, dass Maas sich so viel Zeit für sie nimmt, obwohl er am Abend schon wieder weiter muss nach Burkina Faso. "Er hat auf mich einen sehr angenehmen Eindruck gemacht", sagt Fatmatta Taqi. "Wir haben direkte Fragen gestellt und er gab sehr direkte Antworten." Es war der erste Besuch eines deutschen Außenministers in dem ehemaligen Bürgerkriegsland. "Wir hoffen", sagt Taqi, "es war nicht der letzte".

spiegel


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