Höcke kann sich entspannt zurücklehnen

  18 März 2019    Gelesen: 555
Höcke kann sich entspannt zurücklehnen

Wieder einmal streitet die AfD um den Thüringer Landeschef Björn Höcke. Doch so heftig wie derzeit war der Streit um die Ausrichtung der Partei noch nie. Einer kann sich bei dem Schauspiel zurücklehnen und hat nichts zu befürchten.

Spekulationen darüber, dass sich die AfD spalten könne, dass es einen Streit zwischen gemäßigtem und nationalistischem Lager gebe, sind so alt wie die Partei selbst. Offen ausgebrochen ist ein solches Zerwürfnis bisher nicht - wenn man mal von den Mini-Abspaltungen absieht, die bei den Austritten der früheren Parteichefs Bernd Lucke 2015 und Frauke Petry 2017 vollzogen wurden.

Doch die Rahmenbedingungen für die AfD haben sich grundlegend geändert. Gleich mehrfach ist es bei Parteispenden zu Unregelmäßigkeiten gekommen. Hohe Strafzahlungen drohen. Außerdem ist der ununterbrochene Aufstieg der Partei in den Umfragewerten Vergangenheit. Mehr noch: Die Partei fällt in der Wählergunst. Bei gerade noch zehn Prozent liegen die Rechtspopulisten in Untersuchungen zur Europawahl. Zumindest in Teilen der Partei wird als Ursache dafür die Prüfung durch den Verfassungsschutz ausgemacht. Der ultrarechte "Flügel" und die Jugendorganisation "Junge Alternative" wurden gar zu Verdachtsfällen erklärt. Die Behörde sieht extremistische, möglicherweise verfassungsfeindliche Tendenzen.

Und so wird der innerparteiliche Ton gegenüber der Galionsfigur des rechten Rands, dem Thüringer Landeschef Björn Höcke, rauer. Der Druck auf ihn, in seinen Reihen "aufzuräumen", ist höher geworden. Zu befürchten hat er jedoch nichts.

Vor gut drei Wochen etwa verteilte die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch Spitzen in Höckes Richtung, als sie vor der schleswig-holsteinischen Landtagsfraktion eine Rede hielt. Den Erfolg der rechten Dänischen Volkspartei beim nördlichen Nachbarn erklärte sie unter anderem mit einer "kompromisslosen Abgrenzung in Richtung Rechtsextremismus". Die AfD müsse eine "Brücke" bauen zur "bürgerlichen Mitte der Gesellschaft". Vor allem aber sagte sie: "Wir können uns keinen Narrensaum leisten."

Was beiläufig klingen mag, hat eine klare Bedeutung. Mit "Narrensaum" werden im AfD-Parteisprech allzu umtriebige rechte Vertreter bezeichnet. Ihr Publikum, die schleswig-holsteinische Fraktion, hatte den Saum gerade erst Ende des vergangenen Jahres abgeschnitten: Sie hatte Doris von Sayn-Wittgenstein wegen Verbindungen zu einem Verein von Holocaust-Leugnern aus der Landtagsfraktion ausgeschlossen und von der Spitze des Landesverbandes verdrängt. Im Norden ist sie die wohl prominenteste Anhängerin Höckes.

Ende Februar dann griff Parteichef Jörg Meuthen Höckes Unterstützer scharf an. "Wer hier seine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ausleben möchte, dem sagen wir klipp und klar: Sucht euch ein anderes Spielfeld für solche Neurosen", sagte er beim baden-württembergischen Landesparteitag in Heidenheim am Neckar. Meuthen, der die große Bühne üblicherweise nutzt, um die "Altparteien" oder die Presse anzugreifen, attackierte bei seiner Rede die eigene Partei. Die Quittung waren Pfiffe und Buh-Rufe, ein bemerkenswerter Widerstand gegen den Parteichef.

Mit seinen Worten bezog Meuthen sich auf ein Treffen in Burladingen wenige Wochen zuvor. Dort waren Unterzeichner des sogenannten Stuttgarter Aufrufs und des Flügels zusammengekommen, um ein Zeichen gegen allzu viele Parteiausschlüsse zu setzen - man könnte auch sagen, gegen ein Abtrennen des Narrensaums. Mit dabei war Jessica Bießmann, die für die AfD im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt. Sie war aus der Fraktion geflogen, nachdem Fotos aufgetaucht waren, auf denen sie in lasziver Pose auf einem Küchentresen liegt - im Hintergrund Weinflaschen mit Hitler-Konterfei. Die geschasste Nord-Chefin Sayn-Wittgenstein - hier nennt man sie nur "die Fürstin" - kam auch zu dem Treffen, ebenso der baden-württembergische Abgeordnete Stefan Räpple. Er wurde im Dezember nach mehreren Zwischenrufen von der Polizei aus dem Plenum des Landtags entfernt. Räpple warb bei dem Treffen für einen deutlich radikaleren Kurs der AfD und bekam viel Applaus.

In Burladingen traf sich eine andere AfD. Die parteiinterne Arbeitsgruppe zum Verfassungsschutz, die der Bundesvorstand verordnet hat, wurde hier "Spionagetruppe" genannt. "Mäßigung","Anpassung", "Brücken bauen" - darum sollte es bei dem Treffen nicht gehen. Die Burladinger forderten, auch in Zukunft Begriffe wie "Umvolkung" oder "Überfremdung" nutzen zu dürfen. Im Hinblick auf den Verfassungsschutz hat sich die Bundespartei von derlei Formulierungen inzwischen distanziert. Zu Wort kamen, wie Moderatorin Christina Baum es nannte, "die gefährlichen Buben und Mädchen der AfD". Höcke persönlich war nicht anwesend und doch überall: auf Plakaten und Bannern. Zu Beginn der Veranstaltung ertönten Rufe: "Höcke, Höcke, Höcke!"

Es war diese Veranstaltung, die Parteichef Meuthen zu seinen kritischen Worten gegen die eigene Partei bewog. Doch konnte er wissen, wie mächtig der ultrarechte Flügel auch im Südwesten ist? Als auf dem Parteitag, auf dem Meuthen ausgepfiffen wurde, ein neuer Vorstand für den Landesverband gewählt wurde, erhielt Meuthens Wunschkandidat Bernd Gögel 380 Stimmen. Rechtsaußen-Favorit Emil Sänze lag nicht weit dahinter: 320 Stimmen. Auch in Baden-Württemberg zeigte sich: Die Radikalen sind keine Minderheit mehr.

Umso lauter werden die Höcke-Kritiker. Auch Bundesvize Georg Pazderski forderte ihn auf, "aufzuräumen". "Ich erwarte von Herrn Höcke, dass er genau sagt, wer zum Flügel gehört und wer nicht", sagte Pazderski bereits im Februar. Es sei die Aufgabe des Flügels, "dass er die Partei nach rechts hin abdichtet". Das wäre ein Strategiewechsel: Höcke versteht seine Aufgabe eher darin, ein Bindeglied zwischen der neurechten Bewegung und der AfD zu bilden. Padzerski, der im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, gilt als Vertreter des gemäßigten Parteilagers, von daher kommt die Aufforderung nicht aus heiterem Himmel.

Deutlich überraschender war der Verriss von Björn Höckes Buch "Nie zwei Mal in denselben Fluss" in der Wochenzeitung "Junge Freiheit", die der AfD nahesteht. In fast beleidigendem Ton bezeichnete der Chefredakteur Dieter Stein in der Titelgeschichte mit der Überschrift "Spaltet er die AfD?" Höcke als "Schutzpatron und Guru aller, die die AfD in eine rechte Sackgasse manövrieren". "Ideologisches Irrlicht", "Möchtegern-Vordenker", einer, der "unfähig" sei, den Ton zu treffen - die Kritik ist überdeutlich. "Den Kräften der Vernunft bleibt nicht mehr viel Zeit", orakelte der Chefredakteur. Dass die "Junge Freiheit" einen prominenten AfD-Politiker derart attackiert, ist ein Novum.

Die Spekulationen um ein mögliches Zerbrechen der AfD an allzu extremen Positionen mag so alt sein wie die Partei selbst. Dass sie derzeit eine neue Dynamik bekommt, ist jedoch nicht mehr zu leugnen. Auffällig ist dabei, wie ruhig sich Höcke selbst und andere Vertreter des Flügels verhalten. Seine Aschermittwochsrede leitete er selbst mit den Worten ein: "Von mir gibt es hundert Prozent politisch Korrektes" - und tatsächlich blieb ein Eklat aus. Auch die Beiträge in sozialen Netzwerken von anderen Flügel-Vertretern zeichnen sich derzeit durch einen verhältnismäßig zurückhaltenden Ton aus.

Höcke und seine Vertrauten dürften die Debatte sehr gelassen sehen. Aus seinem Umfeld sind Einschätzungen zu hören, die es in dieser Form auch bereits bei vergangenen Diskussionen um seine Person gab: Vieles sei nicht so ernst zu nehmen, der Streit werde von den Medien aufgebauscht. Bei dieser Strategie dürfte es bleiben. Denn Probleme haben derzeit andere. Spendenaffären, Vorwürfe, in der eigenen Partei zu spionieren, Buh-Rufe auf Parteitagen - all das spielt sich nicht innerhalb des ultrarechten Lagers ab, sondern in der AfD insgesamt.

Auch die sinkenden Umfragewerte dürften nicht darauf zurückzuführen sein, dass die Partei jüngst erneut "nach rechts" geschwenkt ist. Die AfD hat in der Vergangenheit nie in der Wählergunst eingebüßt, weil sie zu radikal geworden ist. Verloren haben immer jene, die sich gegen Höcke stellten - Lucke und Petry sind zwei prominente Beispiele. Höcke und seine Getreuen können die Füße hochlegen und entspannt dabei zusehen, wie ihre Gegner sich an ihnen abarbeiten. Ihre Unterstützer machen inzwischen einen ganz erheblichen Teil der Partei aus. Ein bloßer Narrensaum ist das schon lange nicht mehr.

n-tv


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