Warum der Brexit auch ein Polexit wird

  28 März 2019    Gelesen: 738
Warum der Brexit auch ein Polexit wird

Die Polen sind die größte ausländische Gruppe in Großbritannien. Nach der EU-Osterweiterung wurden sie als Fachkräfte angeworben - nun verändert der Brexit auch ihr Leben. Sind sie auf der Insel noch willkommen?

Als die Polen im Mai 2004 EU-Bürger wurden, waren viele von ihnen in Großbritannien heiß begehrt. "Schon kurz nach dem Beitritt erhielten wir einen Brief aus England - unterschrieben von dem damaligen Premierminister Tony Blair", erinnert sich der polnische Arzt Jacek Waroski gemeinsam mit seiner Frau Milena, ebenfalls Medizinerin. Die Botschaft des Schreibens damals: Man brauche sie und heiße sie herzlich willkommen. "Und wir waren keine Ausnahme. Viele unserer Kollegen fanden zu der Zeit solche Post in ihrem Briefkasten", sagt Waronski.

Eine solche Begeisterung für die Neu-Mitglieder war damals alles andere als üblich in der EU. Zu groß war im Westen die Angst vor dem "polnischen Klempner", der etwa in Frankreich zum Synonym für billige Arbeitskräfte avancierte. Gleich 15 Mitgliedstaaten schotteten ihren Arbeitsmarkt vor den Bürgern aus den neuen Mitgliedstaaten vorübergehend ab. Deutschland und Österreich machten gar bis zum Jahr 2011 dicht.

Eine von insgesamt drei Ausnahmen war 2004 Großbritannien. Die Briten öffneten ihren Markt nicht nur für die ost- und mitteleuropäischen Arbeitskräfte, sondern preschten bei deren Anwerbung regelrecht vor.

Beim Ehepaar Waronski hinterließ dies Wirkung. "Obwohl mich damals viele gefragt haben, was ich mit 44 Jahren in England will, wanderten wir 2005 nach Großbritannien aus", erzählt Jacek Waronski. Das Angebot war einfach zu lukrativ. "Trotz jahrelanger Berufserfahrung verdiente ich in Polen als Krankenhausarzt nur ungefähr 1200 Zloty (etwa 300 Euro - die Redaktion)", so der Mediziner. Auch die Arbeitsbedingungen seien in Großbritannien damals besser gewesen. "Und es war eine gute Entscheidung", sagt seine Frau Milena. "Egal ob am Arbeitsplatz oder in der Schule unseres Sohnes. Man hieß uns willkommen und unterstützte uns."

Doch nicht nur gezielt angeworbene Akademiker und Fachkräfte suchten nach dem EU-Beitritt Polens ihr Glück auf der Insel. Durch die höheren Löhne und den offenen Zugang zum Arbeitsmarkt entwickelte sich das Vereinigte Königreich zum beliebtesten Auswanderungsziel der Polen, selbst wenn viele dort nicht ihren eigentlichen Berufen nachgehen konnten. In der polnischen Presse fand man seit 2004 regelmäßig Berichte über Lehrer oder andere gut ausgebildete Staatsbedienstete, die in England Jobs als Tellerwäscher oder Putzkräfte annahmen und damit immer noch mehr verdienten als mit ihren erlernten Berufen in der Heimat.

Die Präsenz der Polen in Großbritannien ist auch heute noch unüberhörbar. Nach Englisch ist Polnisch mittlerweile die meistgesprochene Sprache, wie Zahlen des britischen Statistikamtes belegen. Laut dem letzten Migrationsbericht des Office of National Statistics (ONS) vom November 2018 leben in England, Wales, Schottland und Nordirland 985.000 polnische Einwanderer. Zum Vergleich: Aus der ehemaligen britischen Kolonie Indien verzeichnete das ONS 374.000 Migranten.

Wenn es um die EU-Osterweiterung geht, sind die Zahlen des britischen Statistikamtes aber nicht nur im Hinblick auf Polen interessant. Aus dem 2,8 Millionen Einwohner zählenden Litauen wanderten bis 2018 rund 230.000 Personen ein. Lettland, mit 1,9 Millionen Einwohnern auch eher ein kleines Land, verlor 113.000 Bürger gen Großbritannien. Und mit 433.000 Personen stellen Rumänen die mittlerweile zweitgrößte Einwanderungsgruppe auf der Insel, obwohl sie selbst erst seit 2007 EU-Bürger sind. Von den insgesamt elf ostmitteleuropäischen Staaten, die seit 2004 der EU beigetreten sind, fehlen lediglich die Tschechen, Esten, Slowenen und Kroaten unter den 25 größten Einwanderungsgruppen des Königreichs.

Für die ostmitteleuropäischen Ursprungsländer hat die Migration zwei Seiten. Einerseits verloren diese Staaten, die bereits seit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 mit den Auswirkungen der Auswanderung zu kämpfen haben, weitere Einwohner und zum Teil hochqualifizierte Arbeitskräfte. Andererseits spielen die Migranten eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Wirtschaft ihrer Herkunftsstaaten. Allein die in Großbritannien lebenden Polen haben nach Angaben der polnischen Nationalbank zwischen 2004 und 2018 rund elf Milliarden Euro in ihre Heimat überwiesen.

Ob auch in Zukunft der Geldfluss aus Großbritannien so konstant bleiben wird, ist jedoch fraglich. Seit dem Brexit-Referendum ist die Einwanderung aus Ostmitteleuropa bereits zurückgegangen. Zum einen mag das am Wertverlust des britischen Pfunds liegen. Eine noch größere Rolle dürfte aber die negative Stimmung spielen, die mittlerweile gegenüber EU-Migranten herrscht. "Direkt nach dem Brexit-Referendum haben uns unsere Leser regelmäßig über fremdenfeindliche Angriffe berichtet", sagt Agnieszka Nowicka, Redakteurin des "Polish Express", eines Nachrichtenportals für in Großbritannien lebende Polen. "Heute hat sich die Lage beruhigt. Doch in der polnischen Community herrscht große Sorge, dass mit dem offiziellen EU-Austritt Großbritanniens die Aggressionen gegenüber Migranten aus der Europäischen Union zunehmen werden."

spiegel


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