Im Sudan ist nach zwei Machtwechseln innerhalb eines Tages unklar, ob Militär und Opposition sich auf eine Führung des Landes einigen werden. Der neue Anführer des militärischen Übergangsrats, Abdel Fattah al-Burhan Abdelrahman, erklärte die von seinem Vorgänger verhängte Ausgangssperre für aufgehoben und versprach, das Militär werde innerhalb von maximal zwei Jahren die Macht an eine zivile Regierung abgeben. Allerdings forderten Oppositionsgruppen und Demonstranten weiterhin eine sofortige derartige Machtübergabe.
Oppositionsgruppen wollten sich nach eigenen Angaben mit dem Übergangsrat treffen, um über eine mögliche Lösung zu sprechen. Nach dem Sturz von Langzeitmachthaber Omar al-Baschir am Donnerstag hatte das Militär die Macht in dem Land im Nordosten Afrikas übernommen. Der neue Anführer Awad Ibn Auf, Al-Baschirs langjähriger Weggefährte und der vorherige Verteidigungsminister, erklärte unter anderem die Auflösung das Parlaments sowie einen Ausnahmezustand und eine Ausgangssperre.
Arabische Staaten sagen Unterstützung zu
Die Militärregierung erhält Rückendeckung durch die Regionalmacht Saudi-Arabien. Das Königreich erklärte einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur SPA zufolge, es unterstütze die Maßnahmen des Militärrats in Khartum und werde ihm Hilfslieferungen zukommen lassen, darunter Ölprodukte, Weizen und Medikamente. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate boten Gespräche über Hilfslieferungen an und begrüßten die Ernennung von General Burhan.
Demonstranten und Oppositionsgruppen lehnten die Militärführung jedoch vehement ab und protestierten zu Tausenden weiter. Daraufhin trat der erst am Donnerstagabend vereidigte Ibn Auf überraschend am Freitagabend zurück, was in Khartum mit Jubel und Applaus von Demonstranten begrüßt wurde. Sein Nachfolger Burhani rief nun zum Dialog mit jeglichen oppositionellen und zivilgesellschaftlichen Gruppen auf. Zudem sagte er in der im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz, dass die während des Ausnahmezustands festgenommenen politischen Gefangenen freigelassen würden.
Burhani war bislang der Generalinspekteur der Armee. Der Militär zeigte während der Proteste etwas Bürgernähe und sprach mit Demonstranten, wie Fotos in sozialen Netzwerken zeigen. Aus Militärkreisen hieß es, Burhani genieße innerhalb der Streitkräfte größeres Vertrauen als der vorherige Anführer des Übergangsrates Ibn Auf.
Im Sudan droht "tieferes Chaos"
Das Oppositionsbündnis "Erklärung von Freiheit und Wandel" forderte erneut eine komplett zivile Übergangsregierung. Der Allianz gehören mehrere Oppositionsgruppen an, darunter das gewerkschaftliche Bündnis SPA, das eine treibende Kraft der Massenproteste der vergangenen Monate war. Man könne nicht akzeptieren, dass Vertreter des "alten Regimes" im Amt blieben, sagte etwa Muchtar al-Chatib von der kommunistischen Partei.
Allerdings wolle man sich mit dem Übergangsrat treffen, um einen Wechsel zu einer Demokratie zu besprechen, sagte Salah Sanhori von der Baath-Partei. Zudem teilte der Übergangsrat mit, der Chef des verhassten Geheimdienstes NISS, Abdallah Gusch, habe seinen Rücktritt erklärt. Zunächst war unklar, ob dies auf einen Machtkampf zwischen den unterschiedlichen Sicherheitsorganen hindeutet oder ein Anzeichen dafür ist, dass das Militär auf Oppositionsforderungen eingeht.
Mit dem Wechsel an der Spitze des Übergangsrates hatte die Militärführung wohl darauf gehofft, dass die Proteste abflauen. Das scheint zurzeit eher unwahrscheinlich. Sollte die Militärführung nicht schnell die Macht an zivile Kräfte übergeben, würden die Menschen weiter protestieren, warnt die Denkfabrik International Crisis Group. Und dies erhöhe das Risiko von Zusammenstößen, "die das Land in ein tieferes Chaos stürzen könnten". Auslöser der Massenproteste war im Dezember 2018 eine Erhöhung der Benzin- und Brotpreise gewesen. Der Sudan mit rund 41 Millionen Einwohnern gehört zu den 25 ärmsten Ländern der Welt. Das Land durchlebt eine schwere Wirtschaftskrise.
Militär nutzt Proteste als Rechtfertigung
Die Proteste richteten sich dann gegen den autoritären Präsidenten Al-Baschir, der 30 Jahre lang an der Macht war. Als Al-Baschir gestürzt wurde, machte sich zunächst Euphorie breit. Doch diese schlug schnell in Enttäuschung und Widerstand gegen die neue Militärführung um. Diese erklärte, für zwei Jahre die Macht zu übernehmen und den Weg für Wahlen zu ebnen. Sie löste das Parlament auf und verhängte einen Ausnahmezustand und eine Ausgangssperre. Das Militär führte die Proteste als Rechtfertigung an, warum es die Macht ergriffen hat. Al-Baschir wurde als Machthaber dargestellt, der kein Ohr mehr für die Probleme der Menschen gehabt habe. Die Staatsführung habe mit Gewalt reagieren wollen und jegliche politischen und wirtschaftlichen Probleme ignoriert, hieß es. Deshalb habe man entschieden, dass "eine Veränderung stattfinden muss".
Die Streitkräfte versicherten, sie wollten nur übergangsweise an der Macht bleiben und lediglich für Stabilität und Sicherheit sorgen. Sie versprachen, möglichst bald einer zivilen Regierung Platz zu machen. Doch Demonstranten und Zivilgesellschaft schenkten diesen Versprechen wenig Glauben. Sie sahen die Militärregierung mit Ibn Auf an der Spitze lediglich als eine Neuauflage der alten Führung.
Ibn Auf gehörte zu Al-Baschirs innerem Zirkel: Seit 2015 war er sein Verteidigungsminister, zuletzt auch sein Vizepräsident. Im blutigen Darfur-Konflikt mit rund 300.000 Toten war er zudem der US-Regierung zufolge als Chef des Militärgeheimdienstes und Mitglied der Führung in Khartum dafür verantwortlich, Aktionen mit der brutalen Dschandschawid-Miliz abzustimmen. Die USA setzten den Militär wegen seiner Rolle bei dem Blutvergießen in Darfur 2007 auf eine Sanktionsliste.
Seit vergangenem Samstag hatten sich die Demonstrationen mit einer Sitzblockade Zehntausender Menschen vor der Militärzentrale und Residenz Al-Baschirs in Khartum zugespitzt. Tausende Demonstranten wurden festgenommen. Nach Angaben des UN-Menschenrechtsbüros kamen bei den Protesten seit Dezember bis zu 70 Menschen ums Leben.
Quelle: n-tv.de
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