"Ich pfeife auf die nächste Wahl"

  26 April 2019    Gelesen: 608
"Ich pfeife auf die nächste Wahl"

Frankreichs Präsident Macron antwortet auf die Gelbwesten-Proteste und verspricht Steuersenkungen und mehr Bürgerbeteiligung. Neuanfang gibt es aber keinen, sagt der Staatschef. Ob das reicht?

Zur Rolle des Präsidenten in Frankreich gehörte es jahrzehntelang, möglichst über den alltäglichen Dingen der Regierungspolitik zu schweben und sich mit wirklich wichtigen Themen zu befassen - für alles andere war seit jeher der Premierminister da. Doch seit der Fünften Französischen Republik vor einiger Zeit so viele politische Gewissheiten abhandenkamen, ist alles anders.

Drei Monate lang war Präsident Emmanuel Macron als Reaktion auf die Gelbwesten-Bewegung durch das Land gezogen, um mit den Franzosen zu diskutieren. Über Geburtskliniken in der Provinz, die geschlossen werden sollten. Über Umgehungsstraßen, die seit Jahren nicht fertig werden. Über die monatlichen Unterbringungskosten in Altersheimen. Oft waren die Themen noch nicht mal premierministertauglich. Macron stellte sich ihnen dennoch in stundenlangen Diskussionen. Und zum Schluss wunderten sich die Franzosen ein wenig, wieviel Zeit ihr Präsident damit verbrachte.

Am Donnerstagabend wurde Emmanuel Macron wieder präsidentiell: Im frisch renovierten, ehemaligen Ballsaal des Elysée-Palastes zog er das Fazit aus dem Dialog mit Bürgern und Bürgermeistern.

Es war die erste Pressekonferenz seit seinem Amtsantritt, also seit fast zwei Jahren, auch das ist bemerkenswert. Er habe viel gelernt in diesem einmaligen demokratischen Experiment der "Grand débat", sagte Macron. Die "toten Ecken der Gesellschaft" hätten sich ihm in diesen Wochen offenbart. Es sei eine Erfahrung gewesen, die ihn verändert habe.

Dann kündigte er an, wie er auf die Zukunftsängste und Sorgen der Franzosen reagieren will - mit vielen kleinen und einigen größeren Zugeständnissen: So plant Macron geringere Renten an die Inflation anzupassen, alleinerziehende Mütter finanziell besser zu stellen und die Einkommensteuer für mittlere und kleine Einkommen deutlich zu senken.

Außerdem strebt er eine umfassende Verwaltungsreform an, die mit einer klaren Dezentralisierungsstrategie einhergehen soll. "Wir haben zu viele Leute in Paris, die entscheiden, ohne die Bedürfnisse zu kennen und zu wenige da draußen." Der Präsident will Regionen und Gemeinden mehr Kompetenzen und Verantwortung übertragen, auch das entspricht einer Forderung aus dem "Grand débat". Macron gibt nach - ein wenig.

Bis zum Ende seiner Amtszeit soll es im ganzen Land 2000 "France Service"-Häuser geben, der öffentliche Dienst für die Franzosen damit erreichbarer sein als bisher. Auch die Teilnahme an Referenden will er vereinfachen, außerdem soll sich ab Juni eine "Bürgerkonvention" mit der Klimapolitik beschäftigen.

Es ist ein bunter Strauß von Maßnahmen, die der französische Präsident in seiner einstündigen Erklärung vorstellte. Der große Wurf ist nicht dabei, wohl für keine Seite. Aber was hätte das auch sein sollen? Seit längerem sprachen politische Beobachter in Paris von einem "fatalen Erwartungsmanagement", zu dem die Regierung mit der pompösen Ankündigung einer großen Bilanz der "grand débat" beigetragen habe. Seither hofften die Gelbwesten auf die Erfüllung vieler ihrer Forderungen.

Viele von Macrons Ankündigungen waren seit Tagen bekannt, nachdem er aufgrund des Brands von Notre-Dame seine für den selben Tag geplante Fernsehansprache abgesagt hatte. Sein Redemanuskript war da aber schon öffentlich.

Seither diskutierte Frankreich über die geplanten Vorschläge, am heftigsten über die geplante Auflösung der Elitehochschule ENA und das Fehlen einer ehrgeizigen Klimapolitik. Macrons ehemaliger Umweltminister Nicolas Hulot warnte in einem Interview am Wochenende eindringlich, man müsse jetzt entschiedener vorgehen, dies sei eine Frage "unseres Überlebens".

Macron erhörte ihn nicht, er nutzte die unfreiwillige Testphase nicht mehr für mögliche Veränderungen, entgegen vielen Spekulationen blieb er in der Klimapolitik vage. Auch an der viel kritisierten Abschaffung der Vermögenssteuer hält er vorerst fest, ebenso an der bisherigen Wirtschafts- und Reformpolitik seiner Regierung. Und der Präsident räumte auch gleich selbst ein: Das sei kein Neuanfang. Aber man könne immer noch vieles besser machen als zuvor, auch er.

Offen ist, ob Macrons Erklärungen aus dem Ballsaal die Gelbwesten-Bewegung neu anheizen werden oder die Bewegung weiter abflaut. Die Opposition reagierte kurz nach dem Auftritt Macrons erwartbar: Mit seiner Rede habe er die politische Krise nicht beendet, sondern wieder in Gang gebracht, kritisierte der Gründer und ehemalige Parteichef der Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon. "Ich befürchte, dass die Wut der Franzosen jetzt noch viele schöne Tage vor sich hat", befand auch der Rechtspopulist Jordan Bardella, Spitzenkandidat zur Europawahl des Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen.

Der RN liegt in manchen Umfragen für den Urnengang am 26. Mai nur noch 0,5 Prozent hinter Macrons Regierungspartei La République en Marche. Wohl auch deshalb forderte Emmanuel Macron gestern Abend eine Reform des Schengenraums und einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen.

"Wir sind ein Land, das viele Dinge von seinem Präsidenten erwartet", sagte er zum Schluss. Das habe er zwischendurch etwas vergessen. "Aber ich werde nicht jemand werden, der versucht zu gefallen." Auf die Frage, ob er 2022 noch einmal kandidiere, wollte er nicht antworten. "Ich pfeife auf die nächste Wahl, ich will jetzt dieses Mandat erfolgreich hinter mich bringen."

spiegel


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