Der jahrelange Wirtschaftsaufschwung ist bei vielen Vollzeitbeschäftigten in Deutschland kaum angekommen. Bei rund 21 Millionen sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten erhielten 3,38 Millionen, also 16 Prozent, ein Gehalt von weniger als 2000 Euro brutto im Monat. Das geht aus einer Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Sabine Zimmermann hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt.
Der Osten hinkt 30 Jahre nach dem Mauerfall nach diesen jüngsten verfügbaren Zahlen von Ende 2017 dem Westen weiter hinterher. In Westdeutschland kamen 2,32 Millionen Vollzeitbeschäftigte (13,5 Prozent) auf weniger als 2000 Euro brutto, in Ostdeutschland waren es 1,06 Millionen (27,5 Prozent) – also doppelt so viel. Besonders Reinigungskräfte und Beschäftigte in Hotels und Restaurants verdienen schlecht, oft nur rund 1600 Euro.
Die Zahlen zu den Geringverdienern bewegen sich seit Jahren in diesem hohen Bereich, viele Bürger haben das Gefühl, dass der Aufschwung bei ihnen nicht ankommt. Die AfD versucht sich daher gerade in Ostdeutschland als Anwalt der kleinen Leute zu positionieren. Am 1. September wird in Sachsen und Brandenburg ein neuer Landtag gewählt, am 27. Oktober in Thüringen. In allen drei Ländern kann die AfD mit hohen Zugewinnen rechnen. Union und SPD hatten als ein Mittel zur Begrenzung von Dumpinglöhnen 2015 den Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde eingeführt, heute liegt er bei 9,19 Euro. Vollzeitbeschäftigte liegen in Ostdeutschland heute oft nur knapp über diesem Niveau.
In Mecklenburg-Vorpommern erhielten nach den Auswertungen von Ende 2017 rund 32,6 Prozent weniger als 2000 Euro brutto, in Thüringen waren es 30,2 Prozent, gefolgt von Sachsen (30,1 Prozent) und Brandenburg (29,8 Prozent). Nur Berlin stand mit 18,5 Prozent besser da. Den niedrigsten Anteil gab es mit 11,4 Prozent in Baden-Württemberg. Die Linken-Arbeitsmarktexpertin Zimmermann betonte: „Mit unter 2000 Euro brutto kommt man nicht mehr weit.“
Vielerorts würden die Miet- und die Lebenshaltungskosten steigen. „Es ist ein Skandal, dass insbesondere der Osten weiterhin so deutlich abgehängt ist.“ Die Bundesregierung müsse sich für die weitere Angleichung der Löhne einsetzen. „Unter anderem muss der zu niedrige Mindestlohn auf zwölf Euro erhöht, systematische Niedriglohnbeschäftigung wie Leiharbeit abgeschafft und die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen erleichtert werden.“ Niedrigen Löhnen folgten niedrige Renten; Altersarmut sei programmiert. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will dem mit einer Grund- und Aufstockerrente entgegenwirken, in Kürze wird ein Entwurf hierzu erwartet. Und sogar die SPD-Spitze ist inzwischen für zwölf Euro Mindestlohn pro Stunde.
Union und SPD haben zudem Pläne vorgelegt, um die Arbeits- und Lohnsituation im Osten auch durch die Ansiedlung neuer Industrien und Forschungszentren zu verbessern, zumal viele Menschen bis heute hadern mit der Abwicklung ihrer Betriebe, in denen sie gearbeitet hatten, durch die Treuhand. Der weiterhin große Niedriglohnsektor dürfte auch ein Thema bei den Demonstrationen zum Tag der Arbeit am 1. Mai werden.
tagesspiegel
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