Sicher hätte Leonardo da Vinci mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, dass man ihn, 500 Jahre nach seinem Tod, noch immer und sogar als Universalgenie feiert. Weniger amüsiert wäre er vermutlich darüber, in politische Geiselhaft zu geraten. Doch genau das ist ihm jetzt passiert. Italiens nationalpopulistische Regierung hat in ihm ein Aushängeschild ihrer Politik gefunden und streitet sich seit Monaten mit Paris über die Leihgaben für die im Oktober geplante große Leonardo-Ausstellung im Louvre.
Wahrscheinlich hätte der Renaissancemeister schon folgende Aussage des italienischen Premiers Giuseppe Conte als befremdend empfunden: "Für unser System Italien ist dieses (Gedenkjahr) die Gelegenheit, eines unserer weltweit anerkannten Genies zu feiern." Als total absurd wäre ihm wohl jedoch die Feststellung von Kulturstaatssekretärin Lucia Borgonzoni vorgekommen: "Er heißt nicht Leonardò, sondern Leonardo. Und dem Louvre all diese Werke zur Verfügung zu stellen, bedeutet, Italien an den Rand des Gedenkjahres zu drängen." Immerhin habe Leonardo den Großteil seines Lebens in Italien verbracht, so die Politikerin der Lega Nord.
Das war im Herbst 2018, die neue Regierung erst seit wenigen Monaten im Amt. Seitdem sind die Beziehungen zwischen Rom und Paris angespannt. Weder die Fünf-Sterne-Bewegung noch die Lega sind dem französischen Staatspräsident Emmanuel Macron freundlich gesonnen. Beide Parteien lassen keine Gelegenheit aus, sich mit Paris anzulegen. Und wenn es der Causa dient, muss auch Leonardo als Nationalheiliger herhalten.
Hinzu kommt, dass es die Vorgänger-Regierung unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni war, die mit Paris vereinbart hatte, dem Louvre die Leonardo-Werke zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug soll Italien im nächsten Jahr zum 500. Todestag von Raffael, einem weiteren großen Künstler der Renaissance, die in Frankreich aufbewahrten Gemälde bekommen. Das vom damaligen italienischen Kultusminister Dario Franceschini eingeleitete Abkommen war jedoch noch nicht bindend, denn von den ungefähr 25 vom Louvre angefragten Gemälden und Zeichnungen sind nicht alle transportfähig. So zum Beispiel "Die Taufe Christi", "Die Verkündigung" und das unvollendete Gemälde "Anbetung der Könige aus dem Morgenland", die in den Uffizien hängen. Der Direktor des Kunstmuseums in Florenz, Eike Schmidt, ließ schon im Dezember wissen, man könne sie nicht verschicken.
Borgonzonis "Er heißt nicht Leonardò, sondern Leonardo"-Stellungnahme hatte seinerzeit für Aufsehen und Kritik gesorgt. Aus Italiens Kulturszene hieß es, es sei nichts Neues, dass sich Museen grenzüberschreitend bei wichtigen Ausstellungen Gemälde leihen. Abgeordnete der rechten Partei Fratelli d'Italia sprachen hingegen von einer "nationalen Demütigung", würde Italien gerade zu Leonardos Gedenkjahr dessen Werke an Frankreich verleihen. Zudem besitze das Nachbarland bereits zahlreiche Arbeiten des Meisters. Politiker der Opposition plädierten wiederum dafür, nicht zuletzt als Zeichen der Entspannung zwischen den zwei Ländern die Vereinbarungen zu erfüllen.
Mittlerweile ist das Thema jedoch weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden. Wie steht es also um den Leihgaben-Disput? Mehrere Mails von n-tv.de an Borgonzoni blieben unbeantwortet und die Auskunft seitens der Pressestelle des Kulturministeriums war alles andere als aufschlussreich. Es war nur zu erfahren, dass sich der Fünf-Sterne Minister Alberto Bonisoli schon ein paar Mal mit seinem französischen Kollegen Franck Riester getroffen habe. Doch jetzt, nach dem Brand der Notre-Dame-Kathedrale, hätten die Franzosen sowieso ein anderes Problem. Wer weiß also, ob es die Ausstellung im Louvre überhaupt geben werde? Eine eher anhaltlose Spekulation, meint Leonardo-Experte Luca Caricato im Gespräch mit n-tv.de. "Die Vorbereitungen laufen ja schon seit geraumer Zeit." Über das Gezänke wolle er sich aber nicht äußern.
n-tv
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