Sicherheit war für Boeing Nebensache

  07 Mai 2019    Gelesen: 803
  Sicherheit war für Boeing Nebensache

Die Kontrolleure des US-Flugzeugbauers machen bei den Crashs der 737-Max-Flieger keine glückliche Figur: Von den tödlichen Software-Fehlern der Jets erfuhren sie erst im Nachhinein. Sicherheitsfragen interessierten sie zuvor offenbar nicht besonders.

In der Krise um die Abstürze der 737-Max-Flieger von Boeing in Indonesien und Äthiopien haben offenbar nicht nur die staatlichen Aufseher von der Behörde FAA bei der Überwachung des Flugzeugbauers geschlampt. Auch die firmeninternen Kontrolleure im Boeing-Aufsichtsrat hatten die Probleme offenbar nicht auf dem Schirm und gingen viel zu lasch mit dem Management des Konzerns um.

Erst am Sonntag musste Boeing einräumen, schon ein Jahr vor dem ersten Absturz einer 737 Max von Lion Air in Indonesien im Oktober von einem Software-Fehler an der Sinkflug-Automatik MCAS gewusst zu haben, die sich bei den Crashs der Flieger mit 346 Toten fälschlicherweise aktiviert hat. Schon wenige Monate nach Auslieferungsbeginn der ersten Modelle im Mai 2017 sei aufgefallen, dass ein Alarmsystem bei der neuen Software nicht wie geplant funktionierte. Es sollte eigentlich anzeigen, ob die beiden Anstellwinkel-Sensoren der Jets dem Bordcomputer widersprüchliche Daten liefern. Doch eine dafür nötige Warnleuchte im Cockpit hatte Boeing seinen Kunden als kostenpflichtige Zusatzausstattung verkauft.

Nicht nur der Flugaufsicht FAA sei das Ergebnis dieser internen Untersuchung aber mehr als ein Jahr nicht mitgeteilt worden, weil man das Problem für nicht sicherheitskritisch befunden habe, teilte Boeing mit. Auch "die obere Führungsebene des Konzerns erfuhr erst im Nachgang des Lion-Air-Unglücks von dem Problem."

Ob das Alarmsystem einen der beiden Abstürze hätte verhindern können, ist unklar. Weder Lion Air noch Ethiopian Airlines hatten die nötige Warnleuchte als Extra-Feature gekauft. Boeing-Chef Dennis Muilenburg hat eingeräumt, dass sich die Sinkflug-Automatik auf beiden Flügen durch falsche Flugwinkel-Daten aktiviert hat. Boeing behauptet, das Fehlen des Warnsystems für genau diese Fehlfunktion hätte "Sicherheit und Betrieb des Flugzeugs nicht nachteilig beeinträchtigt". Solche Laissez-Faire-Kultur in Sicherheitsfragen war in der Boeing-Führungsetage offenbar gang und gäbe.

"Sicherheit wurde einfach vorausgesetzt"

Schon bei der Entwicklung der Unglücksflieger spielten Sicherheitsaspekte für die Aufseher offenbar nur am Rande eine Rolle. Weil die europäische Konkurrenz von Airbus dem US-Flugzeugbauer den Rang abzulaufen drohte, musste Boeing seine neuste 737-Generation "wie im Druckkochtopf entwickeln". 2011 trafen die Ingenieure des Konzerns eine folgenschwere Richtungsentscheidung: Statt ein völlig neues Flugzeug zu entwickeln entschieden sie sich für eine Generalüberholung von Boeings größtem Verkaufsschlager.

Dabei wurde der bestehende 737-Rumpf mit größeren und stärkeren Triebwerken ausgerüstet, die unter den Tragflächen weiter nach vorne rückten. Dadurch wurden die Max-Jets aerodynamisch instabil, wenn sie zu steil steigen. Zum Ausgleich wurde die neue MCAS-Software installiert, die die Nase der Flieger in kritischen Flugsituationen automatisch nach unten drückt.

Niemand im Aufsichtsrat habe aber danach gefragt, welche Folgen diese Designänderungen für die Sicherheit der Jets haben könnten, berichtet die "Washington Post" unter Berufung auf drei an den damaligen Sitzungen Beteiligte. Die Kontrolleure hätten diskutiert, wie schnell und günstig die 737 Max gebaut werden könne, aber keine detaillierten Fragen zur Sicherheit der Flieger gestellt. "Sicherheit wurde einfach vorausgesetzt", zitiert das Blatt einen ehemaligen Aufsichtsrat.

Boeing-Chef Muilenburg hat unbegrenzte Macht

Der erste Absturz in Indonesien führte bei den Kontrolleuren offenbar nicht zu kritischen Nachfragen. Obwohl schnell der Verdacht aufkam, die neue Sinkflug-Software MCAS könne zu dem Crash geführt haben - die Piloten versuchten offenbar mehr als zwei Dutzend Mal, die Maschine wieder nach oben zu ziehen - entschied sich der Boeing-Aufsichtsrat gegen ein Flugverbot für seinen Bestseller-Jet. "Ich bedaure diese Beurteilung nicht", zitiert das Blatt Aufsichtsrat David Calhoun, Top-Manager der Private-Equity-Firma Blackstone. Der Absturz hätte für ihn ausgesehen "wie eine Anomalie."

Erst nach dem zweiten Crash in Äthiopien im März änderten die Aufseher ihre Meinung. Zunächst rief Boeing-Chef Muilenburg noch bei US-Präsident Donald Trump im Weißen Haus an und drängte ihn, kein Flugverbot für die 737-Max-Flotte in den USA zu verhängen. Einen Tag später habe Muilenburg dann aber auf Druck seines Aufsichtsrats Trump doch gebeten, die Jets zu sperren, berichtet das Blatt. Man sehe es nicht als Aufgabe an, sich mit jedem technischen Feature eines Flugzeugs zu beschäftigen, zitiert die Zeitung Calhoun und einen anderen Boeing-Kontrolleur.

Tatsächlich sitzen im Boeing-Aufsichtsrat auch keine Techniker oder Sicherheitsexperten, sondern Manager und Politiker: die Chefs des Biotech-Giganten Amgen und des Energieriesen Duke Energy etwa, die Ex-Bosse der Versicherungen Allstate und Aetna, Ex-Botschafterin Caroline Kennedy, die Tochter des ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy, oder Trumps ehemalige Uno-Botschafterin Nikki Haley. Einzig Lawrence Kellner, Ex-Boss von Continental Airlines, hat überhaupt Erfahrung mit der Sicherheit von Flugzeugen.    

Eigentlich soll der Aufsichtsrat die Interessen der Aktionäre vertreten und die Chefetage kontrollieren. Die Aufseher haben aber kaum das Know-How, um Boeing-Chef Muilenburg, der sich als Ingenieur über mehr als 30 Jahre im Konzern hochgearbeitet hat, Paroli zu bieten. Zudem hat Muilenburg auch noch faktisch unbegrenzte Macht: Seit 2016 ist er Boeing-Chef und oberster Chefaufseher in Personalunion, so wie bei vielen US-Konzernen üblich. Vergangenen Montag stimmte auf der jährlichen Boeing-Hauptversammlung ein Drittel der Aktionäre dafür, Muilenburg als Chefkontrolleur abzusetzen und im einen unabhängigen Aufseher vor die Nase zu setzen. Für Boeing-Verhältnisse war das fast schon eine Revolution.

Quelle: n-tv.de


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