Informationen ehemaliger Boeing-Ingenieure und von Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden in den USA hatten bereits darauf hingedeutet, dass es bei der Zulassung der Boeing 737 Max 8 Ungereimtheiten gab. Nun verdichten sich die Hinweise.
Eine vorläufige, interne Untersuchung der Federal Aviation Administration (FAA) habe ergeben, dass leitende Beamte bei wichtigen Sicherheitsprüfungen des umstritten Flugkontrollsystem MCAS gefehlt oder diese nicht überwacht hätten, schreibt das "Wall Street Journal" unter Berufung auf Industrie- und Behördenkreise.
Die Ergebnisse legten zudem nahe, dass Boeing selbst das System im Zulassungsprozess für die 737 Max 8 nicht für besonders sicherheitsrelevant hielt. Hätte der Flugzeugbauer das System als wichtiger eingestuft, wäre es stärker überprüft worden, hieß es.
Mögliche Risiken von MCAS seien aufgrund der Klassifizierung von Boeing nur unter geringer Aufsicht untersucht worden, schreibt das "Wall Street Journal". Letztlich hätten Boeing-Mitarbeiter, die die FAA mit der Prüfung beauftragt hatte, MCAS abgesegnet. Mitarbeiter des Herstellers haben also die behördliche Prüfung der Flugzeugsoftware übernommen.
MCAS soll eigentlich verhindern, dass Piloten die Nase der Boeing 737 Max 8 unabsichtlich so hochziehen, dass es zu einem gefährlichen Strömungsabriss an den Flügeln kommt. Steigt das Flugzeug zu steil, greift die Technik selbstständig in die Höhensteuerung ein und senkt die Nase ab, verlässt sich dabei allerdings nur auf die Daten eines Sensors.
Fehler im MCAS-System werden für die Abstürze von zwei Passagierflugzeugen verantwortlich gemacht:
Im März 2019 schlug eine Ethiopian-Airlines-Maschine kurz nach dem Start in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba mit 157 Menschen an Bord am Boden auf.
Fünf Monate zuvor, im Oktober 2018, war eine Boeing des gleichen Typs in Indonesien kurz nach dem Start verunglückt. Der Absturz der Lion-Air-Maschine kostete 189 Menschen das Leben.
Wie intensiv FAA und Boeing-Mitarbeiter sich bei der Zulassung der Max 8 ausgetauscht haben und welche eigenen Bewertungen die Behörde durchgeführt hat, sei noch unklar heißt es in dem Medienbericht. Die Untersuchung habe aber gezeigt, dass Boeing bei der Zertifizierung der 737 Max 8 keine Vorgaben missachtet oder die FAA absichtlich hinters Licht geführt habe.
Fraglich ist demnach, ob die Regeln der FAA ausreichend sind, um die Sicherheit von Flugzeugen unabhängig zu prüfen.
Laut einem Bericht der "New York Times" vom Dienstag, wusste Boeing spätestens nach dem ersten Absturz von Problemen mit MCAS. Piloten von American Airlines hätten den Flugzeugbauer bereits einige Zeit nach dem Unglück der Lion Air-Maschine, im November 2018, gedrängt, MCAS schnellstmöglich zu überarbeiten.
Bei einem Treffen hätten sie vorgeschlagen, Boeing solle Probleme bei den Behörden melden, was wahrscheinlich dazu geführt hätte, dass die Max-8-Flotte bereits damals hätte am Boden bleiben müssen. Boeing nahm die Aufforderung dem Bericht zufolge jedoch nicht ernst. Das Unternehmen habe nichts überstürzen wollen und erwartet, dass Piloten in der Lage sind, mit möglichen Problemen selbst umzugehen.
Ein hochrangiger Boeing-Mitarbeiter habe bei dem Treffen zwar eingeräumt, dass mögliche Mängel untersucht würden - auch am MCAS-System. Es sei jedoch noch nicht klar, dass der Lion-Air-Absturz allein auf MCAS zurückzuführen sei. Weniger als vier Monate später stürzte die Ethiopian-Airlines-Maschine auf ähnliche Weise ab.
Die Erkenntnisse aus dem FAA-Bericht und die Informationen der "New York Times" könnten am Mittwoch auch Thema bei einer Anhörung im Repräsentantenhaus werden. Der zuständige Ausschuss untersucht derzeit, wie die Boeing 737 Max 8 zugelassen wurde. Noch immer gelten in vielen Regionen Flugverbote für die Flotte - auch in den USA und Europa.
spiegel
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