Lohndumping bei Lufthansa: Warum die EU es fördert – und alle Parteien wegschauen

  21 Mai 2019    Gelesen: 1110
  Lohndumping bei Lufthansa: Warum die EU es fördert – und alle Parteien wegschauen

Die Europäische Union (EU) schafft keine menschenwürdigen Arbeitsbedingungen in Europa und unterstützt Lohndumping. Das sagt der Finanz-Experte Werner Rügemer. Im Sputnik-Interview vertieft der Vorkämpfer für Menschen- und Arbeitsrechte seine Kritik an der Sozialpolitik Brüssels. Er erklärt auch, was im aktuellen Europa-Wahlkampf schief läuft.

Bei der Europa-Wahl am kommenden Sonntag übersähen alle Parteien, welche gravierenden Defizite und Mängel es auf dem deutschen und europäischen Arbeitsmarkt gebe. So lautet die Kritik von Ökonom Werner Rügemer aus Köln, einem Vorkämpfer für Soziale und Menschenrechte.

„Es gibt ein ganz großes Tabu bei der Europäischen Union“, erklärte er im Sputnik-Interview: „Das sind die Arbeitsverhältnisse in Europa. Wie geht es den Menschen in der Arbeit? Wie sind die Arbeitseinkommen? Wie sind die Arbeitsrechte?“ Bei all diesen Fragestellungen stehe die EU „ganz schlecht da.“

„Die EU steht schlecht da“

Die Arbeitsverhältnisse innerhalb der EU sind laut Rügemer an manchen Stellen prekär und desolat. Sowohl in den reichen EU-Staaten, darunter Gründungsstaaten wie Deutschland oder Frankreich, aber auch in den neu aufgenommenen EU-Mitgliedsstaaten. Vor allem in Südeuropa (siehe Griechenland), in Osteuropa oder auf dem Balkan würden menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse und Bedingungen den Arbeitsalltag der Menschen bestimmen.  

In Ost-, Süd- und Südosteuropa „herrscht eine solche Arbeitsarmut, eine solche Armuts-Migration, so dass wir ein Heer von Wanderarbeitern in der Europäischen Union haben, die aus dem Osten, aus dem Balkan und aus dem Baltikum Richtung Westen wandern.“ Der Finanz-Experte betonte, aus letztgenannten Ländern „ wandern bis zu 30 Prozent der Erwerbsfähigen aus. Sie verdingen sich als Niedriglohnempfänger in den reicheren Staaten.“

Die wuchernde Zeit- und Leiharbeit sowie sinkende Löhne und Gehälter seien nur einige Folgen dieser Entwicklung.

„Die EU könnte besser dastehen – aber sie will nicht“

„Es gibt seit Jahrzehnten die Internationale Arbeiterorganisation ILO“, sagte Rügemer. Die der Uno angegliederte Organisation habe „seit ihrer Gründung etliche Arbeitsrechte auf Grundlage der Allgemeinen Menschenrechte kodifiziert und beschlossen: Zum Kündigungsschutz, zum Recht auf Arbeit, zum Recht auf gerechte Entlohnung, die auch die Familie mit ernährt. Das Recht auf Sicherheit am Arbeitsplatz. Auch Rechte zur freien Betätigung der Gewerkschaften, das Recht auf kollektive Tarifverhandlungen. Das Verbot von Zwangsarbeit.“

All diese Rechte zum Schutz der Arbeitnehmer seien seit Jahrzehnten – auch durch die ILO – bekannt und existent. Er kritisierte im Interview die Arbeitsmarkt-Politik Brüssels, denn die EU kümmere sich nicht um diese Arbeiterrechte. „Die EU, also die Regierungen der Europäischen Union und die Europäische Kommission, bräuchten diese Rechte nur rechtsverbindlich für den gesamten EU-Raum beschließen. Machen sie aber nicht.“

Innerhalb der EU und den dazugehörigen Gremien gebe es bei den Entscheidungsträgern, darunter Kommission und Europäisches Parlament, „keine ernsthaften Bemühungen, das zu ändern.“

Woran die Parteien bei der Europa-Wahl scheitern

Keine Partei habe dieses Thema zur diesjährigen Europawahl auf dem Zettel oder im Wahlprogramm stehen, bemängelte Rügemer. Selbst Parteien wie Die Linke seien zu zaghaft. Die Linken nennen zwar „das Arbeitsunrecht hier in Deutschland, kritisieren die Leiharbeit und die zunehmende Ungleichheit der Arbeitseinkommen.“ Dies sei insgesamt aber zu wenig.

„Dass Arbeitsrechte gleich Menschenrechte sind und dass sich da eigentlich die Europäische Union verbessern muss, das sagt keine Partei“, betonte der Kölner Vorkämpfer für Menschen- und Arbeitsrechte. Auch die Gewerkschaften hätten in diesem Feld noch einiges an Aufholbedarf.

Freihandelsabkommen mit Brüssel: „Schlecht für Arbeitnehmer“

Er nannte als Beispiele einige Freihandelsabkommen der letzten Jahre, die die Brüsseler EU mit anderen Wirtschaftsnationen ausgehandelt hatte oder aushandeln wollte: TISA, TTIP mit den USA, CETA mit Kanada und JEFTA mit Japan. Bei diesen Handelsabkommen „hat die EU-Kommission als Verhandlungsführer nicht darauf geachtet, dass dort Arbeitsrechte einklagbar verankert werden. Sondern da sind eben nur die Rechte von privaten Unternehmern einklagbar und sanktionsfähig verankert worden. Auch die Gewerkschaften haben das mitgetragen. Das finde ich eine Katastrophe.“

Die Soziale Marktwirtschaft, die „früher mal in der Bundesrepublik mit Absicht entwickelt worden ist, hat in kein europäisches Verfassungsdokument Eingang gefunden.“ Es habe 2007 im EU-Vertrag von Lissabon „zwar einen Ansatz gegeben. Da steht ‚Soziale Marktwirtschaft‘ als Ziel. Aber noch mit dem Zusatzartikel versehen: Sie muss wettbewerbsfähig sein. Und wettbewerbsfähig bedeutet in der EU, dass einzelne Staaten, in denen sich Firmen ansiedeln, Lohndumping machen dürfen.“

Lufthansa-Lohndumping in Tschechien

„Ich gebe Ihnen ein ganz aktuelles Beispiel“, so Rügemer.

Die deutsche Airline Lufthansa „ist dabei, ihre Catering-Tochterfirma nach Tschechien zu verlagern. Weil dort die Löhne niedriger sind. Aber weil die immer noch nicht niedrig genug sind, werden jetzt hunderte Menschen aus den Philippinen angeworben, weil die zu noch niedrigeren Löhnen arbeiten. Die Europäische Union unterstützt das, weil sie eben nicht die Beschäftigten unterstützt, sondern nur und prinzipiell private Konzerne.“

Die menschenunwürdige Arbeitsmarktpolitik der Lufthansa-Tochter und der inhumane „Arbeitskräfte-Import“ aus Südasien wird laut dem Kölner Wirtschafts-Experten offiziell von der EU in Brüssel unterstützt und gefördert. Dies sei skandalös. „Unter diesen Voraussetzungen wird das, was wir als Soziale Marktwirtschaft kennen, unterhöhlt.“

In seinem Buch „Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts“ hat der Kölner die Defizite, Schwachstellen und Probleme auf dem deutschen und europäischen Markt analysiert, nachgezeichnet und Lösungswege aufgezeigt.

sputniknews


Tags:


Newsticker