Lange habe ich mir überlegt, ob es sich überhaupt lohnt, zur Causa Strache ein Wort zu verlieren. Die Oberfläche des Phänomens lässt sich einfach charakterisieren: Der ehemalige FPÖ-Parteichef war wohl schon seit geraumer Zeit genau da angekommen, wo viele aus der politischen Klasse ebenso stehen: Für den Machtgewinn und für den Machterhalt ist nahezu alles erlaubt. Der «Erfolg» soll den Mächtigen ja immer «Recht» geben, da ist jedes Mittel erlaubt; aber wehe, wenn sie scheitern, dann wird man auf sie spucken. Sinngemäß hatte schon Machiavelli diese Einschätzung für die Fürsten und die Condottieri der Renaissance formuliert – und das ist wohl auch heute der Zustand. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Die Behauptung, den «Spiegel» und die «Süddeutsche Zeitung» hätten die politische Moral getrieben, als sie sich entschieden, das Video aus Ibiza zu veröffentlichen und zu kommentieren, ist nicht glaubwürdig. Sonst müssten beide deutsche Medien ihre sonstigen Positionen grundsätzlich hinterfragen. Beide Medien stehen mit vielen Beiträgen für eine Förderung der US-Nato-Kriegspolitik mit Millionen von Opfern, für die permanente Russlandhetze, für das Streben nach weltpolitischer Hegemonie des US-EU-Komplexes – und dass beide Medien Donald Trump scharf kritisieren, hat ebenfalls wenig mit politischer Moral, sondern mit transatlantischen Netzwerken zu tun, in denen sich auch die US-amerikanischen Gegner des amtierenden US-Präsidenten tummeln. Man erkennt dies selbst noch in der Causa Strache. Die «Veranstalter» hätten auch eine US-amerikanische (oder hiermit engsten verbündete) Milliardärin inszenieren können. Nein, es musste die Nichte eines russischen Oligarchen mit guten Beziehungen zum Kreml sein.
Der ganze Vorgang ist ein politischer Akt und hat nicht nur mit den bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament zu tun, sondern zielt ganz grundsätzlich gegen alle, die nicht zum «Mainstream» gehören wollen. Ihnen soll eine Lektion erteilt – und sie sollen geschwächt werden. Skrupel gibt es dabei keine.
Aber auch alle die, die bislang gehofft hatten, dass «neue» Parteien gegenüber den «Altparteien» eine Alternative sein können, müssen über die Bücher gehen. Ist es wirklich wegweisend, was sich diesbezüglich in Europa tut? Können wir der Lega, der AfD und wie sie alle heißen vertrauen? Ist Steve Bannon ein Hoffnungsträger? Würden es diese «neuen» Parteien, einmal mit politischer Macht betraut, wirklich besser machen? Ich habe da große Zweifel. Es macht keinen Sinn, die Causa Strache als Einzelfall, als Betriebsunfall zu werten.
Eigentlich muss man immer wieder an Immanuel Kant erinnern: «Sapere aude! Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!» Auch an Francisco de Goya: «Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.» Auch an den Wiener Individualpsychologen Alfred Adler: «Schau den Leuten nicht auf den Mund, schau ihnen auf die Hände!» Sicher auch an Erich Kästner: «Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.» Dieses Epigramm Kästners war übrigens mit «Moral» betitelt.
Diejenigen, die schon seit geraumer Zeit nicht mehr auf Parteien, sondern auf mehr direkte Demokratie setzen, können sich auch nach der Causa Strache bestätigt sehen. Zu Recht! Und auch in jede Richtung. Aber auch sie dürfen nicht vergessen, dass direkte Demokratie viel mehr ist als ein Verfahren für die politische Entscheidungsfindung. Zur direkten Demokratie gehört unverzichtbar eine politische Kultur: der Aufklärung und des Humanismus, christlicher Nächstenliebe und starker Gemeinwohlorientierung – und vieles mehr. Das alles wird nicht von heute auf morgen zu verwirklichen sein.
In der Zwischenzeit müssen wir feststellen, dass die Dampfwalze der Macht durch Europa rollt. Sich davon nicht allzu sehr beeindrucken zu lassen ist wohl ganz, ganz wichtig. Auch für die Politik gibt es ein Realitätsprinzip. Die derzeit noch tonangebende politische Klasse hat den Karren an die Wand gefahren. So lange diese Politik nicht grundsätzlich korrigiert wird, wird es keine Ruhe geben können. Es sei denn, Friedhofsruhe. Aber soweit sind wir noch nicht.
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