Dabei geht es um einen von Boeing entwickelten Komplex zum Abfangen von ballistischen Raketen im Weltraum. Nach Auffassung seiner Entwickler sollte die dreistufige Abfangrakete mit einer Startmasse von 21 Tonnen gegnerische ballistische Raketen (sowohl mittlerer Reichweite als auch Interkontinentalraketen) im mittleren Flugabschnitt entdecken und mit ihnen kollidieren. Dieses Abfangprinzip wird auch als „Kugel mit einer Kugel treffen“-Prinzip bezeichnet.
2017 zählte das GMD 44 Abfangraketen, und weitere 20 Raketen sollten noch auf Alaska stationiert werden. Der Auftraggeber war die amerikanische Raketenabwehragentur. Es wurde extra betont, dass der Feind Nordkorea wäre, genauer gesagt seine ballistischen Raketen Hwasong-15, die auch als „Kim Jong-uns Satan“ bezeichnet werden.
Es wurde beschlossen, nicht die schon gebauten Abfangraketen aufzustellen, sondern brandneue Raketen Redesigned Kill Vehicle (RKV). Sie sollten offenbar die Probleme beseitigen, die bei früheren Tests von Abfangraketen Exoatmospheric Kill Vehicle (EKV) aufgetreten waren, die in einigen Berichten als herausragend dargestellt, in anderen aber heftig kritisiert wurden. Die Treffsicherheit belief sich auf 40 Prozent, was eigentlich nichts als ein Scheitern war.
Und nun hat sich das Pentagon entschieden: Die Finanzierung des RKV-Programms wurde laut dem Fachmagazin „Defense News“ erst einmal gestoppt. Der für Forschungen zuständige Vizeverteidigungsminister der USA, Michael Griffin, soll mitgeteilt haben, dass Boeing die entsprechende Anordnung erhalten hätte.
Es sieht so aus, dass US-Präsident Trump, der im ersten Jahr seiner Amtszeit drohte, „die nordkoreanische Paria-Nation vom Antlitz der Erde zu tilgen“, der PR-Kampagne von GMD zu stark geglaubt hatte. Als er aber über wahre Probleme um die EKV-Raketen erfuhr, kam es eben zu seinem Sinneswandel gegenüber Kim Jong-un. Allerdings verlangte Trump von seiner Militärbehörde, die Abfangrakete unverzüglich zu modernisieren.
Dabei agierte der US-Präsident wie ein richtiger Cowboy, der sagt: „Bruder, lass uns doch uns versöhnen“, zugleich aber seinen Colt heimlich umlädt. So sieht jedenfalls aktuell die Situation um Washingtons Hysterie gegenüber Nordkorea aus. Das hat wohl zu bedeuten: Hätte das Pentagon schon jetzt eine normal funktionierende strategische Raketenabwehr gehabt, dann hätte es Nordkorea wohl schon gar nicht mehr gegeben.
Aber mit der Umladung lief auf einmal etwas schief. Die Raketenabwehragentur verlangte vom Pentagon plötzlich zusätzliche 412,4 Millionen Dollar für die „weitere Entwicklung“ des GMD-Programms. Damit es ganz deutlich wird: Man hatte ursprünglich erwartet, dass die RKV-Tests noch 2014 verlaufen, dann 2017, dann Ende 2018. Inzwischen wurde die Frist auf 2023 oder sogar 2024 verschoben – dann sollte der „Töter“ von russischen „Sarmat“- und nordkoreanischen „Hwasong“-Raketenendlich fertig sein. Und dann wird „Amerikas Wachhund“ die 20 Abfangraketen erhalten, die das Pentagon bestellt hat. So ist der neue Plan von Boeing.
Das bedeutet, dass der 45. US-Präsident sich mit Kim Jong-un nicht auseinandersetzen wird: Denn selbst wenn er 2020 wiedergewählt werden sollte, wird das noch sechs Jahre später schon sein Nachfolger tun.
Der Vizechef der Raketenabwehragentur, Vizeadmiral Jon Hill, erläuterte die entstandene Situation: „Wir haben das Projekt vorläufig bewertet, als wir den kritischen Zeitpunkt Ende des vorigen Jahres erreichten. Als Regierungsteam glaubten wir nicht, zu diesem Schritt bereit zu sein (…), und dank der Koordinierung im Departement – bis zum Vizeminister für Forschungen, beschlossen wir, dass es besser wäre, zurückzukehren, um das Design neu zu bewerten. Wir haben es nicht eilig, um alles richtig zu machen.“
Übrigens kritisierte Hill auch das Kampfjet-Projekt F-35, indem er erklärte, dass Fehler aus früheren Programmen nicht wiederholt werden sollten, wenn man neue Militärtechnik baut, um erst später ihre Nachteile zu beseitigen. Denn dadurch könnte das Vertrauen zum neuesten Kampfjet zerstört werden.
Klar und deutlich äußerte sich auch die Sprecherin des Verteidigungsministeriums, Heather Babb, die am 28. Mai gegenüber „Defense News“ sagte: „Der aktuelle Plan ist lebensunfähig … Um unnötige Ausgaben zu vermeiden, wurde die Raketenabwehragentur beauftragt, die Arbeit zur Einstellung des RKV-Programms im Rahmen des laufenden Vertrags mit Boeing aufzunehmen.“
Natürlich tut die Raketenabwehragentur ihr Bestes, um die Steuerzahler zu beschwichtigen: „Das Verteidigungsministerium hat bereits viel Geld für das RKV-Programm ausgegeben, aber das Pentagon hat noch die Chance, sich die allgemeine Kräftebilanz anzusehen, um die nordkoreanische Gefahr einzudämmen und die Raketengefahren seitens Russlands und Chinas zu bekämpfen.“
Die USA verfügen bekanntlich über vier Arten der Raketenabwehr. Das sind Kurzstreckensysteme Patriot, see- bzw. küstengestützte AEGIS-Systeme, Langstreckensysteme THAAD und die eben erwähnten GMD-Systeme. Aber das Thema GMD scheint nun weg vom Tisch zu sein.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass die nordkoreanische ballistische Rakete, die 2017 unweit von Japan abgefeuert wurde, von keinem der vier erwähnten US-Raketenabwehrsysteme abgefangen wurde. Vor allem lösten sich die Hoffnungen auf die THAAD-Systeme in der Luft auf. Die Höhe von 770 Kilometern, in der die „Hwasong-12“-Rakete damals entdeckt wurde, war für die Amerikaner zu hoch.
Und was die hochgelobten AEGIS-Systeme angeht, so können sie gegnerische Raketen nur unweit von den eigenen Startanlagen abfangen.
Der stellvertretende Redakteur der „New York Times“, Jerry Doyle, stellte anlässlich des „Hwasong-12“-Starts fest, dass die USA unfähig wären, nordkoreanische Raketen abzufangen. Möglicherweise wäre das künftig eine Aufgabe für die GMD-Systeme. Aber die Chance, dass sich ein Patriot-Komplex unweit vom Startplatz einer „Hwasong“-Rakete befinden würde, ist ziemlich gering. In Wahrheit sind Patriot-Komplexe nur als Luftabwehrwaffe tauglich. Die Amerikaner selbst stellen diese Waffe auf eine Stufe mit den russischen S-300- und den chinesischen KN-06-Raketen.
Damit hat „Amerikas Wachhund“ wegen der GMD-„Beerdigung“ nicht nur die Sehkraft, sondern auch den Geruchssinn verloren. Er könnte zwar den Gegner fassen, aber nur wenn dieser in seine Hundehütte steigt. Angesichts dessen sagte der Präsident der Stiftung Ploughshares (der Globalen Stiftung für Frieden und Sicherheit), Joe Cirincione, ganz offen: „Der Grund Nummer eins, warum wir nordkoreanische Raketen nicht abschießen, besteht darin, dass wir sie nicht abschießen können.“
sputniknews
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