Die Methode Puigdemont

  04 Juni 2019    Gelesen: 668
Die Methode Puigdemont

Carles Puigdemont ist auf Tournee, um seinen Anspruch auf ein EU-Mandat zu untermauern. Entschlossen ringt er um Aufmerksamkeit, zur Not auch in einer Hamburger Seniorenresidenz.

"Meine Damen und Herren, guten Abend", sagt Carles Puigdemont auf Deutsch und die Menge ist begeistert. Etwa 150 Menschen sitzen in einem Hörsaal in einem Hamburger Hotel, das zugleich Seniorenresidenz ist, und klatschen frenetisch. Vorne sitzen Puigdemont und Zaklin Nastic, menschenrechtspolitische Sprecherin der Linken. Sie unterstützt Puigdemont schon lange und hat ihn nun nach Hamburg eingeladen.

In Barcelona ließ Carles Puigdemont einst das katalanische Parlament die Unabhängigkeit ausrufen. Es folgten: Flucht vor der Justiz, Gefängnis in Neumünster, Freiheit nach zwölf Tagen, politisch wiederbelebt vom Oberlandesgericht Schleswig. Nun also Hamburg-Lokstedt, dieser nette Stadtteil, dessen Bewohner auf Partys bisweilen erklären müssen, dass sie in der Nähe des wesentlich hipperen und bekannteren Stadtteils Eimsbüttel wohnen.

Das "New Living Home" in Lokstedt richtet sich laut Website unter anderem an "aktive und dynamische Best Ager". Kurz vor Puigdemonts Ankunft hatte in der Lobby eine Dame gefragt, ob es heute noch eine Veranstaltung gebe, schließlich könne sie ja stets kostenlos teilnehmen. Von Puigdemont weiß sie nichts.

Zu dem Zeitpunkt sitzen im Hörsaal schon Dutzende Deutsch-Katalanen und warten auf den Mann, der für sie immer noch nur ihr Präsident ist. Draußen stehen Birgitta und Willy aus Nordrhein-Westfalen. Puigdemont verspätet sich, der Flieger.

Birgitta trägt ein Halstuch, auf dem eine katalanische Fahne zu sehen ist, Willy eine gelbe Schleife, das Symbol der "Independentistes". Durch WikiLeaks und Julian Assange seien sie auf Carles Puigdemont aufmerksam geworden, sagen Birgitta und Willy. Ihren Nachnamen wollen sie lieber nicht verraten. Seitdem hätten sie viel über Katalonien und den Konflikt mit Spanien gelesen. Heute wollen sie Puigdemont unbedingt live sehen - und ein Autogramm bekommen.

Dann kommt er endlich an. Puigdemont lächelt, gerade hat man ihn gefragt, ob er ein Nationalist sei, aber die Zeit für eine höfliche Begrüßung in der Landessprache mochte er sich nicht nehmen lassen. Nein, natürlich sei er kein Nationalist, erklärt Puigdemont dann. Die Spanier, das seien die wahren Nationalisten. Mit solchen Fragen kann man Carles Puigdemont nicht aus der Ruhe bringen. Oft tritt der ehemalige katalanische Präsident zurzeit auf Podien auf, erst vor ein paar Tagen war er in Oxford zu Gast.

Puigdemonts Ziel: Möglichst viele Bürger und Politiker überzeugen, dass den Katalanen von der spanischen Regierung ihre demokratischen Rechte verwehrt werden - und sie das Recht haben, in einem Referendum über ihre Unabhängigkeit abzustimmen. Auch wenn die spanische Verfassung das ausschließt.

Puigdemont will den Katalonien-Konflikt internationalisieren. Diese Strategie ist momentan die einzige Chance für die Katalanen. Zuhause in Spanien sieht es gerade eher düster aus: Die spanische Justiz geht hart und gnadenlos vor, sie hat zwölf Anführer der Unabhängigkeitsbewegung angeklagt, weil sie das illegale Unabhängigkeitsreferendum organisiert haben sollen.

Puigdemont sitzt nur nicht in Untersuchungshaft, weil er rechtzeitig nach Brüsselgeflohen ist. Immer noch gibt es einen spanischen Haftbefehl gegen ihn. Sobald er spanischen Boden betritt, drohen ihm eine Festnahme und bis zu 30 Jahre Haft.

Allerdings wäre Puigdemont nicht Puigdemont, wenn er nicht eine weitere Möglichkeit gefunden hätte, die spanische Regierung zu piesacken. Bei der Europawahl haben seine Unterstützer ihn ins Parlament gewählt. Knapp fünf Prozent der spanischen Wähler stimmten für seine Liste "Gemeinsam für Katalonien/Freie für Europa". Als Mitglied des EU-Parlaments bekäme Puigdemont Immunität, wäre also vor Strafverfolgung geschützt. Allerdings muss er vorher seine Ernennungsurkunde in Madrid abholen und einen Eid auf die spanische Verfassung leisten, so wie alle spanischen Europaabgeordnete.

spiegel


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