Fünf Jahre später herrscht eiskalter Winter. Alle Blütenträume sind verwelkt, die altbekannte, erstickende Ohnmacht zurückgekehrt. Die Menschen auf den Straßen wirken stumm und verängstigt. Mit ihren politischen Sehnsüchten haben sie sich wieder zurückgezogen in die virtuelle Welt von Twitter und Facebook. Der ägyptische Cyberheld von damals, der Google-Manager Wael Ghonim, dessen Facebook-Seite den Aufstand gegen Hosni Mubarak auslöste, kämpft heute vor Gericht gegen seine Ausbürgerung wegen Staatsfeindlichkeit. "Ich war bei der Januar-Revolution dabei", heißt das trotzige Twitter-Bekenntnis, mit dem sich dieser Tage Zehntausende junger Ägypter gegen Resignation und Verzweiflung stemmen.
"Trotz der Monster – ich habe das Utopia auf dem Tahrir-Platz miterlebt, ich werde das niemals vergessen", schreibt einer. "Seid stolz darauf, an dem ägyptischen Traum beteiligt gewesen zu sein", twittert ein anderer. Denn viel ist nicht mehr übrig von der Hoffnung auf ein freieres, sozialeres und gerechteres Ägypten. Der alte Mubarak-Apparat aus Militär, Polizei und Justiz hat seine im Frühjahr 2011 verlorene Macht wieder fest in der Hand. Nach dem vom Militär erzwungenen Sturz von Mohammed Mursi im Juli 2013 ist mit Abdel Fattah al-Sissi auch der Präsident wieder – wie gewohnt – ein Ex-General. Die Polizei, deren drakonischer Missbrauch vor fünf Jahren den Volkszorn zum Überkochen brachte, wütet schlimmer als zuvor. Mehr als 40.000 Menschen sind als politische Gefangene hinter Gittern, über 150 Oppositionelle spurlos verschwunden. Und während das Regime hartnäckig leugnet, in seinen Verließen würde gefoltert und vergewaltigt, dringen fast täglich neue Horrorgeschichten nach draußen.
Denn die Machthaber fürchten nichts mehr als neue Demonstrationen. 5.000 Wohnungen wurden in den vergangenen Tagen in Kairo durchsucht. Dutzende Aktivisten, Journalisten, Ärzte und Rechtsanwälte verhaftet, darunter vier führende Mitglieder der Demokratiebewegung 6. April, die maßgeblich zum Sturz Mubaraks beitrug und heute verboten ist. In einer selbst für ägyptische Verhältnisse einzigartigen Kommandoaktion schloss die Staatssicherheit sogar die bekannte Townhouse-Galerie im Herzen der Hauptstadt, Treffpunkt junger Künstler, sowie das benachbarte Rawabet-Theater und den Merit-Verlag, dessen Besitzer Mohammed Hashem Ägypten schon einmal vor zwei Jahren verlassen wollte, weil er die Nase voll hatte von dem "politischen Terrorismus" in seiner Heimat.
"Warum wollt ihr Ägypten ruinieren"
Die meisten einheimischen NGOs, aber auch deutsche politische Stiftungen dürfen am Nil nicht mehr arbeiten. Vor wenigen Tagen brach auch die liberale Naumann-Stiftung ihre Zelte ab. "Wenn heute jedes politische Seminar, jede Konferenz, die wir mit ägyptischen Partnern ausrichten, als mögliche Bedrohung der inneren Sicherheit Ägyptens missverstanden wird, so entzieht das unserer Arbeit die Grundlage", begründete Vorstandschef Wolfgang Gerhardt diesen spektakulären Schritt.
Regimenahe TV-Talkmaster wie der berüchtigte Ahmed Moussa dagegen drohen allen Aktivisten und aufmüpfigen Mitbürgern, sollten sie am 25. Januar auf die Straße gehen, würden sie entweder im Gefängnis oder im Grab landen. "Warum höre ich Rufe nach einer weiteren Revolution?", polterte Ex-Feldmarschall Abdel Fattah al-Sissi. "Warum wollt ihr Ägypten ruinieren? Ich bin durch euren Willen an die Macht gekommen und nicht gegen euren Willen", rief er aus.
Der starke Mann Ägyptens regiert über ein Land, dem seine Probleme mehr und mehr über den Kopf wachsen. Andere Nationen haben der Arabische Frühling und die dadurch ausgelösten Turbulenzen bereits die Existenz gekostet. Syrien zerstört sich selbst in einem bestialischen Bürgerkrieg. Ein ähnliches Schicksal droht dem Jemen, der seit fast einem Jahr von Saudi-Arabien in Grund und Boden bombardiert wird. Libyen ist zerfallen und hat aufgehört, als Staat zu funktionieren. In Muammar Gaddafis Geburtsstadt Sirte errichtet der "Islamische Staat" vis-à-vis von Europa sein nächstes Kalifat. Zahlreiche Ölterminals stehen in Flammen. In den Straßen der einstigen Heldenstadt Bengasi sieht es inzwischen genauso aus wie in Homs oder Aleppo.
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