„Setzt euch mit Besatzungszeit auseinander!“ – Ostdeutscher: Darum haben wir Sympathie für Russland

  18 Juni 2019    Gelesen: 836
„Setzt euch mit Besatzungszeit auseinander!“ – Ostdeutscher: Darum haben wir Sympathie für Russland

Wenn die Medien sich mit Sympathien der Ostdeutschen für Russland und die Russen befassen, beschränken sie diese auf Annäherungswünsche an „Putins Regime“ oder mangelnde Auseinandersetzung mit den „Grausamkeiten der sowjetischen Besatzung“. Das bestreitet DDR-Wirtschaftler Uwe Trostel gegenüber Sputnik mit Blick auf seine Erfahrung.

Was Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer kürzlich im Blick auf Russland auf den Punkt brachte, nahmen etliche Medien zum Vorwand für antirussische Propaganda. „Putin und seine KGB-Kollegen mussten die DDR nach dem Mauerfall verlassen – ihr Geist offenbar nicht“, schrieb die ominöse „Bild“-Zeitung. „Warum sich nicht nur Ostdeutsche mit der Zeit der sowjetischen Besatzung auseinandersetzen müssen“, erklärte sofort die „Süddeutsche Zeitung“.

Es brauche so einen Stein des Anstoßes wie damals die Serie über den Holocaust, die in den späten 1970er Jahren in Westdeutschland lief, damit die Ostdeutschen sich besinnen würden, meint da eine gewisse Dresdner Bloggerin Jane Jannke. „Warum ist die Nachsicht mit Wladimir Putin im Osten so groß?“, fragte der „Tagesspiegel“ und sollte zugeben, dass es bei den Ostdeutschen in ihren Wünschen nach mehr Kontakten zu Russland wohl nicht nur um Zuneigung zu „Putins Regime“ geht.

Schließlich zeigen mehrere Umfragen der letzten Monate, auf die auch die „Bild“-Zeitung verweisen muss, dass rund 72 Prozent der Ostdeutschen bessere Beziehungen zu Russland befürworten, wobei 43 Prozent sich deutlich engere Beziehungen wünschen. Woran liegt das?

Auf die Frage, warum die Ostdeutschen heute mit Russland und den Russen so sehr sympathisieren, wenn man doch angeblich so stark „unter der Besatzung litt“, antwortet DDR-Wirtschaftler Uwe Trostel im Sputnik-Gespräch:

„Klar gab es viele Leute, die sich mit der DDR nicht abfinden konnten und sich für mehr Freiheit und den besseren Wohlstand im Westen entschieden. Aber die klare Mehrheit hat ordentlich gearbeitet und, selbst wenn an manchen Stellen gelitten, die Russen nicht als Unterdrücker gesehen. Die Russen wurden akzeptiert, genauso wie die Amerikaner im Westen gefeiert wurden.“

Laut Trostel, nun stellvertretender Chef des Vereins für lebensgeschichtliches Erzählen und Erinnern in Berlin, hat diese Auffassung mit den Ergebnissen des Zweiten Weltkrieges zu tun. Da hätten viele Deutsche in Ost und West die Sowjetunion und die Russen als Befreier vom Faschismus betrachtet, unter dem man wirklich viel gelitten habe. Die „alten Nazis“, die dann in großen Mengen nach Westdeutschland gegangen seien, hätten da nicht die Befreiung vom Hitler-Regime gesehen, sondern die Niederlage.

In Westdeutschland hätten diese ihre antisowjetische, aber auch antirussische Auffassung nie aufgegeben und den „Antirussismus“ weiter gepflegt. In Ostdeutschland dagegen habe man durch eine Menge persönlicher Begegnungen wie etwa bei den Treffen mit den Komsomolzen, im Urlaub oder beim Studium in der Sowjetunion Menschen kennenlernen und eigene Erlebnisse sammeln können.

Ein ganz persönliches Erlebnis verbindet Trostel mit den Hungerjahren nach dem Krieg, als seine Mutter sich aus Verzweiflung entschieden habe, ein paar Kartoffeln bei den Bauern zu klauen, selbst wenn diese „Hunde auf die Leute gehetzt hätten“. An einem Teich in der Nähe hätten russische Offiziere Wildenten geschossen. „Als zwei russische Soldaten da plötzlich vor uns standen und meine Mutter vor Schrecken zu heulen begann, sprach uns der Soldat im guten Deutsch an und sah ein, dass das Kind Hunger hatte“, erzählt Trostel weiter. „Und dann haben sie uns ein ganzes Brot und zwei Wildenten geschenkt, so aus Empathie, obwohl sie die Überfallenen waren.“

Viele Ostdeutsche würden noch glauben, dass die Sowjetunion den größten Beitrag zum Sieg über den Faschismus geleistet habe. „Heute versuchen die Fälscher die Geschichte umzuschreiben, als ob man mit dem D-Day die entscheidende Wende zur Befreiung gebracht hätte“, meint Trostel im Blick auf den kürzlichen D-Day-Gedenktag. „Die Zahl derer, die das nicht mitnehmen, ist alles anders als gering“, meint Trostel. „Genauso, wenn deutsche Panzer bei Nato-Übungen allzu oft in der Nähe zur russischen Grenze auftauchen.“

Ob die sowjetische Ideologie sich von den millionenfachen gelungenen Kontakten trennen lässt? „Allerdings hat ein großer Teil der Beziehungen auf der sozialistischen Ideologie basiert. Es war auch praktisch“, gibt Trostel zu. Er wolle auch nicht bestreiten, dass auch die sogenannte Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft eher formal und von oben angeordnet worden sei. Der Beitritt sei aber freiwillig gewesen, und es habe ohne weiteres viele gute menschliche Kontakte wie etwa durch Brieffreundschaften und Reise- oder Arbeitsaufenthalte beim Bau von Erdgastrassen gegeben. „Die russischen Menschen haben sich gastfreundlich, menschlich und nicht auf materielle Dinge versessen gezeigt“, so Trostel.

Dass die Riesenhoffnungen der Ostdeutschen bei der Wiedervereinigung nicht eingetroffen und manche heute gegenüber dem Kapitalismus kritischer seien, festigt laut Trostel auch eine Basis zur Sowjetunion, in der es z. B. nie solch eine Schere zwischen Arm und Reich gegeben habe. „Das trägt auch dazu bei, dass das bessere Verhältnis zu Russland als dem Rechtsnachfolger der Sowjetunion eben in einem recht positiven Licht gesehen wird“, sagt er abschließend.

sputniknews


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