Was bedeutet das EuGH-Urteil zur Luftmessung?

  27 Juni 2019    Gelesen: 524
Was bedeutet das EuGH-Urteil zur Luftmessung?

Bei der Messung von Luftschadstoffen in den Städten in Europa gelten strenge Vorgaben. Der Europäische Gerichtshof hat in einem Grundsatzurteil die Regeln dafür präzisiert. Worum geht es genau? Was ändert sich? Und was bedeutet das Urteil konkret für Stadtbewohner? Fragen und Antworten im Überblick.

Luftschadstoffe, Grenzwerte und Messstationen sind auch in Deutschland ein Streitthema – vor allem wenn es um Fahrverbote geht. Die europäischen Richter haben nun ein weitreichendes Urteil gefällt.

Worum geht es?

Im konkreten Fall hatten Einwohner der belgischen Hauptstadt Brüssel und eine Umweltorganisation belgische Behörden auf Erstellung eines ausreichenden Luftqualitätsplans und Einrichtung der nötigen Messstationen verklagt. Ein belgisches Gericht in Brüssel bat den EuGH in diesem Fall um Auslegung des EU-Rechts.

Was haben die Richter entschieden?

Zum einen stellte der EuGH klar: Auch wenn nur an einer Station überhöhte Werte von Feinstaub, Stickstoffdioxid oder anderen Luft-Schadstoffen gemessen werden, reicht das aus, um eine Überschreitung der Grenzwerte festzustellen und zu entsprechend zu handeln. Die Bestimmung eines Mittelwerts aus den Ergebnissen aller Stationen in einer Stadt oder einem Ballungsraum liefere „keinen zweckdienlichen Hinweis“ auf die Schadstoffbelastung der Bevölkerung, so der EuGH.

Zum anderen machten die Richter Vorgaben zur Platzierung der Messstationen. Diese müssen so eingerichtet werden, dass sie Informationen über die am stärksten belasteten Orte liefern. Oder anders formuliert: Die Standorte müssen so gewählt werden, dass die Gefahr unbemerkter Überschreitungen von Grenzwerten minimiert wird.

Welche Folgen hat das Urteil?

Auch wenn sich der verhandelte Fall auf Brüssel bezieht: Die Auslegung der geltenden Regeln durch den EuGH gilt für alle EU-Staaten. Die Platzierung von Messstellen und die Spielräume bei der Einhaltung von Grenzwerten sind in der Debatte über Diesel-Fahrverbote auch in Deutschland immer wieder strittig.

Der Gerichtshof hat nun klargestellt: Durchschnittswerte sind nicht aussagekräftig, vielmehr zählt jeder einzelne Verstoß gegen Grenzwerte. Und: Messstationen müssen an besonders belasteten Orten stehen.

Was ändert sich für Stadtbewohner?

Die nationalen Gerichte dürfen laut Urteil die Standorte der Messstationen für Luftschadstoffe überprüfen und auch Änderungen anordnen. Im Umkehrschluss können einzelne Anwohner vor Gericht ziehen, wenn aus ihrer Sicht an den falschen Standorten gemessen wird oder Messstationen fehlen, wie unser EU-Korrespondent Paul Vorreiter berichtet (Audio-Link). Für die Behörden ergeben sich ebenfalls Verpflichtungen, denn sie müssen mit der Standortwahl der Messstellen dafür sorgen, dass Grenzwerte nicht unbemerkt überschritten werden – und dies auch regelmäßig überprüfen.

Wie wirkt sich das Urteil auf Deutschland aus?

Gut möglich ist, dass es auch in deutschen Städten zu Klagen kommt. So kritisiert die Deutsche Umwelthilfe aufgrund eigener Messungen, dass viele offizielle Stationen gar nicht an den am schlimmsten belasteten Punkten stünden und es deshalb noch mehr Fahrverbote geben müsste. DUH-Geschäftsführer Resch begrüßte das EuGH-Urteil. Länder und Städte könnten nun „nicht länger durch absurde Mittelwertbildungen die tatsächliche Belastung ihrer innerstädtischen Atemluft schönrechnen“. Resch sagte im Deutschlandfunk, er rechne mit mehr Fahrverboten für besonders schmutzige Diesel und sehe auch gestiegene Chancen für Hardware-Nachrüstungen auf Kosten der Hersteller.

Grünen-Bundestagsfraktionschef Hofreiter sagte, das Urteil sei eine klare Ansage an die Bundesregierung: „Union und SPD dürfen nicht länger versuchen, die Bestimmungen für saubere Luft aufzuweichen und damit die Menschen in den Städten zu gefährden“. Linken-Verkehrspolitikerin Remmers erklärte, nicht die Grenzwerte seien in Frage zu stellen, sondern die Besetzung des Verkehrsministerpostens. Die Taktik von Ressortchef Scheuer, Grenzwerte anzuzweifeln und Messgeräte hin- und herzuschieben, sei gescheitert.

Wie sieht die Situation momentan aus?

In Deutschland wird die Konzentration von Stickstoffdioxid (NO2) an rund 550 Stationen gemessen. Die Messstellen sind je nach Standort in Kategorien eingeteilt. Die meisten Standorte weisen unproblematische Werte auf. Sie stehen im ländlichen Raum, aber auch in ruhigeren Stadt- und Industriegebieten. Einzig Stationen mit den Merkmalen „städtisch verkehrsnah“ liegen über dem Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel. 

Überschreitungen wurden 2018 im Jahresmittel in 57 Städten gemessen. Spitzenreiter war im vergangenen Jahr das Stuttgarter Neckartor – mit 71 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter.


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