Demokratie? Kannste behalten! – Mehrheit der Deutschen hat kein Vertrauen in Demokratie

  16 Auqust 2019    Gelesen: 530
  Demokratie? Kannste behalten! – Mehrheit der Deutschen hat kein Vertrauen in Demokratie

Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung hat eine Studie vorgelegt, mit einem Ergebnis, das die einen überrascht und beunruhigt, andere wiederum erwartet haben. Auf der Basis einer repräsentativen Umfrage stellten die Autoren der Studie fest, dass eine Mehrheit der Deutschen offenbar das Vertrauen in die Demokratie verloren hat.

„Vertrauen in Demokratie – Wie zufrieden sind die Menschen in Deutschland mit Regierung, Staat und Politik?“, so lautet der vollständige Titel des Forschungsprojektes der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), die der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) nahesteht und vom ehemaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten und SPD-Vorsitzenden Kurt Beck geleitet wird. Die nun vorgelegte Studie ist Teil eines größeren Projektes „Für ein besseres Morgen“, mit dem die FES bis 2020 für sechs zentrale Politikfelder „Vorschläge und Positionen“ entwickeln möchte, wie die Stiftung einleitend schreibt. Denn aus Sicht der FES stehe Deutschland durch „wachsende Ungleichheit, gesellschaftliche Polarisierung, Migration und Integration, die Klimakrise, Digitalisierung und Globalisierung, die ungewisse Zukunft der Europäischen Union“ vor tiefgreifenden Herausforderungen stehe, auf die „die Soziale Demokratie überzeugende, fortschrittliche und zukunftsweisende Antworten“ geben müsse.

Es darf vermutet werden, dass der FES nicht gänzlich klar war, welche dicken Bretter dabei offenbar gebohrt werden müssen. Denn die Antworten, die das Projektteam in der repräsentativen Telefonbefragung erhielt, sind in ihrer Dramatik im Wesentlichen nur niederschmetternd, insbesondere für eine Partei wie die SPD, die derzeit mehr oder weniger verzweifelt darum kämpft, ihren Jahrzehnte gewohnten Platz in der deutschen Parteienlandschaft als einer der maßgeblichen politischen Akteure nicht zu verlieren.

Gerade vor dem Hintergrund der bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen, bei denen die SPD in der durchaus realen Gefahr lebt, von den Wählerinnen und Wählern in die politische Bedeutungslosigkeit katapultiert zu werden, müssen die Ergebnisse der Studie gerade aus den neuen Bundesländern für die Sozialdemokraten eher desillusionierend und als Grund für Panikattacken wirken.

Zwei Drittel der Ostdeutschen hat kein Vertrauen mehr in Demokratie in Deutschland

Denn eine der wichtigsten Erkenntnisse der Studie ist, dass in Ostdeutschland zwei Drittel der Menschen unzufrieden mit der Demokratie in Deutschland sind, während dies in Westdeutschland „nur“ für knapp die Hälfte der Bevölkerung zutrifft. Vor allem sozial schlechter gestellte Bundesbürger beziehungsweise diejenigen, die sich selbst so bezeichnen, haben so gut wie kein Vertrauen mehr in die politischen Entscheidungsprozesse dieses Landes, von deren Ergebnissen gar nicht zu reden.

Bevor das Autorenteam der Studie die Ergebnisse der Befragungen präsentiert, erfolgen zunächst Darstellungen der Methodik und vor allem Begriffsklärungen. Die Autoren verweisen sehr berechtigt darauf, dass es ganz unterschiedliche Auffassungen und Definitionen in der Bevölkerung darüber gibt, was Demokratie ist und was sie zu sein hat. Dabei arbeiten die Autoren anhand von Quellen aus dem europäischen Raum heraus, dass immerhin 60 (!) Prozent der europäischen Bürger „unter Demokratie mehr, als das enge liberale Demokratieverständnis“ verstehen. Im „European Social Survey“ von 2013 stellte sich auch heraus, dass immerhin die Hälfte der Europäer mit dem Begriff und Konzept der Demokratie auch soziale Gerechtigkeit verbindet. Oder wie es die Autoren der Studie zusammenfassen:

„Diese Befragten erwarten also, dass Demokratien Einkommensunterschiede zwischen Armen und Reichen reduzieren.“

Mehrheit der Deutschen erwartet vom Staat Eintreten für soziale Gerechtigkeit

Das Phänomen, das vor allem auch die deutsche Gesellschaft auszeichnet, wonach der sozioökonomische Status ganz wesentlich darüber entscheidet, wie „Demokratie“ definiert wird, findet sich auch in der FES-Studie wieder:

"Insbesondere Personen mit niedrigerem sozioökonomischem Status weisen ein über dieses (gemeint ist das enge liberale Demokratieverständnis - d.Red) hinausgehendes und den sozialstaatlichen Output einschließendes Demokratieverständnis auf. Personen mit einem höheren sozialen Status haben dagegen eine Demokratiekonzeption nahe am (zumeist der liberalen Demokratie entsprechenden) Status quo, von dem sie schließlich profitieren." (FES Studie „Vertrauen in Demokratie“, S.11 ff.)

Das korrespondiert mit den Erkenntnissen aus der Telefonbefragung. Die Autoren der Studie stellen fest:

„Diejenigen, die mit der Sozialpolitik unzufrieden sind, sind auch zu fast zwei Dritteln mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden. Unter denjenigen, die einen Anstieg sozialer Ungleichheit feststellen, sind 60 Prozent unzufrieden.“

Deutsche haben vielleicht kein Vertrauensproblem mit Demokratie an sich, sondern mit Parteien

Die Studie legt auch offen, dass die Deutschen möglicherweise nicht so sehr die Demokratie an sich ablehnen, sondern ihr größtes Problem in der gegenwärtigen deutschen Parteienlandschaft sehen. Die Autoren der Studie machen dies vor allem an der Tatsache fest, dass sich in der Befragung zeigte, dass die Unzufriedenheit vor allem mit den im Bundestag vertretenen Parteien und ihrem politischen Personal in Verbindung gebracht wird. Nur so ist zu erklären, dass sich in der telefonischen Befragung ganz klar der Wunsch manifestierte, dass die Bürger sich mehr politisch beteiligen wollen und zwar zusätzlich zu Wahlen.

Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass zwei Drittel der Befragten einräumen, dass Politiker „einen schweren Job“ haben und dass der „Brexit“ zu einer deutlich wahrnehmbaren Ernüchterung geführt hat, dennoch will laut der FES-Studie unverändert eine große Mehrheit mehr direkte Demokratie. Dabei sind die Bürger offenbar klüger und verantwortungsvoller als die Kritiker plebiszitärer Elemente. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass zwei Drittel der Befragten jenes Verfahren der „gelosten Bürgerforen“ befürwortet, mit denen die Irische Republik erstaunliche und vor allem erstaunlich positive Erfahrungen gemacht hat.

In diesen gelosten Bürgerforen werden in wechselnden Zusammensetzungen ganz normalen, durchschnittlichen Bürger für einen bestimmten Zeitraum Entscheidungskompetenzen übertragen, auch finanzielle.

Mehrheit der Deutschen will aktiveren Staat

Die wohl bemerkenswerteste und hoffentlich folgenreichste Erkenntnis der FES-Studie, dass sich eine überlegene Mehrheit der Befragten für einen deutlich aktiveren Staat ausspricht, und zwar aktiv in dem Sinne, dass der Staat als Repräsentant des ganzen Volkes wahrgenommen wird, der sich für faire Chancen- und Teilhabeverteilung und nicht nur für durchsetzungsstarke Eliten einsetzen soll. In der Studie wird beispielsweise festgestellt:

„Deutlich wird dies etwa an hohen Zustimmungswerten für eine höhere Besteuerung von hohen Vermögen und Einkommen, für die „beste“ Personal- und Finanzausstattung an Schulen in ärmeren Stadtteilen, für den Einsatz von Steuermitteln zur Verbesserung des ÖPNV, aber auch für Maßnahmen wie den Ankauf von Steuer-CDs."

Angesichts der bisherigen multimedialen Tonalität bei der Behandlung von Themen wie „Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung“ ist geradezu erstaunlich, dass sich eine deutliche Mehrheit und „über alle politischen Lager hinweg“, wie die Autoren betonen, dafür aussprechen. Das gilt auch für ein Vorkaufsrecht der öffentlichen Hand für Wohnimmobilien. Zwei Drittel aller Befragten befürwortet ein solches staatliches Eingriffsrecht in den Markt.

90 Prozent der Befragten kritisieren dominanten Egoismus in deutscher Gesellschaft

Und vielleicht ist ja diese Erkenntnis der FES-Studie endlich ein Weckruf an die Politik und die Funktionseliten dieser Republik, wenn sie sich mal wieder mehr oder weniger scheinheilig fragen, warum nur immer mehr Menschen „Demokratie“ oder jedenfalls „diese“ Demokratie rundweg ablehnen und im Zweifel sogar offen demokratiefeindlichen politischen Bewegungen ihre Sympathie und ihre Wählerstimmen schenken:

„Dass eine solche solidarische Politik unsere Gesellschaft wieder stärker einen kann, zeigt sich auch an diesem Wert: Über 90 Prozent kritisieren, der gesellschaftliche Zusammenhalt habe gelitten, weil “.

Vielleicht ist es ja doch ganz einfach, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die oder jedenfalls diese Demokratie zurückzugewinnen? Vielleicht, indem Politik ganz simpel wieder politische Entscheidungen trifft, die den in der FES-Studie offenbar gewordenen Grundbedürfnissen und Interessen einfacher Bürgerinnen und Bürger entsprechen. Also:

ein ganz normales, halbwegs planbares, materiell abgesichertes Leben führen zu können,

in dem der Staat nicht nur die Sicherheit und Unversehrtheit von Leben und Gesundheit gewährleistet, sondern auch,

dass Wohnen kein Vermögen kostet,

gute Bildung nicht vom Geldbeutel abhängt,

gleiche Aufstiegschancen für alle bestehen,

diejenigen Mitglieder der Gesellschaft endlich angemessen besteuert werden, die leistungslose Einkommen beziehen oder fragwürdige Privilegien bei Steuern und Abgaben geltend machen können,

den Bürgern zugetraut wird, kompetent auch außerhalb von Wahlperioden in Abstimmungen oder anderen Formen direkter Demokratie ihre Position als eigentlichem Souverän der Republik entsprechen zu können,

die Schwächsten der Gesellschaft nicht zu deren Fußabtreter degradiert werden.

Warum diese simple Handlungsanleitung eventuell zielführender ist, um das Konzept von Demokratie zu retten, erklärt die FES-Studie so:

"Das Vertrauen, dass unsere Demokratie alle hört und das Leben der Menschen im Alltag verbessert, hat erheblich gelitten. Wir müssen dieses Vertrauen wiederherstellen, um unsere Demokratie auf Dauer nicht zu gefährden. Politik muss wieder stärker hinsehen, hinhören und sich öffnen und der Staat muss wieder mehr anpacken und gestalten – im Sinne eines solidarischen Miteinanders."

sputniknews


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