Unglück von Sewerodwinsk: „Burewestnik“-Rakete nicht betroffen

  17 Auqust 2019    Gelesen: 955
Unglück von Sewerodwinsk: „Burewestnik“-Rakete nicht betroffen

Mit dem Marschflugkörper „Burewestnik“ hat der Unfall auf einem Testgelände in Nordrussland am 8. August nichts zu tun, erklärt das russische Verteidigungsministerium. Getestet wurde demnach ein Raketenbooster. Bei dem Antrieb kommen atomare Stromerzeuger zum Einsatz, schreibt die Zeitung „Iswestija“ mit Verweis auf das Ministerium.

Was auf dem Testgelände Njonoksa westlich der Stadt Sewerodwinsk am 8. August getestet wurde, sei kein Marschflugkörper gewesen, versichert das russische Verteidigungsministerium, sondern ein neuer Raketenantrieb: ein flüssigkeitsbefeuertes Strahltriebwerk (oder einfach Flüssigkeitstriebwerk). Es sei die erste Erprobung des Boosters auf einem Testgelände gewesen. Die Entwicklungsarbeiten würden trotz des missglückten Versuchs fortgesetzt.

Bei dem neuen Raketenantrieb werden „Atom-Batterien“ verwendet. Fachleute sprechen auch von Nuklearen thermoenergischen Generatoren, also von atomaren Stromerzeugern. Diese ersetzen bei dem Booster die herkömmliche Strombatterie. Die Verwendung dieser Technik vereinfacht die Wartung und vergünstigt den Betrieb des Triebwerks.

Der eigentliche Zweck der Atom-Batterien ist es, die Energie für einen Lichtbogen bereitzustellen, mit dem der Treibstoff des Boosters gezündet wird. Der Treibstoff wird in der Brennkammer des Triebwerks mit einem Oxidationsmittel vermischt und durch den Lichtbogen gezündet. Es wird Schubkraft freigesetzt, die für die Beschleunigung der Rakete benötigt wird.

Ein Flüssigkeitstriebwerk ist im Aufbau komplizierter als ein Feststofftriebwerk – aber:

„Die freigesetzte Energie ist bei einem Flüssigkeitsantrieb deutlich größer. Die Rakete beschleunigt schneller und erreicht höhere Geschwindigkeiten“, sagt Militärexperte Dmitri Boltenkow im Zeitungsgespräch. „Der Nachteil dieses Antriebs ist die Gefahrenstufe: Der Treibstoff und der Oxidans sind aggressiv und explosiv. Für Menschen lebensgefährlich, es kann auch zu Vergiftungen kommen.“

Die Ursache des Unglücks von Sewerodwinsk ist bisher ungeklärt. Ein Fachteam ermittelt. An der Entwicklung der Atom-Batterien arbeitet das Nationale Forschungsinstitut für experimentelle Physik in Sarow, eine weltweit wichtige Kernforschungseinrichtung. Ein Spezialgebiet dieses Zentrums sind kompakte Stromerzeuger mit Brennelementen. Genutzt werden sie beim Militär, in der Raumfahrt und in der wirtschaftlichen Erschließung entlegener Gebiete, in der Arktis zum Beispiel.

Die technischen Merkmale dieser Stromerzeuger werden geheim gehalten. Eine „Iswestija“-Nachfrage beim russischen Konzern Rosatom ist bisher unbeantwortet. Experten gehen laut der Zeitung davon aus, dass die Atom-Batterien eine Weiterentwicklung von sog. Radionukliden thermoelektrischen Generatoren sind, an denen noch die Sowjetunion arbeitete.

„Äußerlich handelt es sich um eine Box, ein Quadratmeter groß“, erklärt Fachjournalist Pawel Jakowlew im Zeitungsgespräch. „Die Brennelemente sind in einem Bleimantel versteckt. Sie bestehen aus einem schwachen Isotop, bei dessen Zerfall Wärme frei wird, die wiederrum zur Stromerzeugung dient.“

Diese Technik sei zuverlässig. „Es hat nie ein Problem gegeben“, so der Experte. „Bei einer Beschädigung würde die Umgebung auf 30 bis höchstens 40 Meter kontaminiert – und das auch nur schwach, keine Gefahr für die Umwelt.“

Auch andere Länder arbeiten an vergleichbaren Stromquellen. „Kilopower“ heißt ein Projekt in den USA. Dabei werden Kernreaktoren mit 1 bis 10 Kilowatt Leistung für Weltraumgeräte entwickelt. Letztes Jahr wurde eine Anlage dieser Art in der Nevada-Wüste getestet.

Atom-Batterien haben einen weiteren Vorteil beim Einsatz in Flüssigkeitstriebwerken, erklärt Dmitri Kornew, Chefredakteur des Fachportals „Militaryrussia“:

„Bei dieser Art von Antrieb ist es wichtig, die Thermostatik zu erhalten. Der Treibstoff, das Oxidationsmittel, das gesamte System müssen temperaturstabil bleiben. Das wiederrum erfordert eine komplexe Infrastruktur: Die Motoren werden in speziellen Räumen aufbewahrt, wo sie permanent an eine Energiequelle angeschlossen sind. Transportiert werden sie mit Sonderfahrzeugen. Diese Probleme entfallen, wenn Atom-Batterien eingesetzt werden, weil sie genug Abwärme produzieren, um die Thermostatik zu erhalten.“

Hintergrund zum Unglück von Sewerodwinsk:

Am 8. August 2019 kam es auf dem wehrtechnischen Testgelände Njonoksa in der Region Archangelsk zu einer Explosion und einem Brand. Fünf Menschen starben, drei weitere wurden verletzt. Dies waren Mitarbeiter des Nationalen Forschungsinstituts für experimentelle Physik. Aus dem Grund wurde in Sarow am vergangenen Sonntag eine zweitägige Trauer ausgerufen. Der Rosatom-Konzern erklärte, das Unglück habe sich bei Arbeiten ereignet, die mit der technischen Betreuung von nuklearen Stromquellen eines Flüssigkeitstriebwerks zusammenhängen.

sputniknews


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