Radioteleskope, Quasare und Außerirdische – sowjetischer Astro-Pionier Kardaschow verstorben

  17 Auqust 2019    Gelesen: 1032
  Radioteleskope, Quasare und Außerirdische – sowjetischer Astro-Pionier Kardaschow verstorben

Ein Teleskop mit 100.000 Mal höherer Auflösung als Hubble, Untersuchungen von Quasaren und eine Typologie außerirdischer Zivilisationen – der jüngst verstorbene Astrophysiker Nikolai Kardaschow deckte ein sehr breites Spektrum ab. Dabei brachte er die Menschen in Zeiten politischer Konflikte über Ländergrenzen hinweg einander näher.

Anfang August ist der Astrophysiker Nikolai Kardaschow verstorben, der einige bahnbrechende Arbeiten im Bereich der Astrophysik verfasst, die technische Beobachtung des Weltalls mit vorangetrieben und der Menschheit auch für die Suche nach außerirdischen Intelligenzen einige Instrumente an die Hand gegeben hat – aber auch für Entspannung in Zeiten politischer Konflikte gesorgt hat. Sputnik hat mit zwei Forschern über Kardaschow gesprochen.

„Seine außergewöhnlichen Arbeiten beschäftigen sich mit den unterschiedlichsten Richtungen innerhalb der Astrophysik. Das spricht für die Bandbreite seiner wissenschaftlichen Interessen und seine Belesenheit“, teilt Rustam Dagkesamanski, Direktor des radioastronomischen Puschkin-Observatorium bei Moskau, gegenüber Sputnik mit.

Seine theoretische Vorhersage von Wasserstoff-Atomen in hohem Schwingungszustand aus den 50er-Jahren etwa sei 1964 durch Messungen bestätigt worden und habe eine ganze Forschungsrichtung in der Astrophysik eröffnet. Formeln aus seinen Arbeiten zu Radiogalaxien oder Quasaren seien heute noch im Einsatz. Besonders hervorhebenswert ist für Dagkesamanski auch das Projekt „Radioastron“, das russische Weltraumobservatorium „Spektr-R“.

100.000 Mal höhere Auflösung als Hubble Space Telescope

„Dieses Projekt wurde auf Initiative und unter aktivster Beteiligung Kardaschows seit Ende der 70er-Jahre über 30 Jahre ausgestaltet“, sagt der Moskauer Radioastronom. Es ging um hochauflösende Radiosignaturen von Strahlungsquellen, um sehr detaillierte Bilder zu erhalten. „Hierfür brauchte es viel größere Teleskope als die existierenden optischen, zu denen selbst das amerikanische Hubble Space Telescope gehört, das um die Erde kreist.

Solche Systeme, die aus Radioteleskopen bestanden, wurden auf der Erde hergestellt. Kardaschows Idee bestand darin, dass das System auch kosmische Radioteleskope einschließen sollte, die sich in großen Abständen zur Erde befanden. Damit konnte man eine hohe Winkelauflösung erreichen. Während ein optisches Teleskop ein Zehntel einer Winkelsekunde erfassen konnte, ließ sich dank des „Radioastrons“ die Auflösung auf mehrere Millionstel einer Sekunde erhöhen, also 100.000 Mal höher, als das Hubble Space Telescope das schafft“, so der Forscher.

Die letzten Jahre brachte Kardaschow mit dem Problem des Multiversums zu. Die zugrundeliegende Idee: Das Universum, in dem wir uns befinden, ist nicht das einzige, sondern parallel zu diesem entwickeln sicher etliche weitere Universen, die eventuell miteinander verbunden sind. An dieser Idee wird gegenwärtig weitergearbeitet.

Für solche Leistungen braucht es auch den entsprechenden Charakter, den Dagkesamanski wie folgt einstuft. „Er dachte immer an etwas sehr weit Fortgeschrittenes. Er wollte nicht ein Resultat, das fünf oder zehn Mal besser war. Es sollte Hunderte Male besser sein. Für Kleinigkeiten war er nicht zu haben.“

„Einer der Gründerväter der interstellaren Kommunikation“

Auch Douglas Vakoch schätzt den Astro-Pionier Kardaschow und beklagt den Verlust. Vakoch ist Vorsitzender von METI, einem Institut, das sich mit dem Aussenden von Botschaften an mögliche außerirdische Zivilisationen beschäftigt. Neben den obigen Errungenschaften ist Kardaschow für Vakoch und sein Institut vor allem eins: „Einer der Gründerväter der interstellaren Kommunikation“, wie es der METI-Vorsitzende ausdrückt.

Denn für den Versuch einer Kontaktaufnahme müsse man sich zunächst klarmachen, mit wem man da Kontakt aufnimmt, und mit der Kardaschow-Skala von 1964 habe der Forscher ein sehr allgemeines Instrument dafür entwickelt. „Wenn wir versuchen, die Natur extraterrestrischer Zivilisationen vorwegzunehmen, ist es essentiell, dass wir empirische Einschränkungen anerkennen, die das Universum selbst vorgibt, und dabei zugleich offen für Alternativen bleiben, mit denen wir nie zuvor in Berührung gekommen sind. Kardaschow balancierte diese zwei konkurrierenden Bedürfnisse ausgezeichnet aus“, merkt Vakoch an.

Kardaschow wählte in einer materiellen Welt als allgemeinsten gemeinsamen Nenner für alle denkbaren Zivilisationen den Bedarf an Energie. Heraus kam eine Skala mit drei Zivilisationstypen:

Typ-I-Zivilisation kann auf die gesamte Energie ihres Heimatplaneten zugreifen;

Typ-II-Zivilisation kann auf die gesamte Energie ihres Sterns zugreifen;

Typ-III-Zivilisation kann auf die gesamte Energie einer kompletten Galaxie zugreifen.

„Auf dieser Skala hat die Menschheit bislang nicht einmal Typ I vollständig erreicht“, bemerkt Vakoch dazu. Dennoch sei diese Skala für Menschen, die nach extraterrestrischen Zivilisationen suchen, von großer Bedeutung gewesen: „In der frühen Zeit des METI haben sich die meisten Suchen auf nahe Sterne beschränkt, die so nahe an der Erde sind, dass wir selbst eine Zivilisation vom Typ I entdecken könnten. Die Suche nach Signalen aus Sternsystemen in unserem galaktischen Hinterhof ist weiterhin der vorherrschende Ansatz“, so der METI-Vorsitzende.

Doch parallel dazu durchforstet METI auch Hunderte Galaxien auf „Anzeichen außerirdischer Technosignaturen“, die auf eine Typ-III-Zivilisation hinweisen würden. „Diese Typologie gibt uns außerdem auch innovative Strategien an die Hand, um auf außerirdische Zivilisationen des Typs II zu stoßen. Im Jahre 2015 hat METI etwa eine Suche nach kurzen Laserpulsen durchgeführt, die vom Stern KIC 8462852 ausgehen und sprunghaft schwanken, was manche auf eine mögliche Konstruktion um diesen Stern durch eine Typ-II-Zivilisation zurückführten.“

Kommunikation mit Außerirdischen geht in beide Richtungen

Wichtig seien Kardaschow und andere Sowjetastronomen für die METI-Forschung ganz generell gewesen: „Sie waren Visionäre, weil sie erkannt hatten, dass interstellare Kommunikation in zwei Richtungen möglich ist – etwas, was amerikanische Astronomen lange ignoriert hatten“, erklärt Vakoch. Im Jahre 1964 hätten Kardaschow und andere Organisatoren der ersten sowjetischen Konferenz am armenischen Bjurakan-Observatorium zum ersten Mal den Ausdruck „Kommunikation mit extraterrestrischer Intelligenz“ verwendet. Damit sei signalisiert worden, dass Kommunikation in beide Richtungen stattfinden kann: durch Empfang von Botschaften aus dem All, aber auch durch Aussendung von gut kodierten Botschaften in versprechende Regionen.

„Als das Feld interstellarer Kommunikation in den 80er- und 90er-Jahren bei der Nasa entwickelt wurde, war die Gewichtung sehr einseitig und es ging nur um Lauschen und nicht das Aussenden“, erklärt Vakoch. „Über 50 Jahre später erwacht das Bewusstsein, dass diese Kommunikation zweiseitig ist. Bei METI suchen wir deshalb nach Lasersignalen hochentwickelter Zivilisationen und senden gleichzeitig Nachrichten an nahe Sterne aus. Das frühe Bezugssystem für Kommunikation mit extraterrestrischen Intelligenzen, das Kardaschow und seine sowjetischen Kollegen in den 60er-Jahren entwickelt hatten, hilft uns dabei, verschiedene Strategien zur Kontaktaufnahme als Teile eines zusammenhängenden Ganzen zu verstehen.“

Neben diesen Beiträgen für die Forschung schätzt Vakoch Kardaschow auch für seine Bemühungen um internationale Kooperation über nationale Grenzen und politische Konflikte hinweg. „Als Veranstalter der sowjetisch-amerikanischen Konferenz zur Kommunikation mit extraterrestrischer Intelligenz 1974 am Bjurakan-Observatorium bereitete er den Weg für internationale Diskussionen über interstellare Kommunikation und förderte einen Geist der Entspannung zwischen den Rivalen des Kalten Krieges“, meint der METI-Vorsitzende: „Durch seinen Einsatz für die Wissenschaft und den Dialog zwischen Nationen hat Kardaschow die Menschheit einen Schritt näher an die Zivilisation des Typs I gebracht.“

sputniknews


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