Am 26. August jährt sich der gewaltsame Tod von Daniel H. durch Messerstiche in Chemnitz zum ersten Mal - doch bereits heute rückt die damalige Bluttat wieder in den Fokus. Das Landgericht Chemnitz will über Schuld oder Unschuld eines der zwei Tatverdächtigen entscheiden.
Der 24 Jahre alte Syrer Alaa S. soll den Deutschen gemeinsam mit einem Iraker, der sich auf der Flucht befindet und nach dem weltweit gesucht wird, erstochen und einen weiteren Mann schwer verletzt haben. Dafür muss er sich seit dem 18. März vor Gericht verantworten. Nach 18 Verhandlungstagen und der abgeschlossenen Beweisaufnahme ist Staatsanwalt Stephan Butzkies überzeugt davon, dass der Angeklagte wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung verurteilt werden sollte. In seinem Plädoyer hat der Anklagevertreter eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren gefordert.
Die Höchststrafe bei Totschlag beträgt 15 Jahre. Vor der erwarteten Urteilsverkündung halten die drei Nebenklagevertreter sowie die Verteidigung ihre Schlussvorträge. Zudem darf der Angeklagte, der während des gesamten Prozesses zu den Tatvorwürfen geschwiegen hat, sein letztes Wort sprechen.
"Ich habe ihn nicht angefasst"
Alaa S. hat immer wieder seine Unschuld beteuert. Kurz vor der Urteilsverkündung sagte er in einem Telefoninterview mit dem ZDF aus der U-Haft: "Ich schwöre bei meiner Mutter, ich habe ihn nicht angefasst. Ich habe überhaupt nicht das Messer angefasst." Nach einem Jahr Untersuchungshaft glaube er aber kaum noch an ein faires Urteil. "Ich habe Angst vor jedem hier, ich habe Angst vor den Mitgefangenen, ich habe Angst vor den Beamten. Ich habe sogar Angst vor dem Gericht."
Das Interview wurde auf Deutsch geführt. Es sei über "eine Freundin" vermittelt worden, hieß es von dem TV-Sender. S. lebte schon länger als Asylbewerber in Deutschland, er arbeitete als Friseur und war bisher nicht durch Straftaten aufgefallen.
Der unerwartet zeitige Richterspruch - immerhin waren Termine bis Ende Oktober festgelegt - wird mit Spannung erwartet, von einigen sicher auch mit Sorge. Wie reagiert Chemnitz? Wird die Stadt erneut aufgewühlt - oder beruhigt sich alles weiter? Aus Sicherheitsgründen findet der Prozess in einem Gebäude des Oberlandesgerichtes (OLG) in Dresden statt. Grund dafür sind die fremdenfeindlichen Übergriffe, Demonstrationen rechter Kräfte sowie zahlreichen Gegenproteste, die in der Folge der Tat die Stadt erschütterten. Am Tatort ist eine silbergraue Metallplatte eingelassen, die an das zur Tatzeit 35-jährige Opfer erinnert.
Bewiesen oder doch nicht?
In seinem Plädoyer vor Gericht war der Staatsanwalt mit keinem Wort auf die Folgen der Tat eingegangen. Stephan Butzkies erläuterte in seinem Schlussvortrag vielmehr, weshalb er die in der Anklageschrift verfassten Tatvorwürfe durch die Beweisaufnahme in weiten Teilen für bewiesen hielt. Sein Plädoyer war auch eine Verteidigungsrede für den Hauptbelastungszeugen. Der einstige Angestellte eines Döner-Ladens hatte zunächst davon berichtet, dass er den Angeklagten aus einem Fenster des Imbisses am Tatort gesehen hat, wie er mit schlagenden oder stechenden Bewegungen auf das Opfer eingewirkt hat. Bei späteren Vernehmungen und auch vor Gericht wurden seine Aussagen zunehmend unpräziser.
Der Staatsanwalt räumte Widersprüche und Einsilbigkeit des Libanesen ein. Den "Kernsachverhalt" aber habe er von Anfang bis Ende gleich beschrieben. Der Zeuge sei über Monate durch äußere Einflüsse wie Bedrohungen oder auch die Ermittlungen mürbe gemacht worden. Daher, so Butzkies, wundere ihn dessen Aussageverhalten nicht. Man müsse aber seine Aussagen in der Gesamtheit bewerten. Überdies seien wichtige Details von anderen Zeugen bestätigt worden. Das Gericht hatte bei einem Ortstermin am Tatort unter den gleichen Lichtbedingungen wie am Tattag versucht, zu einer Einschätzung zu kommen, ob ein möglicher Täter auf diese Entfernung tatsächlich zweifelsfrei identifiziert werden könnte.
Nach Ansicht der Verteidiger von Alaa S. ist die Unschuldsvermutung gegen ihren Mandanten im Prozess nicht widerlegt worden. "Es gibt unverändert keine Spuren. Es gab nichts an Händen, Kleidern oder sonstwo", sagte Strafverteidiger Frank Drücke, der S. vertritt, dem ZDF. Seine Kollegin Ricarda Lang geht sogar noch weiter. Ihr Mandant habe keine Chance gehabt, weil man ihn politisiert habe. "Er ist ein Bauernopfer", sagte Lang dem ZDF.
Am 26. August 2018 war Daniel H. am Rande des später aus Sicherheitsgründen vorzeitig beendeten Stadtfestes angegriffen und getötet worden. Ein weiterer Mann erlitt eine schwere Stichverletzung im Rücken. Nach der Tat war es in Chemnitz zu fremdenfeindlichen Übergriffen, rechten Demonstrationen und Anschlägen auf ausländische Restaurants gekommen.
Quelle: n-tv.de
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