Es war Anfang Juni, als Olaf Scholz zuletzt bei Anne Will saß und mit fester Stimme "Nein" auf die Frage sagte, ob er SPD-Chef werden möchte. Gerade war Andrea Nahles zurückgetreten und die Partei mal wieder am Boden zerstört. Nun saß am Sonntagabend ebenjener Scholz in der ersten Sendung nach der Sommerpause wieder in der Runde - diesmal aber als selbsterklärter Aspirant auf den Parteivorsitz. Eigentlich sollte es um den Solidaritätszuschlag gehen, aber die Frage nach Scholz’ Kehrtwende ging natürlich vor. Will stellte sie gleich zu Beginn, mit gnadenloser Wortwahl: "Herr Scholz, was gilt ihr Wort noch?" Die anderen Gäste, Linken-Chefin Katja Kipping, FDP-Vorsitzender Christian Lindner und die "Wirtschaftswoche"-Journalistin Elisabeth Niejahr hörten interessiert zu.
"Noch sehr viel", antwortete der. "Ich habe meine Meinung geändert", räumte er ein und begründete das mit der Lage der SPD. So wie über diese geredet werde, habe er das nicht mehr ertragen. Er wolle, dass die Partei stark ist und ernstgenommen wird. "Ich hätte mir das in dieser Lage niemals verziehen, wenn ich das nicht gemacht hätte", sagte er. Anfang Juni hatte er gesagt, gleichzeitig Finanzminister und SPD-Chef sein, das sei zeitlich nicht zu schaffen. Doch nun trete er ja mit einer Partnerin an - an seiner Seite kandidiert die Brandenburger Landtagsabgeordnete Klara Geywitz. Der Frage, ob Scholz aus der Großen Koalition aussteigen würde, wich dieser aus, er verwies auf den Parteitag im Dezember, auf dem das entschieden werden soll.
Zwölf Minuten ging es nur um Scholz, da meldete sich Christian Lindner zu Wort." Frau Will?", fragte er brav wie ein Schüler. Er wollte wissen, ob man nicht endlich über Inhalte sprechen könnte, etwa über die Frage, wo Scholz denn die SPD hinführen würde. Das klang einleuchtend und hätte den für Lindner bedeutenden Nebeneffekt gehabt, dass das Gespräch nicht mehr um Scholz gekreist wäre, sondern er sich auch selbst rhetorisch in Positur schmeißen könnte.
"Funkloch, Schlagloch, Schultoilette"
Will wankte nach diesem Überraschungsangriff, doch blieb sie bei ihrer Linie. Von Scholz ausgehend brachte sie das Gespräch auf das Vertrauen in die Politik, in die Politiker insgesamt. "Ich kann ihnen sagen, was ich gerade auf den Marktplätzen in Brandenburg höre", sagte Lindner, der zur Zeit für FDP-Stimmen bei der Landtagswahl am kommenden Sonntag kämpft. "Funkloch, Schlagloch, Schultoilette", das sei es, was die Leute interessiere. Und er höre immer wieder, die Politiker und Journalisten in Berlin-Mitte interessierten sich nur noch für sich selbst und nicht mehr für die echten Probleme. Kipping nahm den Ball auf und sagte, dass man sich wegen der dringend benötigten Investitionen keine Steuergeschenke für Reiche leisten könne.
Damit war dann die Diskussion doch noch beim Solidaritätszuschlag angelangt. Die Große Koalition hat gerade beschlossen, den 1991 eingeführten Soli im Jahr 2021 größtenteils abzuschaffen - für 90 Prozent der Zahler. Topverdiener sollen weiter abliefern. Ob das überhaupt verfassungsrechtlich wasserdicht ist, daran gib es Zweifel - doch zweifellos ist es ein Thema, mit der die SPD sich von der Union abgrenzen kann. Scholz versicherte ähnlich überzeugend wie Anfang Juni bei der Parteivorsitz-Frage, er mache das nicht nur, weil es ihm politisch nütze. Den Finanzminister in ihm dürfte es freuen, dass durch die Herausnahme von zehn Prozent der Zahler die Hälfte der Einnahmen erhalten bliebe.
Zeit die Steuern zu senken?
Lindner warf ihm nun vor, eine entsprechende Frage von Will aufgreifend, doch wieder nur eine Neiddebatte führen zu wollen. "Sie reden immer nur von den paar Dax-Vorständen", sagt er. Aber es gehe in Wahrheit um den Mittelstand und das Handwerk. "Wir sind auf dem Weg in eine Rezession, da halte ich es für töricht, dass wir den Mittelstand und das Handwerk nicht entlasten." Scholz entgegnete, gerade Menschen mit Mittelstandseinkommen würden ja weniger zahlen. Auch Kipping hielt dagegen: "Das ist doch immer ihr Trick, Herr Lindner. Vom Mittelstand und Handwerk zu reden und dann den Superreichen Steuergeschenke machen." Die Linken-Chefin plädierte dafür, den Soli nicht abzuschaffen "Wir wollen den Soli erhalten, um strukturschwache Regionen in Ost und West zu unterstützen", sagte sie.
Elisabeth Niejahr von der "Wirtschaftswoche" verwies darauf, dass ursprünglich einmal versprochen worden war, dass der Soli irgendwann wieder abgeschafft werde. Wenn man der Meinung sei, die Reichen müssten mehr Steuern zahlen, müsse man das über die Einkommenssteuer regeln. Die Steuereinnahmen seien in den vergangenen Jahren rasant gestiegen und da sei es nicht die Zeit, die Steuern noch zu erhöhen. Das meinte sie auch mit Blick auf die Vermögenssteuer, die Scholz ebenfalls befürwortet. Da kam das Thema Investitionen ins Spiel: "Hat Deutschland wirklich genug Geld?", fragte Will und verwies auf marode Straßen, Unterrichtsausfall und lahmes Internet auf dem Land.
Scholz konnte hier punkten. Er räumte zwar ein, dass über viele Jahre, auch unter Verantwortung der SPD, das mit den Investitionen "nicht super" gelaufen sei. Aber nun gebe es ein "Allzeithoch". Der Bund hätte sogar Probleme das Geld loszuwerden. Er verwies auf 86 Milliarden Euro für die Bahn oder die Grundgesetzänderung, die Milliardenzahlungen des Bundes an Schulen ermöglichte. Für Scholz wurde der Abend so durchaus zu einem Erfolg. Seine 180-Grad-Wende in Sachen Parteivorsitz moderierte er einigermaßen überzeugend ab. Und vielleicht gelingt es der Partei und Scholz ja, mit der teilweisen Soli-Abschaffung beim Wähler zu punkten, bevor das Bundesverfassungsgericht entscheidet, ob diese überhaupt rechtens ist.
Quelle: n-tv.de
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