Er brennt an vielen Stellen gleichzeitig. Rauchwolken zeigen das an. Es sind tausende verschiedene Feuer, eine unvorstellbare Zahl. Die Feuer wurden von Menschen gelegt, um dem Amazonaswald Land für ihre Geschäftsmodelle abzutrotzen. Die Schwaden ziehen gleichmütig über den grünen Giganten hinweg. Wie Blutspuren, die den Leib eines verletzten Tiers hinabrinnen. Eines angeschossenen Tiers. Das Ganze gleicht einem Massaker.
Oder ist das übertrieben? Kann der Mensch, was er da angerichtet hat, auch wieder richten?
Jetzt sollen Soldaten kommen und beim Löschen helfen. Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro wird für seine anfängliche Gleichgültigkeit gegenüber den Feuern weltweit gescholten. Vielleicht lässt als Konsequenz ein Handelsabkommen zwischen der EU und südamerikanischen Ländern ein bisschen länger auf sich warten.
Diese Reaktionen stehen in einem Missverhältnis zu den Bildern, die im Internet abrufbar sind, die von Medien und in den sozialen Medien verbreitet und geteilt werden. Der brennende Regenwald macht Angst, und er macht traurig.
Der Ameisenbär verteidigt Leben, der Mensch Interessen
So deutlich wie noch nie veranschaulicht er die Idiotie des Menschen, seine ignorante Zerstörungsbereitschaft. Seine Dummheit und Skrupellosigkeit. Der brasilianische Naturfotograf Araquem Alcantara ist hingefahren in das Gebiet der Brände. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat seinen Bericht übersetzt und veröffentlicht.
Der Fotograf hat einen Ameisenbären fotografiert, der durch die Feuer schwer verletzt und erblindet ist, der aber in dem Moment, in dem der Fotograf sich näherte, die Anstrengung der Verteidigung unternahm. Er richtete sich auf und breitete die Arme aus. Ein Bild, bei dem man das Heulen bekommen kann.
Der kleine Ameisenbär weiß, was zu tun ist: Leben ist zu verteidigen. Der Mensch, der Blödmann, weiß das nicht. Der verteidigt Interessen.
Die Lunge brennt, das Atmen fällt schwer
Die „grüne Lunge“. Man mag das kaum noch lesen, hören oder sagen angesichts der Feuer. Der Regenwald ist ein gigantischer CO2-Speicher, brennt er ab, wird Kohlendioxid frei und verstärkt Erderwärmung, die ohnehin dabei ist, ein kritisches Maß zu erreichen.
Wenn die Lunge brennt, wird das Atmen schwer. Keine Luft zu bekommen ist eine existentielle Bedrohung. Vielleicht ist es auch das, was die emotionale Reaktion auf die Feuer, die Rauchschwaden triggert.
Denn an Bilder von Feuern dürften gerade auch die Berliner und Brandenburger inzwischen nahezu gewöhnt sein. An die vielen Brände des Sommers rund um Jüterbog sei erinnert. Auch schlimme Bilder, aber sie haben kaum so entsetzt wie die jetzt vom Amazonas. Sie wurden als regionale Ereignisse und Betrübnisse wahrgenommen.
Die Feuer am Amazonas dagegen nimmt die ganze Welt zur Kenntnis – und die ganze Welt fühlt sich berührt. Die Region ist noch gar nicht ganz erforscht. Der Tiefsee gleich birgt der Wald Geheimnisse, die dem neugierigen Menschen bisher nicht bekannt waren.
Keiner weiß, wie viele Pflanzen- oder Tierarten zu Menschenzeiten ausgestorben sind, ohne dass man sie entdeckt hätte. Auch das gehört zu der Trauer, die einen befallen kann. Ein über Jahre unter sanftem Evolutionsdruck entstandenes riesiges Kunstwerk - ignorant zerstört, zerrissen, abgefackelt, vernichtet. Unwiederbringlich vernichtet.
Die Macht von dem Bild der grünen Lunge der Erde rührt daher, dass es die Zusammengehörigkeit von allem darstellt. Die Erde ist eins. Was immer irgendwo geschieht, wirkt sich auch anderswo aus.
Bisher ist das Verständnis davon nicht sehr stark ausgebreitet. Beim Schmelzen der Polkappen denkt mancher vor allem die nassen Füße der isländischen Küstenanwohner, beim Ausbreiten der Wüsten an das hungrige Vieh fremder Nomaden. Aber damit endet es nicht. Die Polkappen, die Wüsten, der brennende Regenwald – sie haben miteinander zu tun – und die Menschen sind an viel zu vielem Schuld. Auch das ist eine emotionale Erkenntnis.
Weil die nun mit schwarzen Farben ausmalbare Veränderung – der komplette Klimakollaps – auch die Existenz des Menschen auf dem Planeten beenden würden, hat das Klagen jetzt auch eine selbstmitleidige Komponente. Alles Katastrophe, und wir gehen mit unter. Schnüff.
Umwelt- und Naturschützer weisen seit Jahren auf den riskanten Raubbau im Amazonasregenwald hin. Ohne dass das jenseits ihrer Ohnehin-Followergruppen groß interessiert hätte. Auch die Politik hierzulande, in Europa, nicht. Die lässt sich, wenn um ihre Belange geht, auch kaum von den Hinweisen hiesiger Umwelt- und Naturschützer leiten, sondern eher von Wirtschafts- und Industrielobbyisten.
Insofern ist für Überlegenheitsgesten in Richtung Brasilien kein Anlass. Vielleicht aber kann man aus dem Grauen, das sich in Südamerika gerade – wenn man denn hinschauen kann und will – vor aller Augen abspielt, etwas fürs eigene Handeln mitnehmen. Wie wäre es mit: Hört auf die Umwelt- und Naturschützer. Auch hier und ab sofort.
tagesspiegel
Tags: