Wer die öffentliche Debatte über Transgender-Personen zuletzt verfolgt hat, konnte schnell zu einem falschen Eindruck kommen: Spätestens, seit Anfang des Jahres 2019 deutschlandweit über die Einführung von Transgender-Toiletten an Grundschulen diskutiert wurde, ist die ehemalige Randgruppe ja wohl in der Mitte der Gesellschaft angekommen, oder nicht?
Tatsächlich sind wir davon noch ein ganzes Stück entfernt - das zeigt eine nähere Beschäftigung mit den Erfahrungen von Trans-Personen im Gesundheitssystem. Diskriminierung, Unwissen und Unsicherheit bei Ärzten, mangelnde Sensibilisierung während der Ausbildung - das alles sind Missstände, die dazu führen, dass die Gesundheitsversorgung von Trans-Personen auch in Deutschland teils prekär ist.
Jonas Fischer kennt Beispiele dafür, was schief läuft in dieser Hinsicht. Eine Bekannte von ihm wurde nach einem Zusammenbruch ins Krankenhaus eingeliefert. Früher war sie mal ein Mann, ihre Geschlechtsangleichung hatte sie schon länger hinter sich. Trotzdem wollte das Personal sie nicht auf ein Zimmer mit Frauen legen. Zu den Männern aber auch nicht. "Schließlich landete sie auf dem Gang", berichtet Fischer. Er selbst ist Trans-Mann und lebt in München.
Es ist ein Beispiel dafür, wie überfordert Ärzte und Pfleger im Umgang mit Trans-Personen bisweilen noch sind. Für Gisela Wolf ein strukturelles Problem: "Der Umgang mit Transgender-Personen wird in der Approbationsausbildung in der Regel kaum thematisiert", sagt sie. Wolf ist niedergelassene Psychologin und Vorsitzende des Vereins für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Intersexuelle und Queere Menschen in Deutschland. Laut Wolf fehlt Medizinern die entsprechende Ausbildung, um Trans-Patienten behandeln zu können.
Aber müssen Trans-Menschen überhaupt medizinisch anders behandelt werden? "Bisher gibt es noch keine wissenschaftlichen Belege, dass sich die Krankheitsbilder von Trans- und Cis-Patienten unterscheiden", schreiben Patrick Häge und Laura Kürbitz vom Institut für Sexualforschung und forensische Psychologie in Hamburg auf Anfrage des SPIEGEL. Somatische Erkrankungen wie Morbus Alzheimer oder Asthma würden bei Trans-Patienten genauso behandelt wie bei Menschen, die sich mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren.
Experten sehen deswegen vor allem die "kulturelle Kompetenz" als Ursache für die Unsicherheit bei Ärzten. Sie seien das binäre Geschlechtsmodell gewöhnt und deshalb "mit der Vielfalt der Selbstverständnisse, Identitäten und Wünsche von Trans-Personen überfordert", schreibt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in einem Bericht. Wolf bestätigt das: "Daraus entsteht eine grundlegende Unsicherheit auf Seiten der Ärzte", sagt sie. Aus Angst, inkompetent zu erscheinen, entwickeln die Ärzte Verhaltensmuster, die von den Patienten häufig als diskriminierend wahrgenommen werden. Auch wenn diese in vielen Fällen nicht böse gemeint sind.
88 Prozent halten geschlechtliche Identität vor dem Arzt geheim
Absichtsvolle Diskriminierung aber gibt es auch. Manche Mediziner entwickeln aus der beschriebenen Unsicherheit heraus Vorurteile gegen Transsexuelle. Immer wieder berichten Trans-Patienten, die bei Wolf in psychologischer Behandlung sind, von entsprechenden Erfahrungen. Wolf glaubt: "In einigen deutschen Krankenhäusern ist bekannt, dass Ärzte homo- oder transfeindlich sind." Dass dagegen nichts unternommen werde, liege daran, dass es sich oft um Ober- oder Chefärzte handele, deren Meinung respektiert werde, so Wolf.
Diese Diskriminierung im Krankenhaus aber hat für Trans-Patienten gefährliche Folgen - das bestätigt indirekt eine europaweite Studie. Hierfür hatten Forscher Trans-Personen zu ihren Erfahrungen mit dem Gesundheitswesen befragt. Teilnehmer der "Transgender EuroStudy" waren 615 Trans-Männer und 1349 Trans-Frauen. Die Interviews zeigen, dass Trans-Patienten zu einem riskanten Gesundheitsverhalten neigen, weil sie die Vorurteile des medizinischen Personals fürchteten.
Demnach gaben 88 Prozent der Befragten an, ihre geschlechtliche Identität vor dem eigenen Hausarzt zu verheimlichen. "Für die Aufklärung und Abstimmung der Behandlung muss der Arzt aber wissen, ob der Patient eine geschlechtliche Angleichung durchlaufen hat, noch Medikamente nimmt und welche Organe bei der Umwandlung gegebenenfalls entfernt wurden", kommentiert Wolf.
Darüber hinaus ergab die Erhebung, dass drei Prozent der befragten Trans-Personen nie und 20 Prozent nur dann zum Arzt gehen, "wenn es wirklich nötig ist". Werden lebenswichtige Vorsorgeuntersuchungen verschleppt, steigt aber das Risiko an zu erkranken. Auch chronische und psychische Krankheiten nehmen zu.
Um die Situation zu verbessern, schlagen Autoren einer nordrhein-westfälischen Studie Leitfäden vor, an denen sich die Ärzte bei der Behandlung orientieren können. In den Vereinigten Staaten hat Joshua Safer vom Mount Sinai Hospital in New York ein entsprechendes Dokument veröffentlicht. Darin schreibt er, wie Ärzte mit Hormonspezialisten und Psychologen zusammenarbeiten und sich bei der Behandlung gegenseitig absprechen sollten. Damit können Trans-Patienten künftig negative Erfahrungen beim Arzt erspart bleiben.
"Leitfäden sind prinzipiell sehr wichtig, da sie den Behandelnden die Möglichkeit geben, sich umfassend über den aktuellen Forschungsstand und Behandlungsempfehlungen zu informieren und ihr professionelles Handeln daran auszurichten", sagt Häge. Ähnliche Empfehlungen gibt es bereits in Deutschland. Die beschränken sich jedoch bisher auf die Behandlung der Trans-Patienten während der geschlechtlichen Angleichung.
Hinweise darauf, in welches Zimmer Trans-Patienten verlegt werden sollen, geben die Leitfäden allerdings nicht. Experten halten es deshalb für unwahrscheinlich, dass es künftig Trans-Zimmer in den Krankenhäusern geben wird. Trotzdem müssen sich Ärzte unter anderem dieser Problematik stellen und Lösungen finden. Und weil Patienten-Aufklärung mindestens so wichtig ist, wie die der Ärzte, geben Jonas Fischer und sein Freund Christian Schabel-Blessing Seminare, um auf die Probleme aufmerksam zu machen. Sie leisten damit Aufklärungsarbeit unter anderem beim Thema Hormontherapie und Genitalangleichung. Mit Erfolg: "Wir erhalten viel positives Feedback."
spiegel
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