Ostdeutsche und Muslime werden auf ähnliche Weise abgegrenzt

  02 September 2019    Gelesen: 470
Ostdeutsche und Muslime werden auf ähnliche Weise abgegrenzt

Muslime und Ostdeutsche werden durch Westdeutsche oft auf ähnliche Weise mit Vorurteilen konfrontiert.

Zu diesem Ergebnis kam jüngst eine Studie an der HU Berlin. Dabei ging es nicht um strukturelle Benachteiligungen wie politische Unterrepräsentation, geringere Vermögen, höhere Armutsrisiken oder niedrigere Renten, sondern um symbolische Abwertung. 

Studienleiterin Naika Foroutan sagte jetz im Deutschlandfunk, in Interviews hätten Ostdeutsche etwa überproportional oft erklärt, sie hätten das Gefühl, sich über Ungleichheit nicht beklagen zu können, weil ihnen sonst der Vorwurf des „Jammer-Ossi“ entgegenschalle. Neben diesem Opfernarrativ wurden demnach häufig die Klischees genannt, Ostdeutsche distanzierten sich nicht deutlich genug vom Rechtsextremismus und seien auch nach 30 Jahren immer noch nicht im heutigen Deutschland angekommen. Die Soziologin führte aus, ähnliche Stereotype habe man in den letzten Jahren mit Bezug auf die Gruppe der Muslime empirisch festgestellt. Demnach sind bei knapp 40 Prozent der Westdeutschen derartige Haltungen sowohl in Bezug auf Ostdeutsche als auch in Bezug auf Muslime vorhanden. 

Weniger auf die Opfer, mehr auf die Täter schauen

Daraus folgt nach Auffassung der Forschenden, dass man weniger auf die Opfer, sondern auf die Täter schauen sollte. Abwertungen würden seit langem über die Gruppe selbst erklärt, nach dem Prinzip, führte Foroutan aus: „Das ist so, weil der Ostdeutsche in der DDR geboren ist, oder das ist so, weil die muslimische Kultur so ist.“ Wenn es jedoch gegenüber zwei gänzlich unterschiedlichen sozialen Gruppen in der Bevölkerung sehr ähnliche Abwertungsmechanismen gebe, „wäre es doch vielleicht interessant, den Blick mal zu wenden und auf den oder die Stereotypisierenden zu schauen.“ 

Die Situation ist aus ihrer Sicht gefährlich für das Land: „So lange es diese Benachteiligung gibt, bleibt dies keine erfüllte Demokratie“, hob sie hervor. Man sehe das bereits daran, dass viele Menschen beginnen, an der Qualität der deutschen Demokratie zu zweifeln. 

Das Westdeutsche dominiert

Darüber hinaus ergibt sich laut Foroutan aus den Forschungen, dass man sich kritischer mit der westdeutschen Sicht auf das Land befassen sollte. Es sei in der Tat so, dass Deutsche oder die deutsche Identität relativ dominant als westdeutsch imaginiert werde, erläuterte sie. Rund 30 Prozent der Ostdeutschen verstehen sich eher als ostdeutsch, wohingegen sich unter Westdeutschen nur ein „verschwindend geringer“ Anteil als westdeutsch sieht. Foroutan spricht von einem „westdeutschen Normalitätsparadigma“, wodurch sowohl Ostdeutsche, Migranten, Muslime oder andere Gruppen als „anders“ wahrgenommen würden. 

Die Wissenschaftlerin regte an, die Ursprünge dieser hegemonialen Position, die Westdeutschen bestimmte Privilegien sichert, zu untersuchen. Zudem müsse man „vor allen Dingen darüber sprechen, wer in dieser Gesellschaft privilegiert ist und welche Möglichkeiten es gibt, zu teilen und Privilegien möglicherweise auch abzugeben.“ Es gehe nicht darum, „ein Westdeutschen-Bashing“ aufzusetzen, um sich quasi für erfahrene Ungleichheit „zu rächen“: „Es geht nur darum, das Westdeutsche sichtbar zu machen in all seiner Dominanz.“

„Genuin westdeutsche AfD-Politiker“ wollen die Wende vollenden

In diesem Zusammenhang wies sie angesichts der Landtagswahlen an diesem Sonntag auf die AfD. Es sei schon überraschend, dass es „genuin westdeutsche Männer“ wie die AfD-Politiker Kalbitz, Höcke oder Gauland schafften, mit einem Slogan wie „Vollende die Wende“ so zu tun, als wären sie an der Revolution in Ostdeutschland beteiligt gewesen. „Dazu benötigt es ganz schön viel Chuzpe.“ Das solle offenbar zeigen: „Wir Westdeutschen können selbst das besser und vollenden das für euch, was ihr nicht richtig zu Ende geführt habt.“

Schließlich warnte sie davor, so zu tun, als gebe es keine Unterschiede mehr zwischen Ost und West. „Das deckt uns die Augen zu für die Ungleichheiten, die wir seit 30 Jahren fortschreiben“, betonte sie: „Es gibt 80 oder 81 ostdeutsche Universitäten, aber keinen einzigen Universitätsrektor, der selber aus Ostdeutschland kommt.“

 

Deutschlandfunk


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