„Refugees willkommen“? So würdigt ZDF Merkels Entscheidung zu Flüchtlingen 2015

  05 September 2019    Gelesen: 584
 „Refugees willkommen“? So würdigt ZDF Merkels Entscheidung zu Flüchtlingen 2015

Am 4. September 2015 traf Bundeskanzlerin Angela Merkel – womöglich alleine – eine historische Entscheidung: den Fußmarsch Tausender Flüchtlinge von Ungarn nach Deutschland nicht aufzuhalten. Dem Tag hat der TV-Sender ZDF nun eine TV-Doku gewidmet – mit hochdramatischer Musik, Augenzeugeninterviews und Flüchtlingen, die perfekt Deutsch sprechen.

„Es gibt Tage, über die befinden nicht erst Chronisten späterer Zeiten, dass sie für den Wendepunkt einer Ära stehen“, meinen die Autoren der neuen Merkel-Doku unter dem Titel „Stunden der Entscheidung“ – über den Tag, an dem Merkel entscheidet, Tausende Flüchtlinge, die in Ungarn zum sogenannten „March of Hope“ aufgebrochen waren, nach Deutschland einreisen zu lassen.

Die Flüchtlingsfrage spitzt sich zu. Der Krisenstab der ungarischen Regierung weiß mit den Tausenden illegal nach Ungarn Eingereisten nicht anders umzugehen, als ihren Weg nach Österreich und Deutschland mit Hilfe von 100 Bussen zu beschleunigen. Merkel zeigt sich sofort überzeugt, dass sich die Flüchtlinge nur mit Gewalt aufhalten lassen. Um angeblich eine humanitäre Katastrophe zu vermeiden, lässt sie die deutsche Grenze offen.

Mit dem Dokudrama, das am Mittwochabend die Welt erblickte, zeichnet der TV-Sender ZDF nach, wie es dazu kam. Wo die Filmaufnahmen nicht die „echte“ Merkel zeigen, tritt die Schauspielerin Heike Reichenwallner an ihre Stelle. Akteure von damals wie der frühere Innenminister Thomas de Maizière (CDU) kommen in Interviewsequenzen zu Wort.

„In Krisensituationen wird die Kanzlerin ganz leise und sehr ruhig, körperlich fast bedächtig. Dahinter steckt dann aber ein sehr scharfer Verstand und die Möglichkeit, alles abzuwägen, soweit es die Informationen zulassen“, erzählt de Maizière.

Es sei ihre große Stärke, dann die Kraft zu haben, ihre Emotionen zu zügeln.

Mit Taschenspielertricks für die Stimmung 

Was braucht man für ein echtes Drama? Eine Hauptfigur extra, die Merkels Entscheidung indirekt forciert haben soll. So wird der Syrer Mohammad Zatareih, der den Flüchtlingsmarsch vom Budapester Ostbahnhof organisierte, in dem Film zu einem Gesicht, das bei den Zuschauern Mitleid und Verständnis hervorrufen soll. Für ihre Not, das Misstrauen gegenüber den ungarischen Polizisten, ihre Hoffnung auf Deutschland. So zumindest die Botschaft. Man merkt, wie sehr die Filmemacher ihre Botschaft voranbringen wollen: Der Zatareih im Film spricht perfektes Deutsch – anders als der „echte“ Zatareih im Interview.

Für das erwünschte Orban-Image sorgen andere Leute. „Das war das Prinzip von Viktor Orbán: Sie in Budapest so schlecht zu behandeln, dass sie einfach weiterziehen mussten“, so z. B. Gerald Knaus, Vorsitzender der Europäischen Stabilitätsinitiative. Im Hintergrund sieht der Zuschauer, wie etwa 3000 Flüchtlinge im Untergeschoss des Bahnhofs campieren, in Zelten, auf Matratzen, zwischen Plastikmüll und Beton. Mehr als 150.000 Flüchtlinge waren bis Mitte August in Ungarn offiziell registriert worden. Die Entscheidung, auch unregistrierte Flüchtlinge aus Syrien ab sofort in Deutschland anzuerkennen, hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BamF) aber schon am 25. August in einem Tweet bekanntgegeben.

Über 100.000 Flüchtlinge waren Anfang September auf der Balkanroute zwischen Griechenland und Ungarn unterwegs. Ob man in Berlin völlig unterschätzt hatte, welche Bedeutung der Tweet des BamF für diese Flüchtlinge hätte? Sie selbst wollen nicht mehr in Ungarn registriert werden: Jeden Tag skandieren sie im Untergeschoss des Budapester Ostbahnhofs: „Merkel! Merkel! Merkel!“ oder „Germany! Germany! Germany!“ 

„Unschöne Bilder gehören zu Aufgaben der Politik“

Aber das kommt in der Doku nicht ans Licht. Stattdessen erinnert man Orban im Namen der Bundesregierung an seine „rechtlich und humanitär verbindliche Verpflichtung als Teil der westlichen Werte-Gemeinschaft“. Nicht beantwortet bleibt die Frage, ob es dazu noch den Spielraum für eine andere Entscheidung gab. Kritische Stimmen finden jedoch ihren Platz. So sagt Gerald Knaus weiter, „der größte Fehler der Bundesregierung, dieses Insistieren auf eine europäische Verteilung“, sei praktisch nicht umsetzbar gewesen.Wenn es Frankreich 2015 gelungen sei, gemäß dem Dublin-Übereinkommen für Asylbewerber genau 69 Personen aus Frankreich nach Italien zurückzuschicken, warum sollte eine europäische Verteilung mit Leuten, die nicht zurückgeschickt werden wollten, mit Ländern, die sie nicht nehmen wollten, auf einmal funktionieren? „Das war so immer eine Illusion.“ 

Auch der frühere Präsident des Bundesnachrichtendienstes Gerhard Schindlermeint, dass die gesamte Verbrechensbekämpfung oder die gesamte Durchsetzung von Rechtsstaat schon unschöne Bilder produziere. Das Argument des Staates mit den Flüchtlingen, man wolle keine unschönen Bilder, hält er für eine Offenbarung des Staates, dass man nichts mehr machen wolle. Das gehöre zu den Aufgaben der Politik, dass die auch unschöne Bilder aushalten müsse. Die Regierung habe den Zustand in den Anfangstagen als Ausnahme bezeichnet.

„Dass es dann doch keine Ausnahme geworden ist, geblieben ist, sondern lange, lange angehalten hat, das gehört für mich zu den unerklärbaren Phänomenen dieser Geschichte“, so Schindler.

Auch de Maizière erinnert, dass am 4. September nicht erstmalig 7000 Flüchtlinge gekommen wären, sondern es wären bereits viele da gewesen. Diejenige, die gewarnt hätten, dass es zu viele werden, seien stumm und nicht vorhanden gewesen. Politiker und Zeitungen hätten „Refugees willkommen“ gedruckt. In diesen Tagen über Begrenzung oder Zurückweisung zu reden, sei ganz gegen die Stimmung gewesen.

sputniknews


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