Wie die Nazis ihre Kinder nannten

  10 September 2019    Gelesen: 1307
Wie die Nazis ihre Kinder nannten

Es war nicht alles Horst. Auch andere germanische Namen wie Armin, Edda oder Edelgard florierten in den Jahren 1934–1945. Die Größen des NS-Regimes machten es bei ihren eigenen Kindern vor.

Bevor der Name Horst ein Witz wurde, war er ein Gebet. Allerdings beteten diejenigen, die ihre Kinder so nannten, nicht an die Macht der Liebe, sondern an die des Hasses. Zumindest, wenn sie in den Jahren 1933 bis 1945 zum Standesamt gingen. Zwar war Horst schon seit Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts in Mode gekommen, aber während der Herrschaft des Naziregimes wurde er plötzlich zum Ausweis einer regimetreuen Gesinnung. Und außergewöhnlich viele Eltern nutzten diese Gelegenheit, der Diktatur ihre Ergebenheit zu demonstrieren, indem sie ihre Kinder nach dem Heiligen der braunen Herren nannten.

„The Importance of Being Horst“


Der SA-Mann Horst Wessel, der am 14. Januar 1930 von einer Gruppe Kommunisten ermordet worden war, wurde von 1933 an mit einem staatlichen Märtyrerkult gefeiert. Joseph Goebbels besuchte regelmäßig sein Grab auf dem St.-Marien- und St.-Nikolai-Friedhof im Bezirk Prenzlauer Berg. Adolf Hitler höchstselbst war auch da. Zeitungsartikel und Radiosendungen feierten den Toten an Gedenktagen. Das Lied „Die Fahne hoch“, dessen Text von Wessel stammte, wurde zweite Nationalhymne. Der Berliner Stadtteil Friedrichshain wurde Horst-Wessel-Stadt. Mindestens 30 Biografien und andere Verherrlichungsbücher feierten Wessel.

Der spanische Historiker Jesús Casquete hat in einem Aufsatz mit dem schönen Namen „The Importance of Being Horst“ aufgeschrieben, welche Auswirkungen der Wessel-Kult auf die Namensgebung bei deutschen Jungen hatte: Von 1933 bis 1945 war Horst unter den zehn meistvergebenen Jungennamen.

Untersuchungen zu einzelnen Städten, die Casquete, der auch Fellow am Zentrum für Antisemitismusforschung der Berliner TU ist, zitiert, zeigen alle die gleiche Tendenz: In Frankfurt wurden 1933 etwa fünf Prozent aller neugeborenen Jungen Horst genannt; noch bis 1939 lag der Anteil immerhin bei mehr als drei Prozent. In Kiel, wo die NSDAP bei den freien Reichstagswahlen überdurchschnittlich gute Ergebnisse bekommen hatte, erreicht Horst bis 1937 deutlich über fünf Prozent; erst 1941/42 ist ein abrupter Absturz von 4,6 Prozent auf 2,76 Prozent nachweisbar.

Weitere Einzeluntersuchungen über die Namensvorlieben von neun sächsischen Städten, in Essen sowie in Bad Honnef und Wermelskirchen zeigen laut Professor Casquete ähnliche Tendenzen: Nach der Machtübernahme Adolf Hitlers erreicht der Name Horst eine heute kaum noch vorstellbare Popularität; in den Vierzigerjahren beginnt der Niedergang.

Horst hatte, wenn man seine Treue zum Regime zeigen wollte, den Vorteil einer gewissen Dezenz: Im Gegensatz zu Adolf und Hermann machte man damit wenigstens keinen Kotau vor Lebenden. Ohnehin hatte schon im Juli 1933 Hitler selbst untersagen lassen, seinen Familiennamen als Vornamen zu vergeben – und sei es in den weiblichen Formen Hitlerine oder Hitlerike

Die Allgegenwart von Horst – zum Vergleich: die beliebtesten Vornamen 2016 Mia und Ben erreichen nur Anteile von 2,42 und 1,96 Prozent – ist aber vor allem damit zu erklären, dass der Name gleich doppelt ideologisch passte. Nicht nur der Märtyrerkult um Wessel machte ihn attraktiv, sondern auch, dass es ein germanischer Name war. Horas hieß angeblich ein angelsächsischer Heerführer, der aber erst 1000 Jahre nach der Eroberung Englands durch die germanischen Stämme der Angeln und Sachsen 1492 in der niederdeutschen Weltchronik des Dietrich Engelhus erstmals genannt wird. Möglicherweise war Horst also ein Germanen-Fake.

„Deutschen Kindern deutsche Namen“


Das kümmerte in den Dreißigerjahren aber keinen. Der Autor Franz Kurzmann forderte in einem Pamphlet: „Weg mit den undeutschen Tauf- und Familiennamen. Gebt und vererbt den Kindern deutsche Namen!“ Der nationalsozialistische Namensideologe Rolf Ludwig Fahrenkrog schrieb ein Buch mit dem Titel „Deutschen Kindern – deutsche Namen“. Und am 18. August 1938 erließ Innenminister Hermann Göring: „Kinder deutscher Staatsangehöriger sollen grundsätzlich nur deutsche Vornamen erhalten. Es dient der Förderung des Sippengedankens, wenn bei der Wahl der Vornamen auf die in der Sippe früher verwendeten Vornamen zurückgegriffen wird. Dabei werden besonders auch solche Vornamen infrage kommen, die einem bestimmten deutschen Landesteil, aus dem die Sippe stammt, eigentümlich sind (z. B. Dierk, Meinert, Uwe, Wiebke).“

Das Ergebnis dieser onomastischen Propaganda fasst Jesús Casquete so zusammen: „Im Dritten Reich wichen biblische Jungennamen aus dem Neuen Testament (Namen aus dem Alten Testament waren tabu unter den Nazis) und christliche Heiligennamen wie Johann, Mathias, Peter oder Nikolaus zugunsten germanischer Namen wie Kurt, Siegfried, Berthold, Armin, Dietrich, Erwin, Ulrich, Winfried oder Waldemar. Für Mädchen ersetzten Ingrid, Helga, Ursula, Edeltraud, Uta, Ulrike, Ingeborg, Sieglinde, Gertrude und Erika christliche Namen wie Anna, Maria, Magdalena oder Elisabeth.“

Die Nazis waren besessen von Namen. Für sie war, wie jemand hieß, das sichtbarste Zeichen seiner Herkunft. Deutsche Rassenfanatiker fürchteten schon seit der Emanzipation der Juden im 19. Jahrhundert, diese könnten sich kerndeutsche Namen aneignen. Deshalb schmähte Joseph Goebbels dem verhassten Berliner Polizeipräsidenten Bernhard Weiß als Isidor, um dessen jüdische Herkunft zu stigmatisieren. Und deshalb wurden durch den zitierten Erlass 1938 jüdische Männer und Frauen gezwungen, die Zweitnamen Israel ode Sara anzunehmen, wenn ihre Vornamen nicht erkennbar jüdische waren.


Angesichts all dessen ist erstaunlich, dass keiner der prominentesten Nazis eines seiner Kinder Horst taufte. Hermann Göring nannte seine Tochter Edda, Heinrich Himmler seine Gudrun. Goebbels und Frau Magda gaben all ihren sechs Kindern germanische

Namen: Helga, Hildegard, Helmut, Holdine, Hedwig und Heidrun (das H war eine Verbeugung vor Hitler). Die sechs Kinder von Albert Speer hießen Albert, Hilde, Arnold, Fritz, Ernst und – der einzige nicht germanische Name, weil Speers Frau genauso hieß – Margarete. Hitlers Sekretär Martin Bormann gab neun Kindern germanische Namen: Adolf, Ilse, Irmgard, Ehrengard, Rudolf, Heinrich, Gerda, Fred, Volker, nur für Tochter Eva machte er eine biblische Ausnahme, dafür war ihr Zweitname Ute.

Der Schicksal des Horst Israel Strelzyn


Offenbar wollte doch keine NS-Größe seinen persönlichen Ruhm weniger hell strahlen lassen, indem er den Abglanz des Helden Horst Wessel in der Familie zuließ. Umso tragischer mutet die Geschichte eines jüdischen Mannes an, dem die Nazis seinen guten germanischen Namen Horst nicht lassen wollen, zumindest nicht unvermischt und ohne Warnhinweis. Victor Klemperer beschreibt in seinen Tagebüchern 1944 ein Namensschild in Dresden: „Baruch Strelzyn – Horst Israel Strelzyn“. Der Vater, ein Goldschmied, trug einen so eindeutig jüdischen Namen, das ihm die Behörden den Zweitnamen Israel nicht aufgezwungen hatten, der Sohn um 1920 als Kind einer „arischen“ Mutter geboren, bekam ihn zusammen mit gelbem Stern.

Quelle : welt.de


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